Politik

Abschiebungen: Merkel schafft es nicht, genaue Zahlen vorzulegen

Lesezeit: 2 min
22.12.2015 09:43
Die deutschen Behörden haben in diesem Jahr nur 1,8 Prozent aller Flüchtlinge oder Einwanderer abgeschoben. Doch nicht einmal die offiziellen Angaben sind verlässlich: Die Behörden leisten sich ein beispielloses Zahlen-Chaos.
Abschiebungen: Merkel schafft es nicht, genaue Zahlen vorzulegen

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Das Innenministerium hat am Montag die Zahlen der Abschiebungen bekanntgegeben. Unter dem Titel "Zahl der Abschiebungen hat sich 2015 verdoppelt" berichtet die AFP:

In den ersten elf Monaten des Jahres sind fast doppelt so viele abgelehnte Asylbewerber aus Deutschland abgeschoben worden wie im gesamten Vorjahr. Bis Ende November seien 18.363 Menschen abgeschoben worden, teilte das Bundesinnenministerium am Montag mit. Im Jahr zuvor hatte die Gesamtzahl bei 10.884 gelegen; im Jahr 2012 waren noch 7651 Abschiebungen gezählt worden.

Besonders stark wuchs die Zahl der Abschiebungen im CSU-regierten Bayern: Sie stieg um mehr als das Dreifache von 1007 auf 3643. Auch im schwarz-grün regierten Hessen verdreifachte sich die Zahl beinahe von 829 auf 2306 Abschiebungen. Im grün-rot regierten Baden-Württemberg verdoppelte sie sich von 1080 auf 2140.

Kaum gestiegen sind die Abschiebezahlen im Verlauf des Jahres 2015 in Brandenburg, Bremen, Niedersachsen und Sachsen. Im rot-rot-grün regierten Thüringen ging sie sogar leicht zurück.

Die Bundesregierung strebt eine schnellere Abschiebung abgelehnter Asylbewerber an. Um die schnellere Ausweisung von Menschen ohne Bleibeperspektive rechtlich abzusichern, wurden im Oktober verschiedene Gesetze geändert.

Bei Licht betrachtet sind das nur sehr wenige Abschiebungen. Erst vor wenigen Tagen meldete Bayern, dass offiziell eine Million Flüchtlinge in Deutschland eingetroffen seien. Wenn die offiziellen Zahlen stimmen, dann sind die gemeldeten 18.363 Abschiebungen nur 1,8 Prozent. Doch diese Zahlen sind mit Vorsicht zu genießen: Es ist ja nicht klar, wie viele von den Abschiebungen auf schon länger zurückliegende Anträge zurückgehen. Ebenso ist nicht klar, wieviele Anträge in diesem Jahr überhaupt erfasst wurden. Die Flüchtlinge und Migranten müssen ja wegen der Überlastung der Ämter mitunter monatelang warten, bis sie einen Bescheid erhalten.

Um das Chaos perfekt zu machen, haben Bund und Länder unterschiedliche Zählweisen entwickelt.

Die Ostthüringer Zeitung kommentiert diesen unhaltbaren Zustand unter dem Titel

"Ungenießbarer Zahlensalat":

"Das Bundesinnenministerium zählt so, die Länder zählen so. Besonders krass sind die Unterschiede in Thüringen. Während sich aus Berliner Zahlen ergibt, dass Thüringen in dieser Jahre weniger Abschiebungen vollzogen hat, geht die Uhr in Erfurt ganz anders. Ja, wie ist es denn nun richtig? Und wem soll man glauben?

Die Elle, die im Bundesinnenministerium angelegt wird, ist offenbar zu kurz. Denn letztlich spielt es keine Rolle, ob bei den Abschiebungen in den Ländern Bundespolizisten dabei gewesen sind oder nicht. Entscheidend ist: Es gab einen Asylantrag. Der wurde abgelehnt. Es gab keine Duldung oder ein anderes Abschiebehemmnis. Die Zeit zur freiwilligen Ausreise wurde nicht genutzt. Also wird abgeschoben. Und so müsste es dann auch in der Statistik stehen, in einer einheitlichen wohlgemerkt.

Es kann ja in Zeiten der Computertechnik nicht so schwer sein, gegebenenfalls den überragenden Anteil der Bundespolizei in der einheitlichen Statistik mit einer Fußnote zu kennzeichnen. Da freuen sich dann alle, denen die Würdigung der Bundespolizei am Herzen liegt.

Der Zahlensalat ist nur ein Teilchen des allgemeinen Chaos in der Asylpolitik: Flüchtlinge, die unregistriert in Deutschland sind. Flüchtlinge, die keinen Pass haben oder mit einem gefälschten syrischen Pass vielleicht gar keine Flüchtlinge sind. Sich immer noch monatelang hinziehende Asylverfahren. Nicht kompatible Erfassungssysteme mit dem Zwang zur Doppelt- und Dreifacharbeit. Vor Selbst-Rührung fast zerfließende Lobbyisten, die nicht begreifen, dass Abschiebungen ganz unzweideutig im Gesetz stehen und dass all jene, die nicht in der Nacht aus den Betten geholt werden wollen - bevor sie untertauchen können - ganz in Ruhe vorher tagsüber freiwillig ausreisen konnten."


Mehr zum Thema:  

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft EU-Austritt Deutschlands: Ist „Dexit“ der Weg in die Katastrophe?
23.05.2024

Seit dem Brexit-Referendum wird in Deutschland immer wieder über einen möglichen EU-Austritt, den „Dexit“, diskutiert. Eine aktuelle...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Grenzziehung: Russlands Planspiele sorgen für Besorgnis bei Nachbarn
22.05.2024

Ein russisches Gesetzesprojekt zur Neubestimmung der Ostsee-Grenzen sorgt für Aufregung bei Nachbarländern. Litauen spricht von...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Handelskonflikt mit USA und EU heizt sich auf: China erwägt höhere Import-Zölle auf Verbrenner
22.05.2024

Der Handelskonflikt zwischen den USA und China eskaliert weiter und erfasst nun auch europäische Autobauer, die gar keine E-Autos...

DWN
Finanzen
Finanzen Bundesbank: Konjunkturaussichten hellen sich langsam auf
22.05.2024

Die deutsche Wirtschaft scheint das Gröbste überstanden zu haben. Nach einem leichten Wachstum zu Jahresbeginn dürfte die Konjunktur...

DWN
Politik
Politik Lehrerverband will Islamunterricht: Lösung für bessere Integration oder Anbiederung?
22.05.2024

Gut 1,6 Millionen Schüler moslemischen Glaubens besuchen mittlerweile Deutschlands Schulen. Für sie wünscht sich der Präsident des...

DWN
Immobilien
Immobilien Bessere Laune im Bausektor, aber Auftragsmangel immer noch zentrales Problem
22.05.2024

Auf dem ZIA-Finance Day letzte Woche ging es - unter anderen Schlüsselthemen - um die sich stabilisierende makroökonomische Lage in...

DWN
Finanzen
Finanzen Der DWN-Marktreport: Börsen im Rally-Modus – Aktienmärkte erreichen Allzeithochs, Metalle glänzen
22.05.2024

Die vergangene Woche konnte sich sehen lassen: Die internationalen Finanz- und Rohstoffmärkte warteten mit beeindruckenden Preisbewegungen...

DWN
Politik
Politik Erleichterungen für Hausarztpraxen im Fokus
22.05.2024

Das Bundeskabinett befasst sich mit einer stärkeren Absicherung der Gesundheitsversorgung für Patientinnen und Patienten - besonders in...