Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sie helfen mittelständischen Unternehmen, sich in einem doch sehr unsicheren Marktumfeld richtig positionieren. Wie sehen Sie die konjunkturelle Großwetterlage?
Nikolaus Breuel: Zumindest bis zum zweiten Halbjahr 2013 kritisch. Die Konjunktur hat sich zunehmend verschlechtert. Ausgaben werden reduziert, Investitionen verschoben. Ursache ist natürlich in großen Teilen die europäische Schuldenkrise. Die europäische Haftungsgemeinschaft ist nun unumkehrbar, ohne dass feste Regeln vereinbart worden wären, die zum Abbau der Probleme führen.
Wir sollten dabei nicht vergessen, dass neben der Lage im südlichen Europa auch Frankreich vor riesigen Herausforderungen steht. Die französische Wirtschaft hat zu hohe Kosten und eine zu geringe Produktivität. In den nächsten Monaten werden wir vermutlich ein stagnierendes bis rückläufiges Inlandsgeschäft in Deutschland, noch schwächere Exporte nach Europa und einen stärkeren, aber ebenfalls nachlassenden Export in Länder außerhalb Europas sehen. Ich gehe davon aus, dass sich der Ausblick im Verlauf des nächsten Jahres dann aber verbessert.
Die asiatischen Volkswirtschaften werden wieder stärker wachsen, auch die US-Konjunktur wird sich, trotz der dringend erforderlichen Reduzierung amerikanischer Schulden, erfahrungsgemäß schnell wieder erholen. Der jüngste Anstieg des Geldmengenwachstums besonders in China und in den USA und könnte ein frühes Zeichen für eine Trendwende sein. Die anstehenden großen Strukturprojekte in China können nach einer Anlaufphase ebenfalls Wachstumsimpulse liefern. Wenn es insgesamt wieder besser läuft, wird uns die breite Aufstellung und Wettbewerbsstärke deutscher Produkte einen zusätzlichen Schub geben.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sie sind in vielen Unternehmen tätig. Gibt es auch in den Unternehmen Anzeichen dafür, dass wir mit schwerer See rechnen müssen?
Karl Kraus: Ja, wobei sich die Lage von Branche zu Branche unterscheidet. Wir alle kennen die reduzierten Erwartungen bezüglich des Pkw-Absatzes, auch die Lkw-Stückzahlen wurden gerade nach unten revidiert. Die ersten Hochöfen sind wieder stillgelegt worden. Die Konsequenzen in der Mineralöl- und in der chemischen Industrie werden nicht lange auf sich warten lassen. Der Maschinen- und Anlagenbau ist noch stabil und meldet sogar Zuwächse. Hier werden allerdings auch ältere Auftragsbestände abgearbeitet. Im Bereich der neuen Energien gibt es trotz aktueller und zu erwartender Investitionen kräftige Verwerfungen, sehen Sie nur auf die Wind- oder Solarindustrie.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Worauf müssen sich die deutschen Mittelständler einstellen?
Nikolaus Breuel: Die Konsequenz dieser erneuten Konjunkturabschwächung werden Umsatz- und Absatzrückgänge sowie nicht ausgelastete Kapazitäten sein, damit fallende Ergebnisse oder sogar Verluste. Es entsteht zusätzlicher Liquiditätsbedarf bei komplizierteren Finanzierungsvoraussetzungen.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wenn wir mit einer Verschärfung der wirtschaftlichen Lage rechnen müssen: Was sind die unmittelbaren Maßnahmen, die ein Unternehmen sofort treffen muss?
Nikolaus Breuel: In wirtschaftlich schwierigen Zeiten geht es ja immer um die gleichen Punkte: die Kosten anpassen, die Kostenstruktur flexibilisieren, dazu ein besonderes Augenmerk auf das Working Capital. Bestände müssen im Umfang überprüft, Forderungen so schnell wie möglich realisiert werden. Auf der anderen Seite kommt es darauf an, die Sicherung der Finanzierung im Rahmen rechtzeitiger und langfristiger Vereinbarungen zu erreichen.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: In der Automobilindustrie sehen wir erste Anzeichen, dass auch die deutschen Autobauer ein Absatzthema bekommen, zumal in Europa. Was erwartet die Zulieferer?
