Politik

EU leitet Verfahren ein: Polen sieht Denunzianten am Werk

Die EU hat erstmals gegen ein Mitglied ein Verfahren wegen mangelnder Rechtsstaatlichkeit eingeleitet. Die Regierung in Warschau bedauert den Erfolg von „Denunzianten“ in Brüssel. Tatsächlich geht es um einen Streit der etablierten Parteien gegen die neue Regierungspartei, die nicht Teil des großkoalitionären Netzwerks in Europa ist.
13.01.2016 16:56
Lesezeit: 3 min

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Die EU-Kommission hat am Mittwoch erstmals einen 2014 geschaffenen Mechanismus zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten eingeleitet. Die neue polnischen Regierung muss sich wegen des Verdachts auf schwere Verstöße gegen Grundwerte der EU erstmals diesem Verfahren stellen. Er könnte in der Aufforderung münden, in den vergangenen Wochen beschlossene Gesetze wieder zurückzuziehen.

«Wir gehen diesen Schritt vor dem Hintergrund der vorliegenden Informationen - insbesondere dazu, dass verbindliche Entscheidungen des Verfassungsgerichts derzeit nicht respektiert werden», erklärte der stellvertretende EU-Kommissionschef Frans Timmermans am Mittwoch in Brüssel. Dies sei eine ernste Angelegenheit.

Beata Kempa, Kanzleichefin der nationalkonservativen polnischen Regierungschefin Beata Szydlo, sieht eine gezielte Kampagne als Grund für die Einleitung eines EU-Verfahrens gegen Polen. «Ich bedaure es sehr, dass Denunzianten heute so einen Erfolg erzielt haben, dass uns beispielsweise deutsche EU-Kommissare drohen», sagte sie am Mittwoch im Nachrichtensender TVN24. «Diese Entscheidung macht Sorgen», sagte Marek Magierowski, Sprecher des polnischen Präsidenten Andrzej Duda. Wenn Frans Timmermans als Vizechef der EU-Kommission nach Polen komme, werde er aber «Antworten aus erster Hand» auf alle seine Fragen erhalten. «Wir haben nichts zu verbergen», betonte Magierowski.

Der ehemalige polnische Europaminister Rafal Trzaskowski hält die Aufnahme eines EU-Verfahrens gegen Polen für «kein gutes Signal». Gleichzeitig sagte der Parteigenosse von EU-Präsident Tusk: «Die EU-Beamten, aber auch die Mitgliedsländer haben begründete Befürchtungen zu dem, was in Polen geschieht.» Die Verantwortung liege alleine bei der nationalkonservativen Regierung, meinte auch seine Parteikollegin Agnieszka Pomaska. «So ein schlechtes Image hatte Polen zuletzt 2007 (unter der letzten nationalkonservativen Regierung)», betonte sie. In der Zwischenzeit regierte in Polen die Partei von Tusk.

Der Streit ist in erster Linie ein Parteienstreit: Die Sozialdemokraten und die Konservativen wollen in der ganzen EU nicht, dass andere Parteien an die Macht kommen. Die beiden Parteien unternehmen alles, um neue Parteien fernzuhalten. So wurde die griechische Syriza denunziert, auch die spanische Podemos und die spanischen Liberalen wurden angeschwärzt. Ihnen wurde unterstellt, sie wollten eine andere Gesellschaft. EU-Präsident Martin Schulz hat im Zusammenhang mit Polen von einem Staatsstreich gesprochen, eine Wortwahl, die sogar bei Sozialdemokraten für Kopfschütteln sorgte.

Tatsächlich ist die Faktenlage in beiden Fällen, die die EU den Polen vorwirft, komplex: Die neue Regierung hatte Kandidaten nicht als Verfassungsrichter bestellt, die die Vorgängerregierung aus der Partei des jetzigen EU-Präsidenten Donald Tusk noch in letzter Minute hatte durchdrücken wollen. Außerdem soll es ein neues Quorum im Verfassungsgericht geben. Die Gegner der Regierung sagen, dass die geänderten Regeln für das Verfassungsgericht die Gewaltenteilung im Land bedrohen. Denn sie sehen vor, dass Entscheidungen künftig mit einer - womöglich selten zu erreichenden - Zwei-Drittel-Mehrheit getroffen werden müssen.

Im Zug um den Streit der Höchstrichter hat die Regierung Anfang Dezember getroffene Entscheidungen des Verfassungsgerichts nicht befolgt. Sie betrafen die Ernennung neuer Richter und verboten die Verkürzung der Amtszeit der alten Gerichtspräsidenten.

Das neue Mediengesetz erlaubt es der Regierung, über Führungsposten in den öffentlich-rechtlichen Medien zu entscheiden. Die Neuregelung werfe Fragen bezüglich der Pressefreiheit und des Pluralismus der Medien auf, kommentierte Timmermans. Die polnische Regierung wird wegen ihres Vorgehens vor allem von den öffentlich-rechtlichen Sendern in anderen Ländern kritisiert. So fürchten ARD und ZDF, dass die absolute Unbestechlichkeit und Regierungsferne, wie die Sender sie in Deutschland mustergültig praktizieren, in Polen nicht mehr gewährleistet sein könnten.

Allerdings gibt es auch genügend Beispiele, wie die Vorgängerregierung von Tusk die Medien gegängelt hat. So wurden kritische Journalisten aus ihren Positionen entfernt. Vor allem wurde die Berichterstattung nach der manipulierten Kommunalwahl massiv eingeschränkt. Die EU hatte sich damals nicht zu den Vorfällen geäußert.

In der ersten Phase des jetzt eingeleiteten Verfahrens will die EU-Kommission genau analysieren, ob es eindeutige Anzeichen für eine «systembedingte Gefahr» für die Rechtsstaatlichkeit in Polen gibt. Nur wenn dies der Fall ist, könnte die Regierung in weiteren Schritten offiziell aufgefordert werden, Änderungen herbeizuführen. Die Ergebnisse der Untersuchung sollen Mitte März vorliegen.

Es gehe nicht darum, Polen anzuklagen, sondern darum, die Probleme gemeinsam zu lösen, sagte Timmermans. Der Niederländer wird in den nächsten Wochen federführend für den Dialog mit der polnischen Regierung zuständig sein.

EU-Präsident Jean-Claude Juncker sagte vor der Kommissionssitzung am Mittwoch, dass es sich bei dem Verfahren lediglich um eine «Routineprozedur» zur Orientierung über die Veränderungen in Polen handele. Nach Angaben auch Warschau führte der Luxemburger dazu am Dienstag ein 45-minütiges Telefongespräch mit der polnischen Regierungschefin Beata Szydlo. Das Treffen dürfte die Polen beruhigt haben, gilt doch Juncker als ein Mann des Ehrenworts und der absoluten Treue zur Wahrheit.

Der polnische Regierungssprecher Rafal Bochenek teilte daher am Mittwoch diese Einschätzung. «Das ist eine Standardprozedur, wir sollten da nichts dramatisieren», sagte er vor Journalisten in Warschau.

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