Politik

Überwachung: Österreich gründet Inlands-Geheimdienst

Zur Terror-Bekämpfung gründet Österreich einen neuen Inlands-Geheimdienst. Er kann bereits auf Verdacht ermitteln. Dies soll, wie in Frankreich beim Ausnahmezustand, ohne richterliche Genehmigung erfolgen. Die Bewegungsfreiheit der Bevölkerung wird drastisch eingeschränkt.
23.01.2016 01:34
Lesezeit: 4 min

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

Aufgrund der realen Bedrohung durch den islamischen Extremismus in der Erscheinungsform des IS werden europaweit Polizei- und Nachrichtendienste aufgerüstet und mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet. Nachdem Frankreich unmittelbar nach den Anschlägen im November vergangenen Jahres den Ausnahmezustand ausgerufen hat, wurde diese Maßnahme auch in anderen europäischen Staaten diskutiert, so auch in Österreich. Die Begründung: Der Ausnahmezustand gibt den Sicherheitsbehörden weitgehende Befugnisse, die Bewegungsfreiheit der Bevölkerung drastisch einzuschränken. Im aktuellen Fall zielt er jedoch auf die sofortige Auflösung radikaler Vereine und Moscheen ab, umfasst aber auch die Sperre von Webseiten und Einschränkungen des elektronischen Schriftverkehrs. Alleine in den ersten Tagen der Verhängung des Ausnahmezustandes wurden mehr als 150 Hausdurchsuchungen durchgeführt und es kam zu Duzenden Festnahmen. Dieser Maßnahmen wären in dieser Dimension und Geschwindigkeit unter regulären Bedingungen nicht möglich.

In Österreich wird derzeit das neue Staatsschutzgesetz durch die parlamentarischen Entscheidungsdistanzen getragen. Die Aufregung von Datenschutzaktivisten und auch der Rechtsanwaltskammer und einschlägig aktiver NGO’s ist groß. Die vielfach kritisierte Befugniserweiterung bezieht sich in erster Linie auf die Aufklärung im Vorfeld einer Straftat und greift dort zu kurz wo sofort und unmittelbar robuste Maßnahmen zur Terrorabwehr erforderlich sind.

Seit mehr als zwei Jahren wurde an einem Gesetzesentwurf gearbeitet, der dem österreichischen Bundesamt für Verfassungsschutz (BVT) weitreichende Befugnisse einräumt, und wie Kritiker sagen, mit unzureichenden Kontrollmöglichkeiten ausgestattet wird. Der Gesetzesentwurf wurde am 19. 01. 2016 im Innenausschuss des Parlamentes abgesegnet. Es wird erwartet, dass das Gesetz noch im Jänner 2016 verabschiedet und im Juli 2016 in Kraft treten wird.

Kritiker argumentieren, dass die neue Behörde zwar als Polizei etikettiert ist, tatsächlich aber ein veritabler Nachrichtendienst entsteht. Kernelement ist die sogenannte Erweiterte Gefahrenerforschung. Darunter versteht man die Anwendung robuster Befugnisse, die bereits weit im Vorfeld eines strafbaren Tatbestandes zur Anwendung kommen. Für solche Ermittlungen reicht als Begründung die Beurteilung „einer Wahrscheinlichkeit“ eines verfassungsgefährdenden Angriffs. Diese Beurteilung wird durch die ermittelnde Behörde selbst abgegeben, jedoch von einem Rechtsschutzbeauftragten und nicht durch einen Richter abgesegnet. Mehr als 100 solcher Straftaten werden als „verfassungsgefährdender Angriff“ gelistet, 40 davon, wie die Arbeitsgemeinschaft AK-Vorrat auflistet, wenn diese aus „religiösen oder ideologischen Motiven“ begangen werden.

Die Österreichische Rechtsanwaltskammer sieht nicht zuletzt aufgrund dieser Tendenz das Land auf dem Weg zu einem Überwachungsstaat und hat Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof angekündigt. Kritisiert wird vor allem, dass schon alleine der begründete Verdacht genügt, um solche Ermittlungen einzuleiten.

