Politik

Wahlen in Berlin: SPD dürfte trotz Flughafen-Debakels weiter regieren

Die SPD dürfte in Berlin weiter an der Regierung bleiben, wenngleich nicht mehr mit der CDU. Das Milliarden-Debakel des Berliner Großflughafens war im Wahlkampf kein Thema. Ironie der Geschichte: Die Piraten, die gegen den Skandal am entschiedensten gekämpft haben, dürften aus dem Abgeordnetenhaus fliegen.
18.09.2016 02:44
Lesezeit: 2 min

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Berlin könnte nach der Wahl an diesem Sonntag von der bundesweit ersten rot-grün-roten Koalition unter SPD-Führung regiert werden. Kurz vor dem Urnengang deuten alle Umfragen auf einen Koalitionswechsel hin. Regierungschef Michael Müller (SPD), der bisher ein rot-schwarzes Bündnis führt, hat gute Chancen, Chef im Roten Rathaus zu bleiben. Zugleich könnte die AfD mit einem zweistelligen Ergebnis ins Abgeordnetenhaus einziehen. Die bundesweit erste Piratenfraktion wird dafür wohl rausfliegen.

Das ist eine Ironie der Geschichte: Die Piraten hatten sich vergleichsweise engagiert zum dem Thema betätigt, etwa im Untersuchungsausschuss. Doch den Piraten ist die Luft ausgegangen, wie die kritische Website zum BER der Piraten zeigt: Die letzte Aktualisierung erfolgte im April 2015.

Die anderen Parteien haben sich dagegen die AfD als gemeinsamen Feind ausgesucht: «Ich mache mir große Sorgen, dass da ein Ungeheuer wieder aufwacht in Deutschland und das ist das Ungeheuer des Nationalismus», sagte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier bei der SPD-Kundgebung. «Wir brauchen keine AfD im Abgeordnetenhaus.» Vom BER sprach Steinmeier wohlweislich nicht.

Eine hohe Wahlbeteiligung könnte die AfD schwächen. Viele Organisationen, die eigentlich nicht Parteipolitik machen sollten, haben daher die Beteiligung für Apelle genützt: So warnen die Berliner Hochschulen in einem Appell: «Fremden- und flüchtlingsfeindliche Strömungen und Gruppierungen bedrohen nicht nur den Zusammenhalt demokratischer Gesellschaften, sondern auch die Grundpfeiler der Demokratie». Selbst die Berliner Verkehrsbetriebe riefen zum Gang an die Urne auf und posteten auf Twitter: «Wählen gehen ist wie mit BVG fahren: nur wer es macht, darf sich anschließend auch beschweren.»

Davon, dass das BER-Debakel auch die Hochschulen in eine finanzielle Misere stürzt und Innovationen bei den Verkehrsbetrieben bremst, sprachen beide Gruppen nicht. Auch darüber, dass man sich in Berliner Ämtern Monate im voraus für eine Meldebestätigung anmelden muss, spricht niemand. Bestenfalls ballen die Bürger die Faust in der Tasche. Die Hoffnung, dass irgendjemand die politische Verantwortung für den Verfall in der Verwaltung übernehmen wird, hat in der Hauptstadt kaum jemand.

Die Appelle zur Wahlbeteiligung haben zumindest bei den Briefwahlen schon Erfolge gezeigt: So viele Menschen wie noch nie zuvor haben einen Antrag auf Briefwahl gestellt - 21,1 Prozent aller Wahlberechtigten. Landeswahlleiterin Petra Michaelis-Merzbach sieht darin ein Anzeichen für eine hohe Wahlbeteiligung. «Ich glaube, die Berliner wissen auch, dass es morgen um viel geht», sagte sie am Samstag dem RBB-Inforadio.

Die AfD könnte bei den zeitgleichen Wahlen der Bezirksparlamente Stadtratsposten erringen. Damit übernähme die AfD erstmals in Deutschland in größerem Umfang politische Verantwortung.

Den Umfragen zufolge bleibt die SPD mit kräftigen Verlusten stärkste Kraft und könnte 21 bis 24 Prozent erreichen. Um Platz zwei kämpfen CDU und Grüne, die auf 15 bis 19 Prozent kommen. Die Linke dürfte nach dem Debakel von 2011 wieder etwas zulegen - die Umfragen sehen sie aber mit 14 bis 15 Prozent auch fast gleichauf mit der AfD (13 bis 15 Prozent). Die FDP, die 2011 den Wiedereinzug ins Parlament verpasst hatte, kann mit einer Rückkehr rechnen.

Es ist Müllers erste Wahl als SPD-Spitzenkandidat, nachdem er 2014 Klaus Wowereit als Regierungschef abgelöst hatte. Der Schachzug der SPD war geschickt - die meisten Berliner verbinden das BER-Debakel mit Wowereit und nicht mit seiner Partei.

Seit Wochen arbeitet der bundesweit kaum bekannte Müller auf eine Koalition von SPD, Grünen und Linken hin. Eigentlich wäre ihm eine rot-grüne Landesregierung lieber, das sagte der 51-Jährige offen. Doch rechnerisch wird es wohl nicht für ein Zweierbündnis reichen. Auch die Fortsetzung der rot-schwarzen Koalition wird kaum möglich sein.

Die Zeit schreibt über die reduzierte Wahrnehmung in Berlin: "Genau zehn Jahre ist es her, dass der damalige Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit stolz einen Spaten in die Erde stach. Damit begann der Bau des neuen Flughafens in Schönefeld, der schon bald nur noch wegen Pfusch, Mauscheleien und Betrug in den Schlagzeilen war. Die ganze Republik staunte über den Irrsinn. Trotzdem ist kein Berliner Politiker zurückgetreten, wird weiter Geld ausgegeben: jeden Tag mehr als eine Million Euro. Jeden Monat 40 Millionen. Insgesamt soll der BER über sieben Milliarden Euro kosten. Wenn er denn fertig wird."

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