Finanzen

„Keiner will dem Wähler gestehen, dass seine Ersparnisse gefährdet sind“

Lesezeit: 7 min
17.05.2014 01:06
Der Ökonom Daniel Stelter hat die Zahlen der aktuellen Krise aufgearbeitet und kommt zu einem ernüchternden Ergebnis: Wegen der Schulden, des geringen Wachstums und er Überalterung wird Deutschland im günstigsten Fall 1 Billion Euro aufbringen müssen, um die Euro-Zone vor dem Zerfall zu retten. Das Problem: Das Geld wird von den Sparern geholt. Doch die Politik hat Angst davor, den Bürgern die Wahrheit zu sagen.

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Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Die EZB will mit allen Mitteln versuchen, Inflation zu erzeugen. Kann das funktionieren?

Daniel Stelter: Offensichtlich nicht. Denn wenn es so einfach wäre Inflation zu erzeugen, hätten wir sie längst. Bereits 2008 hat der Chefvolkswirt des IWF, Oliver Blanchard, Inflationsraten von 4% und mehr gefordert, um die Schulden in den Griff zu bekommen. Die Zentralbanken haben ihre Bilanzen massiv vergrößert, doch das einzige was sie erreicht haben, war eine Inflation der Vermögenswerte. Und auch wenn hier und da die „gefühlte Inflation“ deutlich über der offiziell ausgewiesenen Inflation liegt, von einer breiten Inflation der Verbraucherpreise sind wir noch weit entfernt.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Woran liegt es, dass die Zentralbanken keine Inflation erzeugen können?

Daniel Stelter: Natürlich können die Zentralbanken Inflation erzeugen. Und vermutlich werden sie auch mittelfristig damit Erfolg haben. Das es nicht so leicht gelingt, liegt einfach daran, dass in einer völlig überschuldeten Welt die neu zur Verfügung gestellte Liquidität das System zwar stabilisiert aber eben nicht zu einem breiten Kreditwachstum führt. Besonders gut in den Krisenländern zu beobachten: Die Schuldner können einfach nicht mehr Kredite aufnehmen und jene die es noch könnten, bekommen von den Banken kein Geld, weil diese selbst erst mal ihre Bilanzen in Ordnung bringen müssen. Insofern wirkt Geld drucken nicht wie gewünscht. Inflation bekommt man in einem Umfeld zu hoher Schulden nur indem man das Vertrauen in Geld an sich zerrüttet. Sobald man nicht mehr glaubt, auch morgen noch etwas für seinen 20 Euro Schein zu bekommen, gibt man ihn schnell aus. Doch dann reden wir nicht mehr von 4% sondern vor einer Flucht aus Geld. Soweit wollen es die Notenbanken und Regierungen – bis jetzt – nicht kommen lassen. Alles was EZB und Politik gemacht haben, ist Zeit zu kaufen. Die fundamentalen Probleme sind ungelöst und wachsen weiter an.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Vor der EU-Wahl tun Politik und EZB alles, um die Lage schönzureden. Irland und Portugal sollen aus dem Rettungsschirm entlassen werden. Italien und Spanien zahlen niedrige Zinsen. Griechenland wird auf einmal wieder zum Liebling der Kapitalmärkte. Sind wir nicht zu pessimistisch? Vielleicht ist ja alles in Ordnung...

Daniel Stelter: Pünktlich zur Europawahl ist es in der Tat gelungen, den Eindruck zu erwecken alles sei im Griff. Krise zu Ende. Doch ein Blick auf die Fakten ist erschütternd: Wir haben eine Krise die durch zu billiges Geld und zu viele Schulden ausgelöst wurde mit noch billigerem Geld und noch mehr Schulden bekämpft. In allen Krisenländern liegt die Verschuldung von Staaten, privaten Haushalten und Unternehmen relativ zum Bruttoinlandsprodukt deutlich über dem Niveau von 2008. (Abb. 1)

Dies hat zwei Ursachen: zum einen haben die Staaten deutliche Defizite gemacht, um dem drastischen Wirtschaftseinbruch als die Blase platzte entgegen zu wirken. Zum anderen ist das Bruttoinlandsprodukt in allen Ländern noch unter dem Niveau von 2008. Bei schrumpfender Wirtschaft ist es aber unmöglich Schulden abzubauen. Schauen Sie nach Italien: dort fährt der Staat seit Jahren einen so genannten Primärüberschuss, also vor Zinszahlungen. Da die Wirtschaft aber nicht wächst, steigt die relative Verschuldung trotzdem ungebremst an. Auch hier ist es wichtig hinter die Schlagzeilen zu gucken. Nehmen Sie Spanien: Schlagzeile: „spanische Wirtschaft wächst wieder“. Fakt: die Wirtschaft ist real um 0,4% gewachsen, aber die Preise gemessen am so genannten BIP-Deflator sind um etwas mehr als 0,4% gefallen. Folge: das nominale BIP ist geschrumpft. Aber nur darauf kommt es an. Das wäre so, als dürften Sie 10% mehr Stunden arbeiten allerdings bei 20% weniger Lohn. Die Fähigkeit Ihre Schulden zu bedienen wird damit geschwächt.

