Vor dem Verband der Automobil-Hersteller (VDA) befasste sich Bundesbank-Präsident Jens Weidmann mit der Frage, ob die Euro-Zone die von ihr mit großem Pomp beschlossenen Maßnahmen auch tatsächlich lebt. Einer zu üppigen Lohnrunden bei den kommenden Tarifverhandlungen hat Weidmann nichts abgewinnen. Die Arbeiter werden also nicht in den Genuss der Auswirkungen der Geldschwemme der EZB kommen. Denn ihre Wertschöpfung findet im realen Leben statt. Die Finanzindustrie hat den Vorteil, im Nirwana zu operieren. Die Boni, die die Banker bekommen, werden von den Manager-Frauen auch nicht gleich in den Supermarkt getragen, wo sie die Preise in die Höhe treiben. Luxus-Gegenstände oder Vermögensanlagen sind in keinem Warenkorb der Statistik-Behörde zu finden.
Aus der Rede Weidmanns im Wortlaut:
"Als Reaktion auf die Krise wurden unter anderem Änderungen am Stabilitäts- und Wachstumspakt, der Fiskalpakt und der dauerhafte Rettungsschirm ESM verabschiedet. So soll die Haushaltsdisziplin zusätzlich gestärkt und akute Gefahren für die Finanzstabilität der gesamten Währungsunion sollen wirksamer bekämpft werden. Diese Neuerungen sind richtige, wenn auch nicht ausreichende Schritte, um die Währungsunion als Stabilitätsunion zu erhalten.
Es muss sich nun aber zeigen, ob die neuen Regeln auch gelebt werden. Weicht man die Regeln gleich bei der ersten Anwendung auf, beschädigt dies am Ende Solidität und Solidarität in der Währungsunion gleichermaßen.
Derzeit sehen wir ein Patt: Eine umfassende explizite Gemeinschaftshaftung steht vorerst nicht mehr auf der Agenda, allerdings haben die – hoffentlich nur vorübergehenden – vergemeinschafteten Risiken aus den Finanzhilfen und den Sondermaßnahmen der Notenbanken beträchtliche Höhen erreicht. Bleiben diese Risiken bestehen oder steigen sie sogar noch weiter, könnten sie im gegenwärtigen Rahmen der Währungsunion die Stabilitätskultur aber in ähnlicher Weise aushöhlen wie bei einer expliziten Gemeinschaftshaftung.
In gewisser Weise ist auch die Diskussion um die gesamtwirtschaftlichen Ungleichgewichte in der Währungsunion davon geprägt, wie viel Gewicht auf eine gleichmäßigere Verteilung der Anpassungslasten im Unterschied zu letztlich wettbewerbsfähigeren, solider aufgestellten Volkswirtschaften gelegt wird.
Häufig wird gefordert, dass Deutschland als Land mit einem hohen Leistungsbilanzüberschuss durch überproportionale Lohnsteigerungen einen größeren Beitrag zum Abbau der Leistungsbilanzungleichgewichte im Euro-Raum leisten soll. So soll sich die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft künstlich verringern und damit die relative Wettbewerbsfähigkeit der Krisenländer erhöhen. Im Ergebnis würde also ein Teil der Anpassungslasten von den Krisenländern zu Ländern wie Deutschland umverteilt.
Kürzlich wurde vorgeschlagen, in der kommenden Tarifrunde die Löhne durchschnittlich um 5 % anzuheben. Davon sollen zwei Prozentpunkte dem Euro-Raum zu Gute kommen. Wir haben diesen Vorschlag mit unseren Modellen durchgerechnet: Die Reaktion auf das BIP der Krisenländer wäre nahezu gleich null. Deutschland hingegen würde dadurch ärmer: Je nach Berechnungsverfahren wäre die Beschäftigung langfristig um 1 % und das BIP um ¾ % niedriger. Es gäbe zwar ein Strohfeuer bei Einkommen und Konsum, aber die Unternehmen würden auch weniger investieren und zudem Beschäftigte entlassen. Außerdem stiege die Inflation, so dass eine stabilitätsorientierte Geldpolitik gegensteuern müsste, was das BIP zusätzlich dämpfen würde.
Letztlich trüge die gesamte Währungsunion den Schaden davon, denn relativ wettbewerbsfähiger würden die Krisenländer primär im Verhältnis zu Deutschland, nicht aber gegenüber Ländern außerhalb der Währungsunion.
Die EWU ist eben keine Insel, sondern Teil einer überaus dynamischen Weltwirtschaft. Um dort zu bestehen und Wohlstand zu sichern, das zeigen das Beispiel Deutschlands und seiner Industrie, kommen die EWU insgesamt und die Krisenländer allen voran nicht daran vorbei, ihre eigentlichen, tiefer liegenden Probleme zu beseitigen."