Österreichs neuer Regierungschef Christian Kern gibt den bisherigen Kurs einer strikten Abgrenzung der Sozialdemokraten zur FPÖ auf. Der 50-jährige Quereinsteiger aus der Wirtschaft kann sich eine Zusammenarbeit mit den Freiheitlichen unter gewissen Bedingungen vorstellen, wie er am Dienstag vor Journalisten sagte. Sein Vorgänger, der in der Vorwoche zurückgetretene SPÖ-Parteichef und Kanzler, Werner Faymann, hatte eine Koalition mit der FPÖ stets strikt ausgeschlossen.
Für eine Zusammenarbeit müssten gewisse Grundsätze gelten, „die auch immer vor einem Machterhalt stehen müssen“, sagte der bisherige Bahnmanager Kern unmittelbar vor seiner Vereidigung als Bundeskanzler durch Bundespräsident Heinz Fischer am Dienstag in Wien. „Wir arbeiten nicht mit Parteien zusammen, die gegen Menschen und Minderheiten hetzen“, nannte er eine Bedingung. Klar sei für den neuen Kanzler aber, dass es bei der Frage nach einer möglichen FPÖ-Koalition neue Antworten brauche. Ziel müsse es sein, akzentuierte Politik zu machen und trotzdem „hie und da Kompromisse“ einzugehen, sagte Kern, der am Dienstagnachmittag von Bundespräsident Heinz Fischer vereidigt wurde.
Der künftige SPÖ-Vorsitzende verwies auch darauf, dass die Abgrenzung zur FPÖ schon heute nicht in allen SPÖ-Teilorganisationen gelebt werde. Im Burgenland arbeitet die SPÖ bereits seit der letzten Regionalwahl mit der FPÖ zusammen. Derzeit sei die Frage auf Bundesebene aber „obsolet“. „Für mich ist ganz klar, wir wollen die ÖVP als Koalitionspartner behalten“, sagte Kern mit Blick auf den konservativen Koalitionspartner. Planmäßig finden die nächsten Parlamentswahlen 2018 statt. Vorzeitige Neuwahlen werden von SPÖ und ÖVP derzeit ausgeschlossen. Kern will die SPÖ jedenfalls als Sieger aus der nächsten Wahl führen. „Wir wollen stärkste Kraft in diesem Land bleiben. Wenn uns das gelingt, werden wir zu definieren haben, mit wem wir zusammenarbeiten“, sagte Kern.
Der neue Kanzler will vor allem die „schlechte Stimmung im Land drehen“. „Wenn wir jetzt nicht kapiert haben, dass das unsere letzte Chance ist, werden die beiden Großparteien von der Bildfläche verschwinden.“ Die Kandidaten von SPÖ und ÖVP waren Ende April in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl weit abgeschlagen gelandet. Als Sieger ging der von der FPÖ ins Rennen geschickte Kandidat, Norbert Hofer, hervor. Mit seinem Anti-EU-Kurs und seiner Forderung nach einer strengeren Asylpolitik kam der 45-jährige auf gut 35 Prozent der Stimmen. Hofer tritt am Sonntag in einer Stichwahl gegen den 72-jährigen Ex-Parteichef der Grünen, Alexander Van der Bellen, an. Hauptthema im Wahlkampf ist die Flüchtlingspolitik.
Die große Koalition verkündete zwar Anfang des Jahres eine Obergrenze bei der Aufnahme und brachte mit Hilfe anderer Balkanstaaten den Zustrom von Migranten durch strengere Einreisebestimmungen nahezu zum Erliegen. Bei den Wählern punkteten ÖVP und SPÖ damit trotzdem nicht, während die FPÖ mit ihrer Forderung nach kompletten Grenzschließungen erfolgreicher war. Diesen Trend will die SPÖ nun mithilfe Kerns stoppen. Den bisherigen restriktiven Kurs in der Asylpolitik will Kern fortführen.
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