Die britische Notenbank hält trotz der Nachwehen des Brexit-Votums überraschend am Leitzins fest. Die Währungshüter beließen den Schlüsselsatz zur Versorgung der Geschäftsbanken mit Geld am Donnerstag auf dem Rekordtief von 0,5 Prozent. Die Finanzmärkte hatten sich fest auf eine Senkung eingestellt, mit der eine drohende wirtschaftliche Talfahrt abgefedert werden könnte. Nach dem britischen Referendum für einen EU-Austritt vom 23. Juni befürchten viele Ökonomen, dass das Land auf eine Rezession zusteuert. Das Pfund ist bereits abgestürzt. Mit niedrigeren Zinsen verbilligen sich tendenziell Kredite, womit die Wirtschaft in der Regel besser in Gang kommt.
Der überraschende Verzicht der Bank von England auf eine Zinssenkung hat dem Pfund Sterling am Donnerstag Auftrieb gegeben. Es verteuerte sich binnen Minuten um rund einen US-Cent auf 1,3346 Dollar. Offenbar deckten sich nun diejenigen, die auf eine Zinssenkung und weiter fallende Kurse gewettet hatten, wieder mit der Währung ein, um ihre Verluste zu minimieren, sagte Analyst Fawad Razaqzada vom Handelshaus Forex.com.
Britische Anleihen warfen Investoren ebenfalls aus ihren Depots. Dies trieb die Rendite der zehnjährigen britischen Papiere auf 0,799 von 0,747 Prozent. Die Attraktivität von Aktien ging ebenfalls zurück: Der Londoner Auswahlindex FTSE und der Dax halbierten ihre anfänglichen Gewinne und lag nur noch 0,4 und 0,7 Prozent im Plus. Die Bankenwerte an der Londoner Börse reagierten kaum – die wichtigsten Aktien der Großbanken liegen nach wie vor rund ein Prozent im Plus. Der britische Leitindex FTSE100 verlor rund 35 Punkte, der Schweizer Leitindex SMI verlor innerhalb weniger Minuten rund 30 Punkte und fiel in negatives Terrain und auch der Dax verlor rund 50 Punkte.
Ökonomenstimmen zur Entscheidung:
NICK KOUNIS, ABN AMRO:
"Wir gehen davon aus, dass ein aggressiver geldpolitischer Stimulus im nächsten Monat sehr wahrscheinlich bleibt. Wir erwarten eine Zinssenkung um 25 Basispunkte und ein Anleihenkaufprogramm über 150 Milliarden Pfund zwischen September 2016 und Juni 2017. Zudem dürfte es eine Neuauflage des Förderprogramms für Bankenkredite geben."
KALLUM PICKERING, BERENBERG BANK:
"Die Notenbank wartet ab und will noch mehr Konjunkturdaten sammeln. Die Details der Protokolle signalisieren eine laxe Geldpolitik. Die meisten Mitglieder des geldpolitischen Ausschusses werden im August wohl für mehr Stimulus votieren - definitiv für eine Zinssenkung und vielleicht sogar auch für eine weitere geldpolitische Lockerung (QE)."
THOMAS GITZEL, VP BANK, LIECHTENSTEIN:
"Die britischen Notenbanker tun gut daran, den Leitzins unverändert zu lassen. Die wirtschaftlichen Auswirkungen des Brexit-Entscheids sind noch unklar. Darüber hinaus werden die Inflationsraten aufgrund des auslaufenden preisdämpfenden Effektes des Ölpreisrückgangs in den kommenden Monaten in höhere Gefilde gehen. Leitzinssenkungen sind speziell aber für Großbritannien ein zweischneidiges Schwert.
Das Vereinigte Königreich weist einen negativen Leistungsbilanzsaldo von über fünf Prozent des BIP aus. Das Loch in der Leistungsbilanz will mit Kapitalzuflüssen gespeist werden. Niedrige Leitzinsen machen aber eine Kapitalanlage in Großbritannien unattraktiv, was die Finanzierung des Defizites gefährdet. Zinssenkungen könnten also an den Finanzmärkten auch mit Argwohn aufgenommen werden. Für das britische Pfund wären dies keine guten Nachrichten. Sollten die Notenbanker im August mit weiteren Maßnahmen aufwarten, muss dies also nicht unbedingt eine gute Nachricht für die Wirtschaft des Vereinigten Königreiches ein. Das Leistungsbilanzdefizit wiegt schwer."
HOLGER SANDTE, NORDEA BANK:
"Die Bank of England hatte drei Möglichkeiten: Jetzt zunächst nichts tun, die Geldpolitik leicht lockern oder aber kräftig. Sie hat sich - für mich überraschend - für Stillhalten entschieden, was das Pfund gestärkt hat. Das Stillhalten ergibt durchaus Sinn, denn es enthält die Botschaft: 'Keep calm and carry on!' Wahrscheinlich wird die Bank of England im August den Leitzins senken, wenn bis dahin deutliche Anzeichen einer Verlangsamung der Konjunktur vorliegen."