Nach Einschätzung von Beratern wird diese Spielwiese im kommenden Jahrzehnt zu einem Milliardengeschäft, um das sich die Autokonzerne mit Größen aus der IT- und Internetbranche wie Uber, Google und Apple reißen werden. Und wer da nicht früh dabei ist, wird in der Zukunft zu den Verlierern gehören.
Die Frage sei nicht, was man heute mit Mobilitätsdiensten verdienen könne, bekannte etwa Daimler-Chef Dieter Zetsche auf einer Internet-Konferenz in Berlin. „Jetzt fragt man besser, wie man in Zukunft noch ohne diese Dienste Geld verdienen will.“ Die Autoindustrie verändere sich gerade dramatisch, sie erlebe eine Revolution, erklärte Zetsche. Dabei sieht es auf den ersten Blick ja so aus, als ob sich die Autobauer selbst abschaffen wollten: Sie engagieren sich gerade bei jenen Diensten, die den Bedarf an Neuwagen in Ballungsräumen sinken lassen. Aber auch nach den Worten von BMW-Chef Harald Krüger gibt es keine Alternative: „Ohne Innovation sind wir tot“, warnte er kürzlich auf einer Konferenz von „Automotive News Europe“ in München.
Eine Studie der Unternehmensberatung Roland Berger sagt eine enorme Marktverschiebung voraus: Die private, individuelle Autonutzung werde bis 2030 von einem Anteil von heute 70 Prozent an allen gefahrenen Strecken auf rund 45 Prozent sinken, während 30 Prozent in autonom fahrenden Carsharing-Fahrzeugen zurückgelegt würden. Diesen Durchbruch für Mobilitätsdienste erwartet Roland Berger, sobald selbstfahrende Autos Verbreitung finden und als Flotte für Fahrdienste genutzt werden. Der Computer am Steuer würde es ermöglichen, einen Mietwagen in der Stadt herbeizurufen. Autos könnten zu Transportboxen werden und fahrerlos alte Menschen oder Behinderte befördern, die keinen Führerschein haben. Dabei seien die traditionellen Autobauer Verlierer, wenn sie nicht selbst die Flotten betrieben. Auf „Robocabs“ entfielen dann 40 Prozent des Gewinns der Automobilbranche, während sich der Anteil der Hersteller auf 20 Prozent halbiere.
Aber auch ohne Robocabs wird unter den Anbietern kräftig ausgesiebt werden, erwartet Autoexperte Juergen Reiner von der Unternehmensberatung Oliver Wyman. Je Ballungsgebiet werde es in zehn, fünfzehn Jahren nur noch einen oder zwei Konkurrenten geben statt rund 15 Carsharing-Angebote heute. Deshalb gelte es jetzt, so viele Kunden wie möglich zu gewinnen, um künftig mit dem Verkauf von Servicepaketen Geld zu verdienen. „Das ist eine Bedrohung für die Hersteller, weil es ein Spiel ist nach dem Motto 'The winner takes it all'“.
BMW und Daimler haben den Trend schon länger kommen sehen. Ende des vergangenen Jahrzehnts ging BMW mit dem Carsharing-Dienst „DriveNow“ auf den Markt. Unter dem Namen „Now“ rollen die Münchner noch mehr Services aus: Neben dem Carsharing auch die Vermittlung von Parkplätzen oder Ladestellen für Elektroautos. Der Rivale aus Stuttgart bietet mit dem Stadtflitzer Smart als Flottenfahrzeug unter der Marke „car2go“ stationsunabhängiges Carsharing an. Eine Verknüpfung mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder Taxis bietet die Plattform „moovel“. Zudem gehört Daimler seit 2014 die Taxi-App „mytaxi“.
Volkswagen kam mit seinem Carsharing-Angebot Quicar, bei dem Autos an feste Stationen gebunden sind, nicht so recht vom Fleck. Zu Jahresbeginn ging es im niederländischen Anbieter Greenwheels auf. Jetzt beteiligt sich der Wolfsburger Konzern am Uber-Konkurrenten Gett. Die Flotte von Gett soll zum Testen des pilotierten Fahrens genutzt werden.
Unterdessen bilden sich auch Partnerschaften zwischen der Autoindustrie und den digitalen Spielern. So beteiligt sich der VW-Rivale Toyota an Uber. Der Online-Mitfahrdienst aus Kalifornien vermittelt per Smartphone-App Fahrgäste an private Chauffeure. Uber-Fahrer können unter Verrechnung ihrer Chauffeur-Einnahmen künftig Autos bei Toyota leasen. Zudem wollen die Unternehmen, die beide an selbstfahrenden Autos und Mobilitätsdiensten arbeiten, bei der Entwicklung kooperieren.
Fiat Chrysler vereinbarte bereits mit Google, 100 selbstfahrende Minivans gemeinsam zu bauen. Der US-Internetkonzern setzt beim Entwickeln selbstfahrender Fahrzeuge auf Partner in der Autoindustrie, wie Google-Manager John Krafcik kürzlich erklärte. „Wir sprechen noch mit verschiedenen Autoherstellern“, sagte er. Im Silicon Valley beschäftige sich die Hälfte aller Startups mit Mobilität, erklärte BMW-Vertriebschef Ian Robertson. Die Autoindustrie werde schneller, unwägbarer - und weniger planbar als in der Vergangenheit. Die Münchner beteiligen sich in den USA am Carpooling-Service Scoop.
Zurzeit herrsche Chaos in der Branche, beschreibt Gabriel Seiberth, Autoexperte von Accenture, die Situation. Jeder Autobauer beteilige sich an Startups. „Die Industrie ist noch in der Experimentierphase - sie haben das Problem verstanden, aber sie wissen noch nicht, wohin die Reise geht“, sagte er.