Finanzen

Lobby siegt in Brüssel: Risiken bei Lebens-Versicherungen steigen

Die EU-Reform des Versicherungsrechts erhöht die Gewinn-Chancen der Versicherungs-Unternehmen. Bei den Lobbygruppen knallen die Sektkorken. Der Deal mit der EU ist gefährlich: Je geringer die Rücklagen, desto höher das Ausfallrisiko bei Lebensversicherungen.
16.11.2013 01:07
Lesezeit: 2 min

In der Nacht zu Donnerstag haben die Verhandlungsführer des Europaparlaments, der Mitgliedsländer und der EU-Kommission eine Einigung für die Reform der Europäischen Versicherungsregulierung gefunden. Die unter dem Namen Omnibus II bekannt gewordene Reform der Richtlinie Solvenvy II wurde in den vergangenen zehn Jahren ergebnislos zwischen den einzelnen politischen Akteuren und der Interessenvertretung der Versicherer verhandelt.

Nun haben sich die Seiten geeinigt: Die Versicherungsbranche wird bei den Vorschriften zur Eigenkapitalhinterlegung entlastet. Versicherer müssen künftig nur noch 4,5 Prozent ihrer Anlagen als Eigenkapital hinterlegen. Das spart der Branche Milliarden. Die Risiken werden einfach ignoriert. Wenn der Wert der Anlagen um 4,5 Prozent sinkt, können die Versicherer ihren Verpflichtungen gegenüber ihren Kunden nicht mehr nachkommen, sagte Sven Giegold, wirtschafts- und finanzpolitischer Sprecher der Grünen.

Die Grünen stemmten sich gegen den Entwurf im Europaparlament. Für Giegold wurde das Paket den Parlamentariern zu sehr von der Lobby in die Feder diktiert:

„Die jahrelange Lobbyarbeit hat sich für die Versicherungsindustrie gelohnt. Die Industrie hat drastisch niedrigere Eigenkapitalanforderungen und damit höhere ausschüttungsfähige Gewinne für langfristige Versicherungsprodukte durchgesetzt. Das Einigung zwischen dem Rat und dem Europäischen Parlament ignoriert die Ratschläge des Europäischen Rats für Systemrisiken (ESRB), die Meinung der vom Parlament angehörten Experten und die Fachkompetenz der Versicherungsaufseher von der Europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (EIOPA).

Die Versicherer sparen „unglaubliche 277 Milliarden Euro“, so Giegold. Der Anteil der Ersparnisse für die Anbieter von Lebensversicherungen betrage 264 Milliarden Euro.

Die EU hat der Versicherungsbranche etliche Privilegien garantiert.

Versicherungsunternehmen dürfen Verluste ignorieren, die aus Finanzkrise oder dem niedrigen Zinsumfeld resultieren. Sie können höhere Dividenden ausschütten, selbst wenn die Marktwerte nahelegen, dass sie ihre Verpflichtungen gegenüber den Versicherten nicht erfüllen können.

Das sehen die Versicherer ganz anders.

Nach Kalkulationen der deutschen Lebensversicherer müssen diese ab 2016 für ihre Bestände an Verträgen mit langlaufenden Garantien „16 Jahre lang jährlich zwischen drei und fünf Milliarden Euro aufbringen“, berichtet das VersicherungsJournal. Diesen Betrag nannte Felix Hufeld, Exekutivdirektor Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungs-Aufsicht, am Donnerstag auf einer Fachkonferenz in Bonn.

Für die Lebensversicherer sei die Anstrengung für diese Eigenmittelverstärkung „immens“, sagte Axel Wehling, Mitglied der Hauptgeschäftsführung des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft  „Wir beim GDV gehen davon aus, dass diese Eigenmittelverstärkung und die Zinszusatzreserve in einem nationalen Umsetzungsgesetz miteinander verschränkt werden.“

Solvency II erhöht Ausfallrisiko

Die Wirtschaft wird langfristig nicht stärker wachsen und die Zinsen werden eher sinken, als steigen (mehr hier). Daher sei die Einigung bei Solvenvy II „verantwortungslos unvorsichtig“, so Giegold.

Ohne diesen „Freibrief“ von der EU fiele es den Versicherern schwerer, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Die Vertreter von Großbritannien, Spanien, Italien, Frankreich und Deutschland haben diesen Deal für ihre jeweiligen Versicherer ausgehandelt. „Viele Regeln des angenommenen Solvency-II-Regelwerkes wurden auf die Versicherungsmärkte der großen Mitgliedsstaaten zugeschnitten“, sagte Giegold. Das sei eine „ungeheuerliche Verletzung der Prinzipien des Europäischen Binnenmarktes“.

Der Staat mischt sich in die Angelegenheiten des Versicherungsmarktes ein, wenn er die Akteure aus der Pflicht entlässt, Rücklagen in angemessener Höhe zu bilden. Dadurch steigt die Gefahr, dass Versicherungsunternehmen in wirtschaftlich schlechteren Zeiten pleitegehen: „Gegen den Ratschlag des Europäischen Rates für Systemrisiken müssen die Versicherungsunternehmen in guten Zeiten keine Rücklagen bilden, um stabiler durch schlechte Zeichen zu kommen.“

Das Paket sei zu „einseitig“ im Sinne der Versicherungswirtschaft. Der Rat der sei der engste Verbündet der Lobby gewesen, so Giegold. Einziger Trostpreis für die Grünen: Die Versicherer müssen mehr Transparenz erfüllen. Versicherungen, die die neuen langfristigen Garantiebewertungsmaßnahmen nutzen, müssen deren quantitative Auswirkungen offenlegen.

Die Milliardenersparnisse, die die Versicherungswirtschaft durch Solvency II zugute kommen, werden in keiner Bilanz auftauchen.

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