Deutsche Wirtschafts Nachrichten: In Ihrem neuen Buch gehen Sie sehr hart mit den öffentlich-rechtlichen Sendern ins Gericht. Was ist Ihre Hauptkritik?
Hans-Peter Siebenhaar: Deutschland leistet sich das teuerste öffentlich-rechtliche System der Welt. Die mangelnde Programmqualität, immer neue Skandale um Vetternwirtschaft und Korruption, die politische Einflussnahme haben zu einer gefährlichen Schieflage geführt.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie viel Geld verschlingen die Öffentlich-Rechtlichen pro Jahr – und was geschieht mit dem Geld?
Hans-Peter Siebenhaar: Allein aus Rundfunkgebühren haben ARD, ZDF und Deutschlandradio im vergangenen Jahr 7 533 523 690 Euro eingenommen. Daraus erhält die ARD mit 5,5 Milliarden Euro den Löwenanteil. 1,8 Milliarden Euro bekommt das ZDF und 193 Millionen das Deutschlandradio. Das Schlimme ist, dass der Bürger nicht nur ein ineffizientes Rundfunksystem finanziert, sondern auch noch mit knapp 143 Millionen 14 Landesmedienanstalten, die ausschließlich den privaten Rundfunk kontrollieren. Das ist absurd.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Gibt es irgendwo Transparenz und wo legen die Sender Rechenschaft ab?
Hans-Peter Siebenhaar: Die Kontrolle über Rundfunkräte, Fernsehräte und Verwaltungsräte funktioniert unzulänglich. Kein einziger Fall von Bestechung, Vorteilsnahme oder Untreue ist von den Aufsichtsgremien entdeckt worden. Vielmehr kamen Skandale wie der Millionenbetrug beim Kinderkanal durch Externe oder Selbstanzeigen von Beteiligten zum Vorschein. Wir brauchen vor dieser Erfahrung ein völlig neues Selbstverständnis. ARD und ZDF gehören dem Gebührenzahler. Ihnen sind die Intendanten Rechenschaft schuldig.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Funktioniert die Kontrolle der Sender noch oder ist der Betrieb längst zu einem Geben und Nehmen mit der Politik geworden?
Hans-Peter Siebenhaar: ARD/ZDF und die Parteien leben in einer Symbiose. Die Anstalten sichern sich ihre Expansion durch die Politik. Und für die Politik sind die Anstalten die letzten großen Bühnen zur Selbstdarstellung. Die Kosten trägt ab nächstem Jahr jeder Haushalt in Deutschland.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sie schreiben von massiver Verschwendung bei den Sendern. Einige Beispiele?
Hans-Peter Siebenhaar: Es gibt viele: Beim Kinderkanal hat ein früherer Herstellungsleiter den Sender um viele Millionen erleichtert, ohne dass es jahrelang der Geschäftsführung aufgefallen ist. Beim NDR hat die Fernsehspielchefin Doris J. Heinze Drehbücher unter falschen Namen an sich selbst verkauft. Die Degeto (eine Produktionsfirma der Sender, Anm. d. Red.) hatte im Überfluss seichte Unterhaltungsfilme finanziert, ohne dass es jemanden aufgefallen ist. Am Ende musste die ARD 24 Millionen Euro an Gebührengelder in ihre Tochter schießen, um einen Absturz der Firma zu verhindern.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sie beschreiben die aktuellen Korruptionsfälle. Waren das Unfälle, oder gehört Korruption zu System?
Hans-Peter Siebenhaar: Die mangelnde Transparenz schafft die Grundlage für Bestechung, Untreue, Miss- und Vetternwirtschaft. Das System der Kontrolle hat versagt. Was wir brauen ist, die Offenlegungen von Gehältern, Geldflüssen und Beteiligungen. Dazu gehört beispielsweise die Schaffung eines unabhängigen, mit richterlichen Kompetenzen ausgestatteten Ombudsmannes. Dadurch hätten Gebührenzahler und Mitarbeiter der Anstalten einen Ansprechpartner, um beispielsweise den kriminellen Missbrauch von Gebührengeldern aufzudecken.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Während die Sender Milliarden für Fußballrechte ausgeben, deren aufklärerischer Wert fragwürdig ist, bleibt der Grundauftrag auf der Strecke. Wie ist nach Ihren Recherchen das Verhältnis von Kommerz und investigativen journalistischen Programmen?
Hans-Peter Siebenhaar: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk betreibt 22 Fernsehkanäle und 67 Radiosender. 25 000 Festangestellte und Zehntausende freie Mitarbeiter arbeiten dafür. Und dennoch sind die Scoops mehr als überschaubar. Die großen investigativen Recherchen kommen in der Regel aus der Printbranche. Hinzu kommt, dass ARD und ZDF dem Markt viele hundert Millionen an Werbegeldern entziehen. Die Öffentlich-Rechtlichen würden sich selbst einen Gefallen, wenn sie auf Reklame verzichten würden. In Frankreich und Spanien ist das längst der Fall.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Gibt es irgendwelche Sparbemühungen, mit denen die Sender auf die allgemeine Wirtschaftskrise reagieren?
