Die Ukraine-Krise zehrt sichtlich an den Nerven deutscher Politiker. So sehr, dass der außenpolitische Sprecher der Union, Philipp Mißfelder, sogar kurz um seinen Job bangen musste, weil er an einem Empfang mit Ex-Kanzler Gerhard Schröder und Russlands Präsident Wladimir Putin in St. Petersburg teilgenommen hatte. Erst nach einer Abbitte in der Fraktionssitzung der Union am Dienstag und einer öffentlichen Rüge von Fraktionschef Volker Kauder konnte er sich seines Amtes wieder sicher sein.
Der Vorfall ist symptomatisch dafür, wie sehr angesichts der Eskalation in der Ukraine in allen drei Regierungsparteien CDU, CSU und SPD über den richtigen Umgang mit Putin gestritten wird. Die einen unterstellen Putin nach dem Griff nach der ukrainischen Krim, sich nun die ganze Ukraine unterwerfen zu wollen. Die anderen pochen immer wieder auf mehr Verständnis für russische Anliegen.
Dabei ist der Unterschied im Umgang beider Flügel in den Regierungsparteien auffällig: In der SPD wird eher still über die Umarmung Schröders mit Putin gelitten, die überwiegend als "wenig hilfreich" eingestuft werden. Vor allem frühere SPD-Politiker wie Erhard Eppler, Helmut Schmidt, Klaus von Dohnanyi oder Matthias Platzeck durchziehen Talksshows mit der Mahnung nach mehr Dialog mit Moskau und unterstreichen das alte Image der Sozialdemokraten als "Russland-Versteher". Platzeck, der Vorsitzende des deutsch-russischen Forums, will sogar die ukrainischen Präsidentschaftswahlen am 25. Mai verschieben - was Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) kategorisch ablehnt. Andere außenpolitischen Profis der Partei wie Rolf Mützenich oder Niels Annen halten sich angesichts eines als wenig konstruktiv empfundenen Verhaltens Russland in der Ostukraine eher zurück.
In der Union aber ist zwischen "Russland-Verstehern" und Russland-Kritikern eine offene Schlacht ausgebrochen - auch weil CDU und CSU auf dem falschen Fuß erwischt wurden. Denn nach der ersten harschen Kritik an Schröders Geburtstagsfeier mit Putin musste die entsetzte Fraktionsführung erfahren, dass auch der eigene außenpolitische Sprecher Mißfelder an dem Empfang in St. Petersburg teilnahm. Tagelang wechselte die Darstellung des CDU-Politikers zwischen "Aktion als Privatmann" und dem Hinweis auf ernste politische Gespräche mit Putin.
Zum medialen Gau für die Union avancierte die Unionsdebatte über Russland nach Meinung vieler Abgeordneter aber erst durch den stellvertretenden CSU-Chef Peter Gauweiler, der die gefangengenommenen deutschen OSZE-Militärbeobachter in einem "Spiegel"-Interview kritisierte und gleichzeitig viel Verständnis für Russland äußerte. Noch in der Sitzung der Unionsaußenpolitiker am Dienstagmorgen tobte Gauweiler nach Teilnehmerangaben, dass der eigentliche Skandal in der Ukraine-Krise nicht im Verhalten Russlands, sondern "der Radikalisierung der USA" läge. Obwohl dies Kopfschütteln auslöste und sich Parteichef Horst Seehofer und Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt öffentlich von den Gauweiler-Äußerungen distanzierten, muss der Rechtsanwalt und Bundestag-Hinterbänkler nicht um sein Parteiamt zittern. Einerseits ist Gauweiler als Anwalt von der Partei unabhängig. Außerdem braucht ihn die CSU, um die Euro-Skeptiker im konservativen Umfeld bis zur EU-Wahl bei Laune zu halten.
Mit der Fraktionssitzung und der Entschuldigung zumindest von Mißfelder will die Union nun die Reihen in der Russland-Politik wieder schließen. Auf diese Wirkung hofft zumindest der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Andreas Schockenhoff. Kanzlerin Merkel versuchte jedenfalls nach Teilnehmerangaben in der Fraktionssitzung, den Kurs vorzugeben und die Schwesterparteien zu einen: Die Arbeit der militärischen OSZE-Beobachter lobte sie ausdrücklich, ohne Gauweiler namentlich zu erwähnen. Ansonsten griff Merkel die Mahnungen beider Flügel auf: Gebot der Stunde sei die Diplomatie und die Nutzung der Gesprächskanäle mit Russland, um die ukrainische Präsidentschaftswahl am 25. Mai zu ermöglichen. Aber wenn sich einer der Gesprächspartner einer Stabilisierung der Ukraine verweigere, müsse man notgedrungen zu weiteren Sanktionen übergehen, warnte die Kanzlerin - erkennbar auf Putin gemünzt.