Die Schulden können nicht ewig schneller wachsen als das Einkommen. Was für jeden einzelnen gilt, gilt auch für ganze Volkswirtschaften. Im Kern folgen wir in Europa dem japanischen Vorbild. Problem ist nur: Weil wir mit viel mehr Schulden in die Krise gegangen sind und zudem kein homogenes Land sind, wird es bei uns nicht so lange gut gehen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wo sehen Sie die Parallele zu Japan für das heutige Europa?

Daniel Stelter: Erinnern wir uns: in den 1980er Jahren war Japan das große Vorbild: technisch brillant, hart arbeitend, auf den Weltmärkten erfolgreich. Zugleich entstand eine Spekulationsblase, getrieben durch eine verfehlte Politik der japanischen Notenbank. Die Realzinsen waren lange negativ. Damit haben wir schon die erste Parallele zu Europa. Mit der Euroeinführung kam es zu negativen Realzinsen in den meisten heutigen Krisenländern. (Abb. 2).

Die direkte Folge von zu tiefen Zinsen sind Spekulationsblasen in Immobilien und ein Konsumboom. Ende der 1980er Jahre war die Fläche des Kaiserpalastes in Tokio so viel Wert wie Kalifornien. In Spanien war zur Spitze des Booms der Bausektor so groß wie jener von Deutschland, England und Frankreich zusammen. Als die Blase platzte erlitten die Banken erhebliche Verluste weil die Sicherheiten an Wert verloren und die Schuldner nicht mehr zahlen konnten. Um reihenweise Bankenpleiten zu verhindern wurden die Bilanzierungsregeln erleichtert und die Zinsen noch weiter gesenkt. Die Folge waren in Japan und sind in Europa: Zombiebanken und Zombieunternehmen. Formell sind diese noch solvent, faktisch aber insolvent. Schätzungen die den Kapitalbedarf europäischer Banken auf rund 800Milliarden Euro beziffern sind dabei vermutlich konservativ. Weil die Politik sich scheut, diese Verluste zu realisieren – wer soll das bezahlen?? – wird das Problem nicht angegangen. Folge: weniger Wachstum. Denn Zombieunternehmen investieren nicht. Was sie aber tun ist, gesunden Unternehmen das Leben schwer zu machen.

Alles deckungsgleich mit Japan. Und dann kommt das Hauptargument: die unglaublich schlechte demographische Entwicklung. In Japan schrumpft die Erwerbsbevölkerung seit Jahren. Uns steht dieser Rückgang unmittelbar ins Haus. Besonders betroffen ist Deutschland, wo die Erwerbsbevölkerung in den kommenden Jahren um rund 10 Millionen schrumpfen wird. Aber auch die anderen Länder. Für Spanien wird ein Bevölkerungsrückgang erwartet, wie ihn das Land seit der Pest vor 650 Jahren nicht mehr erlebt hat. Das sollten übrigens jene im Hinterkopf behalten, die ihr Heil in Anlagen in Immobilien suchen.

Bei schrumpfender Bevölkerung ein Wachstum des nominalen BIP zu schaffen ist ein Ding der Unmöglichkeit. Einmal abgesehen von den erheblichen Kosten der alternden Gesellschaft. Schon 2009 wurden die wahren Staatsschulden Deutschlands auf über 400% des BIP geschätzt. Das war vor Eurorettung und Rentengeschenken der Groko. Nie und nimmer werden diese Versprechen für Renten und Gesundheitsleistungen erfüllt werden.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Kann diese Gesellschaft überhaupt wachsen bzw. produktiver werden?

Daniel Stelter: Natürlich kann sie das – wenn man entsprechend handelt. In Japan stagniert zwar das nominale BIP. Pro Kopf der Bevölkerung ist es aber ungefähr so schnell gewachsen wie in den USA. Voraussetzung ist aber, dass wir investieren: in Bildung, Innovation, Infrastruktur und Maschinen und Anlagen. Doch genau das machen wir nicht. Trotz einiger Fortschritte in den PISA Tests liegen wir im internationalen Vergleich weiter deutlich hinter unseren Hauptkonkurrenten aus Asien. Zudem ist das Niveau innerhalb Deutschlands unakzeptabel gespreizt. Die Investitionen in staatliche Infrastruktur sind seit Jahren zu gering und auch die privaten Unternehmen investieren zu wenig. Auf europäischer Ebene wird der Investitionsrückstau bei Unternehmen auf bis zu 800 Milliarden Euro geschätzt. Statt Geld für den Konsum älterer Generationen auszugeben sollten hier unsere Prioritäten liegen. Stattdessen haben wir immer weniger Kinder, die wir unzureichend ausbilden und denen wir einen verfallenen Kapitalstock hinterlassen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Die Schulden wachsen weiter. Auf Wachstum und Inflation können wir nicht hoffen. Kommt nach der EU-Wahl der große europäische Schuldenschnitt?

