Politik

Umfrage: Deutsche lehnen Merkels Deal mit der Türkei ab

Eine aktuelle Umfrage zeigt, dass die Deutschen nicht an einen Pakt mit Erdogan als Lösung der Flüchtlingskrise sehen. Sie stehen damit in deutlichem Widerspruch zu Bundeskanzlerin Merkel, die den Deal mit der Türkei und den Niederlanden ausgearbeitet hat. Die Türkei warnt die EU: Die Kritik aus einzelnen EU-Staaten sei geeignet, den Deal platzen zu lassen.
16.03.2016 17:36
Lesezeit: 3 min

In einer aktuellen Umfrage ermittelte das Forsa-Institut im Auftrag des Magazins Stern, was die Deutschen vom Abkommen der EU mit der Türkei halten, das jetzt in Brüssel verhandelt werden soll. Die Türkei will alle aus ihrem Land neu in Griechenland eintreffenden Flüchtlinge zurücknehmen, wenn die EU im Gegenzug die gleiche Zahl Syrer direkt aus der Türkei einreisen lässt. Außerdem sollen drei Milliarden Euro für die Versorgung der Flüchtlinge zusätzlich fließen, die Visumpflicht für Türken schon im Juni entfallen und die Beitrittsverhandlungen mit der EU beschleunigt werden. Die Bundesregierung befürwortet ein solches Abkommen, stößt aber auf den Widerstand anderer EU-Staaten.

Die Deutschen sehen den geplanten Deal mit der Türkei eher skeptisch: In einer Forsa-Umfrage für den stern plädieren sie mit großer Mehrheit (72 Prozent) nur für eine höhere finanzielle Unterstützung. Die Visa-Freiheit für türkische Bürger zur Einreise in die EU lehnt fast die Hälfte der Befragten (49 Prozent) ab, 44 Prozent meinen, dass die EU-Länder sie akzeptieren sollte. Nur eine Minderheit von 26 Prozent meint, dass die EU der Türkei bei den Verhandlungen zum EU-Beitritt entgegenkommen sollte. Fast zwei Drittel der Bundesbürger (64 Prozent) bezweifeln, dass die Türkei den Flüchtlingsstrom in die EU eindämmen kann, indem sie die Migration nach Griechenland stoppt.

Angela Merkel glaubt dagegen, dass das Treffen in Brüssel eine "entscheidende Wegmarke" werden könne. Merkel wie auch Kommissions-Vizepräsident Frans Timmermans wiesen zugleich Bedenken von Kritikern zurück, die EU könne der Türkei zu weitreichende Zugeständnisse machen und sich in Abhängigkeit von Präsident Recep Tayyip Erdogan begeben. Es gehe um einen Ausgleich der Interessen, der "unseren Werten entspricht", sagte Merkel.

Die Eröffnung neuer Kapitel ändere nichts daran, dass die Beitrittsverhandlungen ergebnisoffen geführt würden, sagte Merkel. "Schon daraus folgt, dass der Beitritt der Türkei zur EU jetzt wirklich nicht auf der Tagesordnung steht." Merkel widersprach auch Befürchtungen etwa der CSU vor negativen Folgen einer Visafreiheit und erinnerte daran, dass diese bereits im November 2015 von allen EU-Staaten beschlossen wurden. Die Türkei müsse alle von der EU gesetzten Bedingungen vollständig erfüllen, wenn sie eine Visafreiheit schon im Juni wolle. Auch Timmermans versicherte: "Wir gewähren der Türkei sicher keine Freifahrt." Der gewählte Ansatz sei kompliziert, er sehe aber keinen anderen, um die Lage für die Menschen zu verbessern.

Die Türkei warnte die EU davor, dass Zypern das geplante Flüchtlingsabkommen infrage stellen könnte. "Wenn man einen Schritt zu einer Lösung gemacht hat, wenn ein Abkommen über ein ganzes Paket erreicht wurde, sollte man nicht zulassen, dass dies durch die Laune eines EU-Mitglieds ruiniert wird", sagte der Minister für EU-Angelegenheiten, Volkan Bozkir, in einem TV-Interview. Merkel sagte, angesichts des Widerstands Zyperns gegen die Eröffnung neuer Kapitel in den EU-Beitrittsverhandlungen gebe es noch schwierige Gespräche vor dem Gipfel, so dass sie den Ausgang noch nicht vorhersagen könne.