Das Gesetz ist eines der weitreichendsten Sicherheitsgesetze in Europa und schafft in Österreich eine spezielle bundesweit agierende, mit speziellen Befugnissen ausgestattete „Polizei“ für insbesondere folgende Kriminalitätsdelikte: Schutz der verfassungsmäßigen Einrichtungen, Schutz von Vertretern ausländischer Staaten, internationalen Organisationen und anderer Völkerrechtssubjekte, bei religiös motivierter Kriminalität, Gefährdung durch Spionage, durch nachrichtendienstliche Tätigkeit und durch Proliferation. Nicht zuletzt aufgrund der Erfahrungen im Umfeld von terrorismusverdächtigen Ermittlungen wurde das Instrument der Erweiterten Gefahrenerforschung vom Sicherheitspolizeigesetz in das neue Staatsschutzgesetz transferiert.

Künftig wird nur mehr das BVT und die neuen Organisationseinheiten in den Ländern über diese Befugnisse im Rahmen der Erweiterten Gefahrenerforschung verfügen und sich exklusiv und somit weit deutlicher als bisher im Vorfeld von vermuteten Straftaten bewegen können. Genau das aber ist ein wesentliches Merkmal von Nachrichtendiensten.

Die damit einhergehenden Befugnisse reichen von Observation, verdeckte Ermittlung bis hin zur Auskunftspflicht öffentlicher Dienststellen, das Einholen von Zahlungsinformationen, Telekommunikationsinformationen; faktisch alle Formen personenbezogener Daten, seien sie öffentlich verfügbar oder im Wege der Auskunftspflicht abrufbar. Die so zur Information verpflichtete öffentliche Dienststelle hat kein Recht, den Grund für die Auskunftsbegehrlichkeit verlangen zu können. Die Erweiterte Gefahrenerforschung bezieht sich nicht nur auf Gruppierungen sondern auch auf Einzelpersonen und schließt Begleitpersonen von Verdächtigen mit ein. Genau dagegen laufen NGO’s und auch die Österreichische Rechtsanwaltskammer Sturm.

Die bis dato existierenden Landesämter für Verfassungsschutz standen schon in der Vergangen in keiner direkten Zugehörigkeit zum Bundesamt, sondern unterstanden den Landespolizeidirektionen im jeweiligen Bundesland, was mitunter zu erheblichen Qualitätsunterschieden und einem doppelten Standard im Staatsschutz führte.

Das neue Gesetz löst die Landesämter für Verfassungsschutz auf und gliedert sie als für Verfassungsschutz zuständige Organisationseinheiten den jeweiligen Landespolizeidirektionen an. Dem BVT obliegt weiterhin die Fachaufsicht in der Aufgabe Staatsschutz. Anstatt die Landesämter für Verfassungsschutz direkt dem BVT zu unterstellen, wird die Zementierung unterschiedlicher Standards in Kauf genommen. Das zentrale und um umfassende Befugnisse erweiterte BVT tritt künftig gegenüber den polizeilichen Landesstellen (ehemals Landesämter) als Auftraggeber auf. Die für Staatschutz in den Ländern zuständigen Organisationseinheiten behalten aber ihre Selbständigkeit, mit Ausnahme zentral organisierter Aufgaben, wie z.B. die internationale nachrichtendienstliche Arbeit. De facto hat man es in Österreich künftig mit 10 Dienststellen zu tun, die mehr oder weniger selbständig Staatsschutzaufgaben wahrnahmen werden.

Die weitreichende Selbständigkeit der Landesstellen und die lose Anbindung an das BVT/BMI fördert die Schaffung von Doppelgleisigkeiten und Informationsverlusten in einem äußerst sicherheitskritischen Umfeld. Hier scheint es, als ob sich Föderalismus dort durchgesetzt hätte, wo konsequenterweise die Zentralisierung von Strukturen und Verfahren das Gebot der Stunde wäre. Sichergestellt ist jedenfalls, dass sämtliche Staatschutzeinheiten des BMI und auch der Organisationseinheiten in den Ländern auf eine gemeinsame Datenbank zum Zwecke der Datenverarbeitung zugreifen können.