Daniel Stelter: Nein. Noch haben die Rettungspolitiker weitere Instrumente im Köcher. Die Zinsen werden weiter gesenkt, die EZB kauft direkt Wertpapiere auf. Sogar die Annullierung der aufgekauften Staatschulden durch die Notenbanken in USA, England, Japan und perspektivisch auch der EZB wird ernsthaft diskutiert. Keiner will dem Wähler offen gestehen, dass seine Ersparnisse gefährdet sind. Also wird das Spiel auf Zeit weitergehen und die Politik auf ein Wunder hoffen. Doch das wird nicht kommen. Und dann stehen drei Szenarien im Raum: der bereits angesprochene Vertrauensverlust in Geld mit einer erheblichen Inflation, die offene Pleite einiger Schuldner oder die viel diskutierte Vermögensabgabe.

Japan ist auch hier ein „Vorbild“. Jahrelang wurde auf Zeit gespielt. Doch jetzt verschärft sich die demographische Krise dramatisch. Abenomics ist für mich nichts anderes als eine Situation in der der Fahrer eines Autos erkennt, dass er keine Chance hat vor der Mauer zum stehen zu kommen und sich deshalb entschließt Vollgas zu geben, in der Hoffnung die Mauer zu durchbrechen. Auch Japan wird nur diese drei Optionen haben. In allen drei Optionen geht es um die Entwertung von Schulden und damit Forderungen. Nur der Weg ist ein anderer und auch die betroffenen Bevölkerungsgruppen. Angesichts dieser Optionen wäre es mir doch lieber, wir würden uns an einen Tisch setzen und die Schulden in einem geordneten Verfahren abschreiben. Den Crash sehe ich definitiv nicht als Lösung sondern als die teuerste aller denkbaren Optionen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie viel müssten die Deutschen zahlen, um die Euro-Zone zu stabilisieren?

Daniel Stelter: Das kommt darauf an ob unsere Politiker sich trauen, einen geordneten Prozess in Gang zu setzen um die Schulden auf ein vertretbares Niveau abzuschreiben. Der Überhang an nicht ordnungsgemäß bedienbaren Schulden im Euroraum dürfte bei 5 bis 7 Billionen Euro liegen. Wohl gemerkt spreche ich von den ausgewiesenen Schulden, die ungedeckten Versprechen für unser Alter sind dabei noch nicht enthalten. Schreibt man diese 5 Billionen Euro ab, müssen auch entsprechend Forderungen abgeschrieben werden. Länder wie Italien könnten das Schuldenproblem im Inland lösen da dort dem klammen Staat entsprechend vermögende Privathaushalte gegenüber stehen. Eine Vermögensabgabe wäre da ein probates Mittel. In Spanien, Portugal, Irland und Griechenland werden hingegen die ausländischen Gläubiger den größten Teil der Verluste schulten müssen. Schaffen wir es die Schulden geordnet abzuschreiben, dürfte der Schaden für Deutschland bei rund einer Billion liegen. Im Crashfall, zum Beispiel ausgelöst durch einen offiziellen Zahlungsausfall eines Landes, wird der Schaden deutlich darüber liegen. Zusätzlich verschärft durch die damit einhergehenden wirtschaftlichen Verwerfungen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Rechnen Sie mit „radikalen Maßnahmen“ zur Beendigung der Schuldenkrise, wie Sie sie in Ihrem Buch nennen?

Daniel Stelter: Milton Friedman hat geschrieben, dass Politiker Leute sind, die das Geld fremder Leute für andere Leute ausgeben und zwar für ihre Wähler. Die aktuelle Rentenpolitik ist der beste Beweis dafür. Die Lösung der Schuldenkrise wäre genau das andere: man müsste die Wähler belasten, um das Geld anderen zu geben. Dass das Geld schon verloren ist und wir es nur noch nicht gemerkt haben, ändert nichts an dieser Tatsache. Und damit ist klar: Das politisch vernünftige Verhalten führt zum größten wirtschaftlichen Schaden.

Dr. Daniel Stelter ist Gründer des auf Strategie und Makroökonomie spezialisierten Forums „Beyond the Obvious“. Er hat ein äußerst originelles Buch vorgelegt: „Die Krise - was passiert mit unserem Geld?“, ist ein Buch fast ohne Text: Anhand von 77 Grafiken erklärt Stelter, warum alle Beschwichtigungsversuche aus Politik und Banken reine Rhetorik sind. Mit dem Buch kann man sich schnell informieren und bei Diskussionen im Freundeskreis brillieren - wer kennt schon die Zahlen hinter der Krise wirklich?

Das Buch ist im Münchner FinanzBuch Verlag erschienen und kann hier bestellt werden.

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