Politik

Merkel muss in China für Europa kämpfen

Kanzlerin Merkel reist nach China. Aufgrund der Spannungen zwischen USA und China erwarten Analysten eine harte Haltung gegen Peking. China wiederum will von der EU als Marktwirtschaft anerkannt werden. Doch dann könnte die EU kaum noch Schutzzölle gegen chinesische Waren erheben, was eine Bedrohung für heimische Branchen darstellen würde.
10.06.2016 20:57
Lesezeit: 3 min

Inmitten des Konflikts zwischen China und den USA reist Kanzlerin Angela Merkel nach China. Zuletzt hatte es vor allem im Südchinesischen Meer militärische Spannungen zwischen den USA und China gegeben. Washington glaubt, dass China mit den künstlichen Inseln große Teile des Südchinesischen Meeres unter seine militärische Kontrolle bringen will. Peking betont dagegen, dass die Inseln auch für zivile Zwecke genutzt werden sollen. China habe „historische“ Ansprüche auf das Gebiet, das über 1000 Kilometer vom chinesischen Festland entfernt liegt. Daher ist es wenig erstaunlich, dass nun Experten auch Deutschland vor zu engen Beziehungen warnen.

Nach Ansicht des Direktors des Mercator Institute for China Studies (Merics) muss Kanzlerin Angela Merkel gegen China hart auftreten. Zugeständnisse gegenüber der chinesischen Führung wären ein fatales Signal der Bundesregierung und der deutschen Wirtschaft, die sich am Samstag in großer Delegationsstärke nach Peking aufmachen. Am Montag werden dort die vierten deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen seit 2011 ausgerichtet. China gehört zu den größten und wichtigsten Partnern Deutschlands. Und zu den schwierigsten.

Es gehe nicht nur darum, dass sich die Lage für Menschenrechtler und auch deutsche Investoren in China verschlechtert habe, sagt Sebastian Heilmann. China versuche nun auch noch, über Druck und Drohungen gegen Politiker und Organisationen im Ausland – auch in Deutschland – eine kritische Auseinandersetzung zu verhindern. Heilmanns Kollegin Kristin Shi-Kupfer spricht von einem „Gerüst wie ein Käfig“.

„Im Vergleich zu allen anderen Regierungschefs war sie bisher die Hartleibigste“, erkennt Heilmann an. Peking habe immer versucht, das von Merkel angesprochene Thema Menschenrechte kleinzuhalten. „Aber das ist nicht gelungen.“ Er setzt weiter auf ihre Konfliktfähigkeit: „Ohne harte Gegenwehr wird es nicht mehr gehen.“

Merkel dürfte auch kaum versäumen, bei Ministerpräsident Li Keqiang den Fall Michael Brand anzusprechen. Peking hatte Merkels Parteikollegen und Vorsitzenden des Menschenrechtsausschusses des Bundestages im Mai das Visum verweigert. Der Grund: Der Christdemokrat hatte die Aufforderung des chinesischen Botschafters in Deutschland abgelehnt, kritische Tibet-Artikel von seiner Homepage zu löschen. Die Folge: Der Ausschuss konnte nicht nach China und Tibet reisen. Der Menschenrechtsdialog liegt damit praktisch auf Eis, was China wohl nur recht ist. 2015 wurden zahlreiche Rechtsanwälte verhaftet, laut MERICS sind etliche von ihnen bis heute verschwunden.

Die Streitigkeiten in den Wirtschaftsbeziehungen rütteln an den Grundlagen des bislang so guten Verhältnisses zwischen Deutschland und China. Und von den USA bis Japan sehen westliche Staaten Chinas „kontrolliert-aggressive“ (Heilmann) Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer mit Sorge. Peking schreibe der Bundesregierung da eine Mittlerposition zu. Deutschland habe durch langjährige, enge Kooperation diplomatisches Kapital und Vertrauen aufgebaut. Merkels Regierung wolle mäßigend auf China einwirken, sagt Heilmann. Aber die Lage könne „immer weniger durch diplomatische Formelkompromisse beschönigt werden“.