Karl Kraus: Die Autohersteller haben bereits Einschnitte bis hin zu Werksschließungen angekündigt. Die Aussicht auf ein schlechtes Verkaufsjahr führt zu kräftigen Sparprogrammen. Die Erfahrung der Krise 2008/2009 lautet, dass zunächst Pufferläger abgebaut werden. Als Konsequenz bedeutet dies, dass Unternehmen, die eher am Anfang der Produktionskette stehen - zum Beispiel die Halbzeugverarbeiter - mit prozentual viel stärkeren Rückgängen rechnen müssen als es die reduzierte PKW-Stückzahl vermuten lassen könnte. Die letzte Absatzkrise wurde außerdem in Richtung Konzentration der Zulieferstruktur genutzt. Diese Konsolidierung wird sich jetzt wohl fortsetzen. Darüber hinaus gibt es aber auch noch besondere Aspekte: gerade bei Zulieferern wirkt zeitgleich zur europäischen Absatzschwäche die außereuropäische Expansion, zum Beispiel nach China, Mittel verzehrend. Die Expansion ist aber notwendig. Wer den Autobauern nicht folgt, hat bald neuen Wettbewerber in Europa. Den Cash Flow unter solchen Bedingungen sicher zu stellen, ist schwierig.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Im Maschinenbau geht - Sie sprachen diesen Punkt schon an - alles etwas langsamer. Aber auch hier gibt es Anlass zur Sorge. Was ist Ihre Einschätzung?
Nikolaus Breuel: Lässt man Verschiebungen aus der Abarbeitung älterer Auftragsbestände und besondere Aspekte wie einzelne Großaufträge außer Betracht, so sieht man im Maschinen- und Anlagenbau ähnliche Tendenzen wie in anderen Bereichen. Die schwächere Nachfrage im Inland wird durch Aufträge aus dem Ausland kompensiert, wobei das Wachstum verstärkt im Nicht-Euro-Raum auftritt. Die Auslastung der Produktionskapazitäten im Maschinen- und Anlagenbau liegt übrigens leicht unter dem langjährigen Durchschnitt. Der VDMA hat die positive Entwicklung im September wohl auch deshalb eher zurückhaltend kommentiert. Insgesamt führt die Veränderung der Bedeutung von Märkten, besonders die Zunahme in Fernost, zu neuen Chancen, aber auch zu Herausforderungen. Unternehmen benötigen hier zum Beispiel eine andere Finanzierungsstruktur. Die Einschätzung der Absatzmöglichkeiten ist mit höheren Unsicherheiten behaftet als in dem gut bekannten Heimatmarkt. Auch in Zukunft werden sich Teilbranchen des Maschinenbaus natürlich unterschiedlich entwickeln. Was die Märkte betrifft, gilt: der mehr international geprägte Anlagenbau wird weiterhin seinen Zuwachs behalten, der eher regional geprägte Maschinenbauer wird stärkeren Schwankungen unterliegen.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wo sehen Sie die Dienstleistungsbranche?
Nikolaus Breuel: In der Vergangenheit ist der Dienstleistungshandel weltweit sogar schneller gewachsen als der Warenhandel. Eine im Vergleich zu anlageintensiven Unternehmen höhere Flexibilität plus geringere Finanzierungsabhängigkeiten können dazu beitragen, dass sich Dienstleistungsunternehmen in Krisen besser behaupten. Die Dienstleistungsbranche wird sich nach meiner Einschätzung auch langfristig positiv entwickeln. Allerdings führen hohe Umsatzanteile in Deutschland und Europa natürlich zu einer entsprechenden Abhängigkeit von der jeweiligen Konjunkturentwicklung.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Jede Rezession wird irgendwann wieder überwunden – könnte es dennoch sein, dass wir es diesmal mit einem tiefer greifenden Prozess zu tun haben?
Karl Kraus: Sie erinnern sich sicherlich an die 2008/2009 geführte Diskussion, ob wir es mit einer V- oder mit einer W- Entwicklung zu tun haben. Ich habe schon damals geglaubt, dass es sich um eine W- Entwicklung, einen so genannten „Double Dip“ handelt. Dies gilt umso mehr, weil wirtschaftspolitische Maßnahmen 2008/2009 auch in Deutschland einen noch tieferen Absturz verhindert und den Aufschwung in 2010/11 stimuliert haben. Wirtschaftspolitik kann Marktbereinigungen jedoch nur aufhalten, nicht verhindern. Heute sehen wir einen Teil der alten Probleme europaweit oder sogar weltweit in gewachsenem Umfang, gepaart mit einer Schuldenkrise. Ich fürchte deshalb, wir erleben eine W-Entwicklung plus eine nur langsame Erholung.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Europa wird also noch einige Zeit mit dem Thema Strukturreformen zu tun haben – muss sich die deutsche Exportindustrie schon mal nach Ersatz-Märkten umsehen?