Hans-Peter Siebenhaar: Die Wirtschaftskrise trifft den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht. Denn durch die Einführung einer ARD/ZDF-Steuer ab nächstem Jahr, beschönigend von der Politik Haushaltsabgabe genannt, ist ihr finanziellen Daseins bis zum St. Nimmerleinstag gesichert. Dass die Anstalten Sparanstrengungen unternehmen, hat nichts mit geringeren Gebühren zu tun, sondern viel mehr mit gestiegenen Kosten beispielsweise für Technik und Personal sowie für die opulente Alterssicherung ihrer Mitarbeiter.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Haben es die Öffentlich-Rechtlichen geschafft, sich vom Rest der Gesellschaft so abzukoppeln, dass sie zu einer Art Staat im Staat geworden sind?
Hans-Peter Siebenhaar: ARD und ZDF sind tatsächlich zu einem Rundfunkstaat im Staat verkommen. Obwohl die Bürger eigentlich die Eigentümer sind, haben sie kein Mitspracherecht. Besseres Fernsehen für weniger Geld wird nur dann möglich sein, wenn die Anstalten aus den Fängen der Parteien befreit werden.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Viele Kritiker der Öffentlich-Rechtlichen haben den Eindruck von maßloser Arroganz. Sie kennen viele Mitarbeiter der Sender: Gibt es hier eine Selbstgefälligkeit, die nicht im Schlaf daran denkt, auf Kritik zu reagieren?
Hans-Peter Siebenhaar: Arroganz und Selbstgefälligkeit mag es geben. Ich habe bei meinen Recherchen bei ARD und ZDF aber auch Mitarbeiter getroffen, die selbst unzufrieden mit dem ineffizienten, parteipolitisch durchdeklinierten System sind. Sie sehen mit Sorge, dass das Durchschnittsalter von ARD und ZDF seit Jahren über 60 Jahre liegt. Die Sinnkrise hat längst auch die eigene Belegschaft erreicht.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Im Internet gibt es einige Plattformen gegen die Öffentlich-Rechtlichen, wie etwa die Tagespropaganda auf Facebook. Glauben Sie, dass die Gesellschaft noch eine Chance hat, die „Nimmersatten“ - so Ihr Buchtitel - zur Räson zu rufen?
Hans-Peter Siebenhaar: Ich glaube immer an die Reformfähigkeit von Institutionen. Ich habe die „Nimmersatten“ geschrieben, um grundlegende Reformen anzustoßen, damit besseres Fernsehen für sehr viel weniger Geld möglich wird.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Gibt es bei den Sendern eigentlich unter den jungen Journalisten auch welche, die sagen: So kann das nicht weitergehen?
Hans-Peter Siebenhaar: Gerade unter jungen Journalisten in den Reihen von ARD und ZDF gibt es eine wachsende Kritikfähigkeit und Distanz zum selbstherrlichen System der Altvorderen. Ich bin bei meinen Reisen vielen kritischen Mitarbeitern in den Anstalten begegnet. Sie erzählten mir bei Zusicherung der Anonymität schonungslos vom ineffizienten System. Um sie zu schützen, konnte ich sie im Buch nicht namentlich erwähnen.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wir haben den Eindruck, dass die Sender kritische Themen gerne an Produzenten auslagern, die dann irgendwelche Feigenblätter produzieren dürfen. Harte Kritik an der Regierung, an den Exzessen der Banken, am EU-Zentralismus findet nur in ausgewählten Nischen statt. Ein System?
Hans-Peter Siebenhaar: Es gibt in den Reihen von ARD und ZDF immer wieder mutige Redakteure, die gegen den Filz mit der Politik ankämpfen und mit externen Produzenten heiße Eisen anfassen. Doch leider stehen sie im System ARD und ZDF auf verlorenem Posten.
Hans-Peter Siebenhaar ist Redakteur beim Handelsblatt und beobachtet die Öffentlich-Rechtlichen Sender seit Jahrzehnten intensiv. Seine im Buch „Die Nimmersatten“ veröffentlichten Recherchen ergeben ein trauriges Sittenbild der Sender. Man merkt Siebenhaar in dem Buch jedoch an, dass es ihm nicht um eine billige Niedermache geht; in gewisser Weise leidet er unter den Zuständen, weil er im Grunde glaubt, dass man mit weniger Geld und mehr Gesinnung einen besseren Journalismus machen könnte – einen, den Deutschland auch braucht, und der nicht ausschließlich am freien Markt nicht zu erreichen ist. Das Buch ist unterhaltsam geschrieben und liest sich daher gut, bleibt jedoch immer an den recherchierten Fakten orientiert.
„Die Nimmersatten“ ist im Eichborn-Verlag erschienen und kann hier bestellt werden.
Hier bringen die Deutschen Wirtschafts Nachrichten einen Auszug aus dem Buch. Im Kapitel „Besseres Fernsehen für weniger Geld“ schreibt Siebenhaar: „Die Parteien müssen rundfunkpolitisch enteignet werden. Nicht den Politikern, sondern den Bürger gehören ARD, ZDF und Deutschlandradio.“