Politik

Türkische Justiz rudert zurück: Urteil gegen Fazıl Say aufgehoben

Lesezeit: 1 min
27.04.2013 02:31
Das Urteil gegen Fazıl Say wegen angeblicher Religions-Beleidigung ist von einem Gericht in Istanbul aufgehoben worden. Die Bedingung wäre einem völligen Redeverbot für den Pianisten gleichgekommen.
Türkische Justiz rudert zurück: Urteil gegen Fazıl Say aufgehoben

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  
Türkei  

Ein Istanbuler Gericht hat am Freitag die Aufhebung des Urteils gegen Fazıl Say verkündet. Der Fall muss nun neu entschieden werden. Das Gericht in Istanbul erklärte, dass beim Urteil nicht ausreichend geklärt sei, wie die „Bedingung“, unter der die Haftstrafe ausgesetzt wurde, gemeint sei. Nun muss das Gericht erneut entscheiden.

Mitte April wurde Fazıl Say wegen angeblicher Verletzung religiöser Gefühle zu zehn Monaten Bewährung verurteilt (mehr zu diesem unglaublichen Richter-Spruch, einer Vorwegnahme des politischen Islamismushier), unter der Bedingung, dass er fünf Jahre lang keine ähnlichen Äußerungen tätigen werde. Dagegen erhob Say Einspruch – mit einem ersten Erfolg.

Dem Milliyet Journalisten Musa Kesler zufolge bedeute das allerdings nicht, dass der Fall neu aufgerollt werde. Es werde keine neue Möglichkeit zur Verteidigung geben können. Die Richter müssten lediglich den Tatbestand nochmal betrachten und dann eine neue Entscheidung treffen.

Das aktuelle Urteil könnte in eine Geldstrafe umgewandelt werden. Dann hätte Say die Möglichkeit, vor das Gericht der zweiten Instanz, einem türkischen Berufungsgericht, zu gehen und einen Freispruch zu erkämpfen. Möglich sei aber auch, dass auf dem aktuellen Urteil bestanden werde.

Es ist interessant, dass das Berufungsgericht auf die Bedingung abstellt: Denn faktisch hätte das Urteil in seiner aktuellen Form das völlige Ende der Meinungsfreiheit für Fazıl Say bedeutet - also ein Redeverbot. Denn jeder religiöse Mensch hätte behaupten können, dass er sich von Fazıl Says Aussagen beleidigt fühlt. In den für das erste Urteil herangezogenen Aussagen Says hatte sich der Pianist weder mit Gott noch mit dem Propheten beschäftigt. Wenn solch eine Aussage schon zur Verurteilung reicht, hätte Fazil Say im Grunde wegen jeder x-beliebigen Aussage wieder verurteilt werden können.

Denn bei allem Respekt vor den religiösen Gefühlen von Gläubigen: Ob es Gott gibt, ist eine Glaubenssache. Auch der größte Eifer liefert keinen Beweis. Wenn es Gott nicht gibt, kann auch keiner seinetwegen beleidigt werden. Diese Frage ist metaphysisch - es gibt keine Antworten.

Gerichte müssen sich aus solchen Debatten heraushalten. Die Meinungsfreiheit ist bei religiösen Fragen stets extensiv zu interpretieren.

Hoffentlich besinnt sich die türkische Justiz dieser fundamentalen Grundlage eines Rechtssystems und radiert das unsinnige Urteil gegen Fazıl Say aus.

Mehr zu Fazıl Say bei den Deutsch-Türkischen Nachrichten:

Konzert in Göppingen: Deutsch-Türken unterstützen Fazıl Say

Blasphemie: Fazıl Say erhält zehn Monate auf Bewährung

Fazıl Say: „Erdogan war noch nie in einem Konzert oder in der Oper“


Mehr zum Thema:  

DWN
Unternehmen
Unternehmen Neue Verträge: Nach dem KaDeWe sind auch Oberpollinger und Alsterhaus gerettet
26.07.2024

Die berühmten Flaggschiffe der deutschen Warenhäuser scheinen nach der Pleite des Immobilien-Hasardeurs René Benko endlich gerettet zu...

DWN
Politik
Politik Ukraine-Hilfsgelder von Russland: EU gibt Erträge aus dem eingefrorenen Vermögen frei
26.07.2024

Die Europäische Union hat jetzt die ersten Zinserträge aus dem im Westen eingefrorenem russischen Staatsvermögen freigegeben. Die...

DWN
Politik
Politik Der Chefredakteur kommentiert: Islamisches Zentrum Hamburg - ein längst überfälliges Verbot, Frau Faeser!
26.07.2024

Liebe Leserinnen und Leser, jede Woche gibt es ein Thema, das uns in der DWN-Redaktion besonders beschäftigt und das wir oft auch...

DWN
Politik
Politik Bundeskanzler Scholz zu irregulärer Migration: „Die Zahlen müssen runter“
26.07.2024

Erwerbsmigration nach Deutschland sei erwünscht, meint der Kanzler. Problematisch findet er unerlaubte Einreisen. Eine Innenexpertin der...

DWN
Panorama
Panorama ADAC warnt: Es droht schlimmstes Stau-Wochenende der Saison
26.07.2024

Wer nun in den Urlaub fährt, sollte etwas mehr Zeit einplanen und mitunter starke Nerven haben. Der ADAC rechnet mit vielen Staus. Lassen...

DWN
Politik
Politik Außenministerin Baerbock: Seegerichtshof in Hamburg wird an Bedeutung gewinnen
26.07.2024

In Hamburg informiert sich die Außenministerin bei ihrer Sommerreise über die Arbeit des Internationalen Seegerichtshofs. Anschließend...

DWN
Finanzen
Finanzen EZB nach Stresstest: Banken haben Verbesserungsbedarf bei Cyber-Angriffen
26.07.2024

Seit der Finanzkrise 2008 wird genauer hingeschaut bei den Banken. Im Euroraum müssen sich die Institute nach Einschätzung der...

DWN
Politik
Politik Verfassungsschutz weist auf russische Sabotageversuche hin
26.07.2024

Der deutsche Inlandsgeheimdienst beobachtet schon länger verstärkte russische Geheimdienstaktivitäten. Neue Hinweise veranlassen ihn...