Nikolaus Breuel: Um Europa gute Chancen für die Zukunft zu eröffnen, brauchen wir jetzt ein deutlich differenziertes Vorgehen. Geld ausgeben ja, aber nicht überall. Erforderlich ist aus meiner Sicht, dass in den schwächeren Ländern investive Aufbauprogramme für die Infrastruktur konzipiert und umgesetzt werden. In anderen Bereichen muss überall konsequent gespart werden. Dies bedeutet zum Beispiel Mittel für Infrastruktur, Tourismusförderung und andere spezielle Branchenschwerpunkte. Doch die Umsetzung solcher Programme wird Zeit brauchen. Die deutsche Exportindustrie benötigt deshalb verstärkt außereuropäische Ersatzmärkte. Sie sollte sich danach umsehen und hat es in den meisten Fällen ja auch schon längst getan.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Gibt es Möglichkeiten einer Art temporärer Restrukturierung? Also die Möglichkeit, dass ein Unternehmen flexibler reagieren kann, wenn es nach unten und nach oben geht?
Nikolaus Breuel: Unternehmen, die sich in der letzten Krise richtig aufgestellt haben, starten dieses Mal mit einer deutlich verbesserten Ausgangslage. Dies zeigt: eine Restrukturierung sollte immer nachhaltig sein. Natürlich gibt es auch Maßnahmen, die zu einer temporären Flexibilisierung der Kosten- und Wertschöpfungsstruktur beitragen, also sowohl Abschwünge nach unten abfedern als auch Spitzen bedienen. Ein Beispiel hierfür sind Jahresarbeitszeitkonten, die über ein bis drei Monate sowohl nach oben als auch nach unten wirken können. Ein zweites Beispiel ist die Verringerung der Wertschöpfungstiefe, auch im Rahmen einer angepassten Arbeitsteilung in Zulieferketten.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Oft werden in der Krise Forschung und Entwicklung zurückgefahren – wie kann einem Mittelständler aus diesem Dilemma geholfen werden?
Karl Kraus: Mittelständler betreiben in der Regel keine umfangreiche Forschung. Die Entwicklungskapazitäten sind hingegen oft die Perle des Unternehmens. Hier werden in kurzer Zeit anwendungs- und praxisgetriebene Produkte generiert. Häufig ist es der Inhaber, der als Motor der Entwicklung fungiert, weniger die Ausgaben. Dann ist Kreativität und Pragmatismus wesentlicher als finanzieller Aufwand. Generell sollte der Mittelstand seine Entwicklungsleistung allenfalls selektieren, nicht aber reduzieren.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wo könnte die Innovations-Förderung effektiver werden?
Karl Kraus: Die Frage ist, ob sie das wirklich werden muss. Es gibt meines Erachtens viele Fälle, in denen unkompliziert und an Sache orientiert unterstützt wird. Grundsätzlich ist natürlich immer wieder zu prüfen, wie schnell, wie unbürokratisch und wie punktgenau Hilfe gewährt wird. Gerade mit Blick auf europäische Förderung ist der bürokratische Aufwand für kleinere Unternehmen kaum leistbar.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Insgesamt hört man in Europa seit neuestem wieder öfter den Ruf nach mehr Staat in der Wirtschaft – als erhofftes Lösungsmittel für die Krise. Sehen Sie Beispiele, wo das tatsächlich gelingen kann?
Nikolaus Breuel: Ich sehe leider eher das Gegenteil. Je mehr Staat, desto schwieriger wird die Situation - zumindest auf längere Sicht. Ich glaube, dass es uns in Europa und Deutschland helfen würde, dem Subsidiaritätsprinzip wieder mehr Geltung zu verleihen. Wir sollten aus der Vergangenheit lernen. Der Staat sollte zum Beispiel Innovation durch die Anschubfinanzierung für Inkubatoren unterstützen, nicht aber den laufenden Betrieb. Er kann ausnahmsweise helfen, kritische Phasen zu überbrücken. Eine Brücke, die halten soll, darf jedoch mit Blick auf Last und Länge nicht überstrapaziert werden. Grundsätzlich sollte sich der Staat auf hoheitliche Aufgaben konzentrieren.
Dr. Nikolaus Breuel und Karl-J. Kraus sind Geschäftsführende Gesellschafter von Karl-J. Kraus & Partner. Karl-J. Kraus & Partner begleitet mittelständische Unternehmen bei Veränderungsprozessen, insbesondere in Sanierungssituationen oder der Gestaltung des Generationswechsels.
Weitere Themen
Schuldenkrise: Japanische Stadt verkauft ihren Namen
EU droht Schottland: Nationale Unabhängigkeit ist nicht zeitgemäß
Schlappe für Regierung: 220.000 Kita-Plätze fehlen