Finanzen

Großbritanniens Wirtschaft am Rande einer Rezession

Die harten Tage, die Premierministerin May angekündigt hatte, kommen offenbar früher als erwartet: Die britische Wirtschaft ist in einem schlechten Zustand. Das Vertrauen der Konsumenten ist gering.
30.07.2016 22:54
Lesezeit: 2 min

Die britische Wirtschaft befindet sich in Turbulenzen. Die Großbank Lloyds forciert ihren Sparkurs, berichtet Reuters. Sie will weitere 3000 Jobs streichen sowie 200 Filialen schließen, wie das führende Privatkundeninstitut Großbritanniens am Donnerstag mitteilte. Das Management der Bank sprach von einer großen Unsicherheit nach dem Referendum.

Das entsprechende Barometer des Instituts YouGov fiel im Juli auf den tiefsten Stand seit drei Jahren. „Die Öffentlichkeit ist immer noch mit dem Verarbeiten des EU-Referendums beschäftigt, aber das Verbrauchervertrauen ist einen Monat nach der Abstimmung eindeutig auf Talfahrt gegangen“, erklärten die Forscher. Die Briten sorgten sich vor allem um den Wert ihrer Eigenheime. Dies könne sich stark auf den Immobiliensektor und die Konjunktur des Landes mit dem führenden Finanzstandort London auswirken.

Manche Ökonomen gehen sogar davon aus, dass Großbritannien auf eine Rezession zusteuert. Experten erwarten daher, dass die Notenbank zur Stützung der Wirtschaft nächste Woche zu einem geldpolitischen Feuerwehreinsatz ausrücken wird. Sie könnte die Zinsen erstmals seit März 2009 senken und die Geldschleusen weiter öffnen. Darauf deuten auch die Äußerungen des Währungshüters Martin Weale hin, den die jüngsten Daten aus der Industrie und dem Dienstleistungssektor aufgeschreckt haben. Laut der Umfrage des Instituts IHS Markit unter rund 1000 Firmen hat das EU-Austrittsvotum die Wirtschaft so scharf abstürzen lassen wie seit dem Höhepunkt der globalen Finanzkrise Anfang 2009 nicht mehr.

Bei den britischen Banken würde sich im Falle einer Rezession im Heimatmarkt ein Kapitalloch von 68 Milliarden Pfund (etwa 81 Milliarden Euro) auftun. Zu diesem Ergebnis kommt die Ratingagentur Moody's in einer am Donnerstag veröffentlichten Studie. Sie rechnete für die Geldhäuser im Königreich einen eigenen Stresstest durch. Das hypothetische Szenario: Nach dem Votum der Briten für einen Austritt aus der Europäischen Union stürzt das Land in eine tiefe Wirtschaftskrise. Das würde auch die Bankbilanzen schwer belasten, schrieben die Analysten. Der Anteil der faulen Kredite würde bis 2018 auf 4,9 Prozent steigen, von zwei Prozent im Jahr 2015. Die Kernkapitalquote - unter voller Anwendung der künftig strengeren Vorgaben der Regulierer - würde im Schnitt sinken auf 10,9 Prozent von 16,2 Prozent.

Auch die britischen Autobauer blicken mit bangem Blick in die Zukunft. Der Chef des Branchenverbandes SMMT, Mike Hawes, mahnte, es müsse gelingen, den uneingeschränkten Zugang zum europäischen Binnenmarkt zu erhalten. Nur dann seien das weitere Wachstum und Tausende Jobs gesichert. Die Autoindustrie hatte sich geschlossen für den Verbleib des Landes in der Europäischen Union ausgesprochen. Sie exportiert mehr als die Hälfte ihrer Wagen in die EU.

Die neue Premierministerin Theresa May hat mehrfach betont, dass sie den Zugang zum Binnenmarkt auch nach einem Brexit erhalten will. Zugleich pocht sie aber auf eine gedrosselte Einwanderung von EU-Ausländern. Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer ist jedoch eine der vier Grundvoraussetzungen für die Teilnahme am Binnenmarkt und dürfte deshalb einer der Hauptstreitpunkte werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte „Rosinenpickerei“ in den Verhandlungen mit der Europäischen Union für den Fall eines Austritts ausgeschlossen.

Auch in Deutschland sehen erfolgsverwöhnte Branchen wie der Maschinen- und Anlagenbau die Lage nach dem Referendum nicht mehr ganz so rosig wie zuvor: „Die jüngsten politischen Entwicklungen, darunter der Brexit und der Putschversuch in der Türkei, mahnen zur Vorsicht“, sagte Branchenverbandschef Ralph Wiechers. Für die Maschinenbauer ist das Auslandsgeschäft von großer Bedeutung. Großbritannien rangiert dabei unter den Top-Absatzmärkten.

Die Deutsche Börse hat hingegen vom Brexit-Votum zumindest kurzfristig profitiert. Wegen des lebhaften Derivate-Handels rund um das Referendum kletterte der Betriebsgewinn im zweiten Quartal um acht Prozent. Die geplante Fusion mit der London Stock Exchange LSE ist nun allerdings deutlich komplizierter geworden. Deutsche Börse und LSE beraten derzeit über Anpassungen an dem Deal, um den Aufsichtsbehörden trotz des Brexit-Votums grünes Licht zu bekommen.

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