Viel wirkungsvoller seien da solch überraschende Signale wie vom G7-Gipfel im Mai in Japan, als China Grenzen aufgezeigt wurden. Ohnehin mahnt Heilmann: „Never face China alone“. Niemals Alleingänge gegen China durchfechten, lieber kollektiv agieren. Das sei die neue Chance. Der Wirtschaftsbereich war in dem deutsch-chinesischen Verhältnis lange ein sicherer Hafen, aber nun wird das China-Geschäft härter. Deutsche Unternehmer sind frustriert, die Wettbewerbsbedingungen verschieben sich zu ihrem Nachteil, während das Wachstum der zweitgrößten Volkswirtschaft spürbar nachlässt.

Aus europäischer Sicht ist nicht der Disput um das Südchinesische Meer das Problem, sondern das Bestreben Chinas, von der EU als Marktwirtschaft anerkannt zu werden. Empört warnt China jetzt sogar vor einem Handelskrieg, falls es nicht wie versprochen bis Jahresende von Europa als Marktwirtschaft eingestuft werde. Das würde ihm besseren Schutz gegen teure Klagen wegen unfairer Handelspraktiken bieten. Auf der anderen Seite wächst in Deutschland der Widerstand gegen chinesische Investitionen, wie die Diskussion um die Übernahme des Roboterbauers Kuka zeigt.

Beklagt wird die Ungerechtigkeit, dass chinesische Unternehmen frei in Deutschland investieren können, während in China der Marktzugang noch kleiner wird und „informeller Protektionismus“ wächst. Auch die von Peking geförderte Strategie, dass chinesische Unternehmen mit billigen Krediten staatlicher Banken hohe Angebote machen und Wettbewerber aus dem Rennen werfen können, um sich ausländische Hochtechnologie zu sichern, sorgt für Irritationen.

Björn Conrad von MERICS warnt, damit könnten heruntergewirtschaftete Betriebe auf „Shoppingtour“ gehen, später aber einmal Lieferengpässe haben. Das könne auf deutsche Firmen zurückschlagen. Darauf sei Deutschland aber schlecht vorbereitet.

Daher wäre es aus EU-Sicht wichtiger, wenn Kanzlerin Merkel die diesbezüglichen Forderungen der Mercator-Experten aufgreifen würde. „Es dürfte erheblich schwerer werden, künftig Anti-Dumping-Zölle auf billige chinesische Importe zu erheben. Ohnehin schon angeschlagenen europäischen Branchen könnte ein neuer Preiskrieg drohen“, berichtet das Mercator Institute for China Studies (MERICS). China den Marktwirtschaftsstatus zu gewähren, darf für die EU kein Automatismus sein, warnen die MERICS-Autoren.

Berlin, 10. Jun (Reuters) - Die deutsche Industrie hat Probleme in den Beziehungen zu China eingeräumt, aber vor einer Zuspitzung der Debatte gewarnt. "Wir haben eine schwierige Situation mit China", sagte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Markus Kerber, der Nachrichtenagentur Reuters am Freitag. Das Land sei in "einer Phase des Übergangs". Dies führe aber dazu, dass etwa Chinas Exporte im Stahlbereich nicht mit den WTO-Regeln vereinbar seien. "Dagegen müssen wir uns wehren", sagte Kerber. "Man muss das sehr offen ansprechen", fügte er mit Blick auf die deutsch-chinesischen Regierungsberatungen am Montag hinzu.

Die deutsche Wirtschaft beharre darauf, dass China den deutschen Firmen die gleichen Bedingungen bieten müsse, wie sie chinesische Firmen in Deutschland haben. "Wenn uns in China ein Unternehmen gefällt, können wir es nicht vollständig übernehmen", kritisierte er. Übernahmeprojekte chinesischer Firmen in Deutschland, etwa des Flughafens Hahns, hatten in jüngster Zeit für Diskussionen gesorgt.

Gleichzeitig warnte Kerber aber vor einer Zuspitzung der Debatte. Man sei nicht in einem Handelskrieg mit China und wolle diesen auch nicht.

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