Politik

Österreich: Historische Chance auf ersten grünen Präsidenten

Der FPÖ-Kandidat Norbert Hofer hat zwar die erste Runde in der österreichischen Präsidentschaftswahl gewonnen. Doch trotz der allgemeinen Panik-Mache gegen die FPÖ gibt es gute Gründe, mit einem Sieg des Grünen Alexander Van der Bellen zu rechen. Auch dies wäre eine Zäsur in Österreich.
21.05.2016 18:04
Lesezeit: 2 min

Es gibt viele gute Gründe, bei der Bundespräsidenten-Wahl in Österreich eher mit einem Sieg des Grünen Alexander Van der Bellen zu rechnen als mit dem von vielen vorhergesagten FPÖ-Triumph für Norbert Hofer. Die Gründe sind einfach: Obwohl Hofer im ersten Wahlgang mit 35 Prozent einen klaren Sieg landete und Van der Bellen mit 21 Prozent deutlich hinter sich ließ, wird die Stichwahl am Sonntag anderen Gesetzen folgen.

Entscheidend könnten die Wähler der unabhängigen Irmgard Griss sein, die im ersten Durchgang 19 Prozent erreichte. Griss hat wenige Tage vor der Entscheidung ihre Zurückhaltung aufgegeben und eine Wahlempfehlung für Van der Bellen ausgegeben. Ihre Unterstützer hatten sich zwar auch über die Parteien-Wirtschaft in Österreich geärgert, doch anders als die FPÖ-Wähler stellen die Griss-Wähler das System nicht in Frage. Viele haben Griss gewählt, weil es tatsächlich zeitgemäß gewesen wäre, dass endlich einmal eine Frau als Staatsoberhaupt gewählt wird. Solche Werte sind eher grünen und liberalen Wählern wichtig, weshalb davon auszugehen ist, dass die überwiegende Mehrheit Van der Bellen und nicht Hofer wählen wird.

Die beiden Regierungsparteien waren im ersten Durchgang mit etwa 11 Prozent dramatisch abgestürzt. Die ÖVP-Wähler dürfte eher dem ruhigen Van der Bellen gewogen sein – zumal dessen Positionen ihren Vorstellungen durchaus entsprechen: So ist Van der Bellen kein Verfechter der österreichischen Neutralität, sondern könnte sich für das Land, gegen alle grünen Traditionen, auch die Zugehörigkeit in einem westlichen Militärbündnis vorstellen. Die SPÖ-Wähler dürften dagegen gespalten sein: Die Arbeiter sind längst zur FPÖ abgewandert, und in den vergangenen Wochen hatten sich die Gewerkschaften massiv gegen ein Ende der Ausgrenzung und für eine Koalitionsoption mit der FPÖ ausgesprochen. Allerdings dürften viele SPÖ-Wähler nach dem überraschenden „fliegenden Wechsel“ an der Spitze der Bundesregierung Angst vor Neuwahlen haben und daher mit Van der Bellen auf Nummer Sicher gehen wollen.

Bleiben die Unentschlossenen bzw. die Nichtwähler: Eine mit 30 Prozent sehr große Zahl. Die ersten Briefwahlstimmen lassen darauf schließen, dass etwa 15 Prozent mehr zur Wahl gehen werden. Briefwähler zählen in Österreich traditionell eher zu grünen, bürgerlichen und linken Parteien.

Wenn man diese Tendenzen summiert, stellt sich folgendes Ergebnis als denkbar heraus, wobei zahlreiche Wähler aus dem ersten Wahlgang nicht oder ungültig wählen dürften:

Hofer: 35 + 4 ÖVP + 5 SPÖ + 2 Nichtwähler = 46%

Van der Bellen: 21 + 18 Griss + 5 SPÖ + 5 ÖVP + 5 Nichtwähler = 54%

Dieses Ergebnis wäre in jedem Fall eine Zäsur für Österreich: Erstmals wird ein Grüner und Oppositionspolitiker Bundespräsident. Für die FPÖ wäre auch dieses Ergebnis ein Erfolg: Hofer hatte bereits mit seinen 35 Prozent mehr erreicht als je ein FPÖ-Kandidat auf Bundesebene zuvor.

Dieses Ergebnis könnte für die kommenden Nationalratswahlen für die FPÖ eher hilfreich sein: Sie könnte ihre Kampagne komplett auf den Kampf gegen das Establishment einstellen und damit den Trend der Umfragen als stärkste Partei auch tatsächlich in ein Wahlergebnis umsetzen.

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