Zypern hat gedroht, das Abkommen zwischen EU und Türkei zu blockieren, wenn Probleme mit der Regierung in Ankara nicht ausgeräumt würden. Die Türkei erkennt das EU-Mitglied Zypern völkerrechtlich nicht an.

Merkel schlug in eine ähnliche Kerbe wie die Türkei und kritisierte die Zerstrittenheit der EU bei der Suche nach einer solidarischen Lösung. "Es gereicht Europa nicht zur Ehre, sich als Union von 28 Mitgliedsstaaten mit 500 Millionen Bürgern bislang so schwer getan zu haben, die Lasten zu teilen." Deutschland habe von der Schließung der Grenzen auf der Balkanroute wegen stark gesunkener Flüchtlingszahlen zwar profitiert, räumte Merkel ein. Die ganze Last müsse aber nun Griechenland tragen. Zudem drohe nur eine Verlagerung der Flüchtlingsrouten. Erstmals gebe es nun eine echte Chance auf eine "dauerhafte und gesamteuropäische Lösung".

CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt bekräftigte im Bundestag für ihre Partei die "Bedenken bei der vollen Visumsfreiheit" für die Türkei. Zudem sehe die CSU "keine Möglichkeit der Türkei für einen Vollbeitritt zur Europäischen Union im derzeitigen Stadium". Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch warnte, mit Erdogan könne es keine Lösung für Europa geben. "Es droht uns ein schmutziger Deal", warnte sein Amtskollege Anton Hofreiter von den Grünen.

In Deutschland kommen durch die weitgehende Abriegelung der Balkanroute so wenige Flüchtlinge an wie seit Monaten nicht mehr. Bis Mitte März reisten 3708 Migranten ein, wie aus Zahlen der Bundespolizei hervorgeht. Im Schnitt waren dies 247 Flüchtlinge pro Tag. Am Dienstag seien bundesweit 83 Personen und in Bayern 41 Menschen illegal über die Grenze gekommen, sagte ein Sprecher der Behörde am Mittwoch in Potsdam. Dies war der niedrigste Wert in diesem Jahr.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Finanzen
Finanzen Elterngeld: Warum oft eine Steuernachzahlung droht
12.07.2025

Das Elterngeld soll junge Familien entlasten – doch am Jahresende folgt oft das böse Erwachen. Trotz Steuerfreiheit lauert ein...

DWN
Finanzen
Finanzen Krypto ersetzt Börse: Robinhood bietet Token-Anteile an OpenAI und SpaceX
12.07.2025

Die Handelsplattform Robinhood bringt tokenisierte Beteiligungen an OpenAI und SpaceX auf den Markt. Doch was wie ein Investment klingt,...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Meta-KI: Facebook-Mutter wirbt KI-Top-Talente von OpenAI ab – Altman schlägt Alarm
12.07.2025

Der KI-Krieg spitzt sich zu: Meta kauft sich Top-Talente, OpenAI wehrt sich mit Krisenurlaub – und Europa droht im Wettrennen um die...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Deindustrialisierung: Ostdeutsche Betriebsräte fordern Ende von Habecks Energiewende - Industriestandort gefährdet
11.07.2025

Nach dem Verlust von über 100.000 Industriearbeitsplätzen richten ostdeutsche Betriebsräte einen dramatischen Appell an Kanzler Merz....

DWN
Technologie
Technologie Start-up ATMOS Space Cargo setzt neue Maßstäbe: Deutsche Logistik erobert den Weltraum
11.07.2025

Fracht ins Weltall zu bringen, ist eine Herausforderung. Eine noch größere ist es, sie wieder unversehrt zur Erde zurückzubringen....

DWN
Finanzen
Finanzen JP Morgan-CEO Jamie Dimon rechnet mit Europa ab: „Europa verliert“
11.07.2025

Jamie Dimon, CEO von JP Morgan und einer der mächtigsten Akteure der US-Wirtschaft, warnt europäische Politiker: Der Kontinent droht...

DWN
Immobilien
Immobilien Mietpreisbremse bleibt bestehen: Bundesjustizministerin Hubig kündigt Bußgeldregelung an
11.07.2025

Die Mietpreisbremse wird verlängert – doch ist das genug, um Mieter wirklich zu schützen? Während die Politik nachjustiert, plant das...

DWN
Politik
Politik Trump: Wir schicken Waffen, die NATO zahlt
11.07.2025

Erst Stopp, dann Freigabe: Trump entscheidet über Waffen für Kiew – und kündigt neue Schritte gegen Russland an. Bezahlen will er das...