In Estland haben die Bürger bereits zum dritten Mal die Möglichkeit genutzt, via Internet die Parlamentswahlen zu entscheiden. Der digitale Musterstaat hat den jüngsten Premierminister Europas, den 35-jährigen Taavi Roivas, im Amt bestätigt. Roivas führt die konservative Reform-Partei, die als westlich-orientiert gilt. Die Reform-Partei gewann 27,7 Prozent der Stimmen und liegt damit 3 Sitze vor der Zentrums-Partei, berichtet die estnische Online-Zeitung Delfi.
Estland ist das erste Land der Welt, das landesweite Parlamentswahlen digital anbietet, nunmehr seit zehn Jahren. Dafür wurde der Staat heftig kritisiert, insbesondere wegen der technischen Anfälligkeit des Online-Voting-Systems, das Experten für noch nicht ausgereift halten. Nicht nur ausländische Hackergruppen, sondern vor allem die Staaten selbst könnten etwa über Geheimdienste die Wahlergebnisse leicht manipulieren, so eine Analyse einer unabhängigen Expertengruppe.
Allerdings halten die Befürworter des Systems entgegen, dass die Alternative der Briefwahl potentiell genauso manipulationsanfällig sei. Papierstimmen könnten ebenso verschwinden oder gefälscht werden.
Um das System sicherer zu machen, hat Estland eigens eine digitale Staatsbürgerschaft eingeführt. Damit hat jeder Bürger die Möglichkeit, einen elektronischen Pass mit biometrischen Daten zu beantragen und sich damit online zu identifizieren, zu wählen und Verträge zu unterschreiben.
Ziel bei der Einführung war demnach, die allgemeine Wahlbeteiligung zu erhöhen, durch die zusätzliche Wahl-Möglichkeit bequem von Zuhause. Dies ist nur in geringem Maße gelungen: Die Wahlbeteiligung lag 2015 bei 64 Prozent und damit fast gleich wie 2011 bei 63,5 Prozent und 2007 bei gut 62 Prozent. Vor der Einführung der Online-Wahlen 2003 lag die Beteiligung noch bei 58,2.
Der Anteil der Online-Wähler wuchs beständig und bewegt sich inzwischen bei fast einem Viertel der Stimmen: Von den insgesamt 578.104 abgegebenen Stimmen kam also mehr jede Fünfte aus dem Netz, also nutzten 176.491 Esten die Möglichkeit des Elektronischen Abstimmens, ein neuer Rekord. 2011 bei den letzten Parlamentswahlen lag die Zahl noch bei 141.000 oder 24,3 Prozent der Wähler.
Das besondere dabei: Die E-Voter hatten vom 19. bis zum 25. Februar Zeit ihr Stimmen abzugeben und konnten dies auch bis zum offiziellen Wahltag am 1. März online verändern. Durch den längeren Zeitraum sollten noch mehr Menschen zum Wählen animiert werden.
Ob und wie sich die Online-Wahlen auf die Stimmverteilung auswirken, bleibt umstritten: Es gab Theorien in beide Richtungen, fasst eine Analyse von Professor Trechsler des European University Institut zusammen: Zum einen, dass Online-Wahlen eher Reiche und damit eher konservative Wähler bevorzugen, oder eher Junge und damit linke Wähler anziehen.
Was die Ergebnisse bisher gezeigt haben ist, dass die meisten Online-Wähler in den Städten zu finden sind, während ländliche Regionen mit weniger Internet-Zugang die niedrigsten Online-Wähler-Quoten aufweisen, so Statistiken vom estnischen Rundfunk EPB.