Politik

Nach den USA reichen auch Merkel und die EU Erdogan die Hand

Lesezeit: 2 min
03.09.2016 01:55
Deutschland und die EU vollziehen nach Einschätzung der türkischen Medien einen Kurswechsel im Verhältnis zur Regierung des türkischen Präsidenten Erdogan. Nachdem sogar schon vom Ende der Beitrittsverhandlungen die Rede war, sind deutsche und EU-Politiker plötzlich wieder offen für Gespräche. Die USA und Russland waren bereits vor Wochen auf Erdogan zugegangen, der nach dem Putsch deutlich gestärkt ist.
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Nach dem Putsch hatte sich die US-Regierung wie auch Russland mehr oder weniger unzweideutig auf die Seite Erdogans gestellt. Der amerikanische Vizepräsident Joe Biden war nach Ankara gereist, Russlands Präsident Wladimir Putin hatte Erdogan in Moskau empfangen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel will nun ebenfalls wieder mit der Türkei ins Gespräch kommen. Merkel widersprach am Freitag auf RTL zwar einem Spiegel-Bericht, wonach die Bundesregierung aus Rücksicht auf Ankara zur Armenien-Resolution des Bundestags auf Distanz gehen wolle. Zugleich stellte sie jedoch klar, dass sie sich juristisch an die Entschließung des Parlaments nicht gebunden fühlt. Merkel hatte bei der Abstimmung nicht teilgenommen.

Die Kanzlerin wird den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan beim G20-Gipfel erstmals wiedersehen, der an diesem Wochenende in China beginnt. In der Resolution hatte der Bundestag die Massaker an bis zu 1,5 Millionen Armeniern 1915/16 im Osmanischen Reich als „Völkermord“ bezeichnet. Deshalb ist das Verhältnis zur Türkei seit Anfang Juni schwer belastet.

Zudem ist Ankara verstimmt, weil sich seit dem gescheiterten Putsch Mitte Juli kein hochrangiges deutsches Regierungsmitglied blicken ließ.

Regierungssprecher Steffen Seibert sagte am Freitag, dass die Resolution keine rechtliche Bindung habe. Er sprach von einer „Mitverantwortung, unter Umständen sogar Mitschuld, am Völkermord an den Armeniern“. Der Regierungssprecher erinnerte daran, dass Merkel zwar ebenso wie andere Regierungsmitglieder an der Abstimmung im Bundestag nicht teilgenommen hatten, zuvor aber in der Unionsfraktion für die Resolution gestimmt habe.

Die aktuelle Stellungnahme der Bundesregierung zur Armenien-Resolution des Bundestages wird in türkischen Regierungskreisen begrüßt. „Wir sehen das generell eher positiv“, sagte der Sprecher der türkischen Botschaft in Berlin, Refik Sogukoglu, den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Sogukoglu verwies insbesondere auf zwei Bemerkungen des Regierungssprechers. „Wir schätzen Seiberts Aussage, dass den Gerichten die Entscheidung obliegt, was Völkermord ist – und nicht dem Parlament“, betonte er. „Darüber hinaus stimmen wir Seiberts Bewertung zu, dass die Bundesregierung nicht immer die gleiche Meinung haben muss wie der Bundestag.“

Die türkischen Medien sehen in den Aussagen des Regierungssprechers einen klaren Schwenk der Bundesregierung. Die regierungsnahe Zeitung Stargazete titelt: „Deutsche Bundesregierung macht bei Armenier-Frage einen Schritt zurück“. Die Zeitung Takvim titelt: „Merkel macht einen Schritt zurück“. Die Hürriyet berichtet, dass die „deutsche Bundesregierung sich von der Armenien-Resolution distanziert“.

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier sagte in Berlin am Rande eines Treffens mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, es gebe „zur Zeit viele Reibungsflächen“ im Verhältnis zur Türkei. „Selbstverständlich ist es auch Aufgabe der Außenpolitik, solche Reibungsflächen, wo sie bestehen, zu vermindern“, meint Steinmeier.

Scharfe Töne kamen von der Linken. Die türkenkritische Abgeordnete Ulla Jelpke sprach auf Grundlage des Spiegel-Berichts von einem peinlichen Kniefall Merkels vor dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.

Doch auch die EU nimmt einen Positionswechsel gegenüber der Türkei vor. Die Financial Times berichtet, dass die EU-Minister darum bemüht seien, das Verhältnis zur Türkei erneut zu verbessern. Der slowakische Außenminister Miroslav Lacjak sagte am Freitag, dass das Verhältnis zwischen der EU und der Türkei normalisiert werden müsse. „Die Türkei ist ein wichtiger Partner der EU“, zitiert Reuters Lacjak. Der italienische Außenminister Paolo Gentiloni sagte: „Ein Teil der Spannungen sind aufgrund von Missverständnisse entstanden und diese müssen wir aus dem Weg räumen“, so Gentiloni.

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, dass die Türkei ebenso wie die EU ein Interesse daran habe, pragmatische Lösungen zu finden. Der „Gesprächsfaden mit der Türkei“ dürfe nicht abgerissen werden. „Bei allen Gegensätzen muss auch ausgelotet werden, wo es Gemeinsamkeiten gibt“, so Schulz.

Am Freitag hat EU-Ratspräsident Donald Tusk den österreichischen Bundeskanzler Christian Kern telefonisch kontaktiert, berichtet Salzburg 24. Bei dem Gespräch ging es unter anderem um die „Beziehungen der EU zu Drittstaaten“, zu denen auch die Türkei gehört. Das Telefongespräch mit Kern sei „gut“ verlaufen, meldete Tusk auf Twitter. Der EU-Ratspräsident bereitet derzeit den EU-Gipfel am 16. September in Bratislava vor.

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des EU-Parlaments, Elmar Brok, ruft hingegen sowohl die EU als auch die Türkei dazu auf, verbal abzurüsten. „Wir dürfen nicht vergessen, dass das Land einen schweren Schock erlitten hat“, so Brok.

Die Washington Post berichtet, dass das aktuelle Hauptanliegen der EU-Außenminister die Verbesserung der Beziehungen zur Türkei sei.

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