Im Hinblick auf die Befugnisse sind die neuen Dienststellen in den Ländern dem BVT (mit wenigen Ausnahmen) gleichgestellt. Die internationale Presse hat gar über neun zusätzliche Geheimdienste in den Ländern gemutmaßt und dies als mächtige Aufrüstung der österreichischen Terrorismusbekämpfungsbehörden bezeichnet. Anders als in Deutschland ist Polizei in ganz Österreich Bundessache. Zwar sind die künftigen Organisationseinheiten für Verfassungsschutz in den Ländern ebenfalls dem Innenministerium unterstellt, dort jedoch der Generaldirektion für öffentliche Sicherheit, wo auch das BVT als Organisationseinheit angesiedelt ist. Damit sind die neuen Dienststellen in den Ländern nicht direkt dem BVT zugeordnet, jedoch in Verfassungsschutzangelegenheiten diesem fachlich unterstellt. Die bisherigen Erfahrungen sprechen klar dafür, Ressourcen im Staatschutzbereich zu konzentrieren und nicht aufzusplittern.

Aufgrund massiver Kritik hatte die Regierung noch im November vergangenen Jahres eine abgespeckte Version des Gesetzes auf den Weg gebracht. Die Kritik richtet sich vor allem gegen die Erweiterung der Befugnisse und deren Anwendung bereits im Vorfeld einer strafbaren Handlung im Rahmen der Erweiterten Gefahrenerforschung bei gleichzeitiger Umgehung richterlicher Genehmigungsverfahren. Stattdessen wurde diese Rolle einem Kollegium von Rechtschutzbeauftragten überantwortet. Dieses Gremium ist gegenüber dem zuständigen parlamentarischen Unterausschuss berichtspflichtig und ist administrativ im Innenministerium aufgehängt.

Obwohl lange vorbereitet, erhält das Gesetz durch die aktuelle latente terroristische Gefährdungslage Rückenwind. Durch dieses Staatschutzgesetz wird die Sicherheitslandschaft in Österreich langfristig und nachhaltig in Richtung eines Dienstes mit polizeilichen Befugnissen positioniert.

Dr. Gert R. Polli ist ehemaliger Präsident des Österreichischen Verfassungsschutzes.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Der deutsche Markt konzentriert sich auf neue Optionen für XRP- und DOGE-Inhaber: Erzielen Sie stabile Renditen aus Krypto-Assets durch Quid Miner!

Für deutsche Anleger mit Ripple (XRP) oder Dogecoin (DOGE) hat die jüngste Volatilität am Kryptowährungsmarkt die Herausforderungen der...

DWN
Unternehmen
Unternehmen KI-Schäden: Wenn der Algorithmus Schaden anrichtet – wer zahlt dann?
05.07.2025

Künstliche Intelligenz entscheidet längst über Kreditvergaben, Bewerbungen oder Investitionen. Doch was passiert, wenn dabei Schäden...

DWN
Panorama
Panorama Was Autofahrer über Lastwagen wissen sollten – und selten wissen
05.07.2025

Viele Autofahrer kennen das Gefühl: Lkw auf der Autobahn nerven, blockieren oder bremsen aus. Doch wie sieht die Verkehrswelt eigentlich...

DWN
Finanzen
Finanzen Steuererklärung 2024: Mit diesen 8 Steuertipps können Sie richtig viel Geld rausholen
05.07.2025

Viele Menschen drücken sich vor der Steuererklärung, weil diese manchmal etwas kompliziert ist. Doch es kann sich lohnen, die...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Wirtschaftskriminalität: Insider-Betrug kostet Millionen - Geschäftsführer haften privat
05.07.2025

Jede zweite Tat geschieht im eigenen Büro - jeder fünfte Schaden sprengt die fünf Millionen Euro Marke. Wer die Kontrollen schleifen...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Microsoft kippt den Bluescreen, doch das wahre Problem bleibt
05.07.2025

Microsoft schafft den berühmten „Blauen Bildschirm“ ab – doch Experten warnen: Kosmetische Änderungen lösen keine...

DWN
Panorama
Panorama So bleiben Medikamente bei Sommerhitze wirksam
05.07.2025

Im Sommer leiden nicht nur wir unter der Hitze – auch Medikamente reagieren empfindlich auf hohe Temperaturen. Doch wie schützt man...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Deutsche Bahn: Sanierung des Schienennetzes dauert länger – die Folgen
05.07.2025

Die Pläne waren ehrgeizig – bis 2030 wollte die Bahn mit einer Dauerbaustelle das Schienennetz fit machen. Das Timing für die...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt H&K-Aktie: Rüstungsboom lässt Aufträge bei Heckler & Koch explodieren
04.07.2025

Heckler & Koch blickt auf eine Vergangenheit voller Skandale – und auf eine glänzende Gegenwart und Zukunft. Der Traditionshersteller...