Politik

Italien schickt Syrien-Flüchtlinge ohne Kontrolle nach Nord-Europa

Italien verzichtet offenbar flächendeckend auf Kontrollen der Flüchtlinge aus Syrien. Italien führt keine Registrierung durch, weil der italienische Staat nicht für die Sozialleistungen aufkommen will. Flüchtlinge warnen vor den Folgen: Auf diese Weise könnten auch Terroristen spielend leicht nach Europa gelangen. Sollte es zu einem Anschlag kommen, würden die Flüchtlinge zu Sündenböcken unter Generalverdacht.
14.04.2015 23:35
Lesezeit: 2 min

Syrische Flüchtlinge gelangen über die türkische Hafenstadt Mersin nach Libyen und von da aus über Italien in die EU, wo sie dann Asylanträge stellen. Die Flucht lassen sich die Menschen jeweils 6.000 Dollar pro Person kosten. Die Gelder fließen in die Taschen von internationalen Menschen-Schleppern. Die Syrer werden auf Schiffen und Booten verfrachtet. „Das Schiff glich mehr einem schwimmenden Sarg (…) Jeder hatte Angst, dass es kentern und wir dann ertrinken würden“, zitiert Foreign Policy einen 32-jährigen Flüchtling namens Mohammed.

Über seine Ankunft in Italien macht der Syrer bemerkenswerte Aussagen. „Es gab keine Küstenwache. Kein einziger Polizist hat uns nach unseren Papieren gefragt. Niemand hat uns registriert, unsere Fingerabdrücke genommen, Fotos von uns geschossen oder gefragt, wer wir sind“, so Mohammed. Die Flüchtlinge gelangen nahezu problemlos auf italienischem Boden und treten den Weg Richtung Nordeuropa an, wo sie sich finanzielle Unterstützung und eine Unterkunft erhoffen. Nach Angaben von Mohammed wollen die meisten Flüchtlinge nach Schweden, Deutschland oder in die Niederlande.

Der Grund: Die Flüchtlinge erhalten nur in jenen Staaten Sozialleistungen, in denen sie zuerst registriert werden. Daher vermeiden die Italiener die Registrierung, um keine Verpflichtungen einzugehen. Einzelne Flüchtlinge berichten, dass von ihnen ein Foto gemacht worden sei, welches mit einer Nummer versehen wurde. Dieses rudimentäre Reisedokument reichte bei Kontrollen in Italien aus, damit die Flüchtlinge ihren Weg nach Norden fortsetzen konnten.

Italien nützt auf diese Weise die Vorteile des Schengen-Raums. Hier sind Grenzkontrollen lax oder gar nicht vorhanden. Wenn ein Flüchtling den Schengen-Raum betritt, kann er problemlos in alle anderen Schengen-Staaten reisen.

Der 32-jährige Syrer berichtet wie die italienische Polizei ihn dazu animiert hat, weiter in die EU zu reisen. Als Mohammed die italienische Polizei um eine Unterkunft im Asylantenheim bat, antwortete der Beamte: „Du bist willkommen. Doch wenn du gehen willst, kannst du das auch machen“, soll der Polizist ihm geantwortet haben. In der Folgezeit ist Mohammed problemlos bis nach Deutschland gelangt. Dort wurde er als Flüchtling registriert. Er verfügt derzeit über einen befristeten Aufenthaltstitel und wohnt in einem Flüchtlingszentrum in Berlin. Die Italiener begründen dieses Vorgehen mit der Gesetzeslage: Es gäbe keine Flüchtlingslager in Italien. Den aus Syrien Kommenden werden lediglich Unterkünfte zur Verfügung gestellt. Sie seien frei, sich zu bewegen, wohin sie wollen.

Die Flüchtlinge sind über die laxen Kontrollen der italienischen Behörden selbst verwundert - und weisen auf die Gefahren hin, die sich aus dem Vorgehen ergeben. Denn es gebe schließlich auch gefährliche Menschen, die diesen Missstand nutzen könnten. „Ein IS-Terrorist könnte problemlos über Italien nach Europa einreisen (…) Sie könnten auch ohne Probleme Gewehre und Handgranaten mit sich tragen. Denn die italienischen Behörden überprüfen das Gepäck nicht“, so Mohammed.

Ein anderer Flüchtling berichtet von einem besonders grotesken Fall: Er sei in Österreich bei einer Zugs-Kontrolle aufgegriffen und nach Italien zurückgeschickt worden. Bei seiner Rückkehr rieten ihm die italienischen Behörden, mit demselben Ticket in den nächsten Zug zu steigen und es noch einmal zu versuchen. Dies gelang - der Flüchtling schaffte es so bis nach Berlin.

Zahlreiche Flüchtlinge in Europa befürchten, dass islamistische Terroristen einen Anschlag in Europa verüben könnten. Denn als Sündenböcke müssten dann sie herhalten. „Wenn Al-Qaida oder eine andere Terror-Gruppe versucht, Menschen nach Europa zu schmuggeln, wird ihnen das gelingen“, warnt Hussam der für die Flucht vom Hafen von Alexandria bis nach Italien insgesamt 3.000 Dollar bezahlt hat.

„Wenn nur ein einziger Terrorist auf diesen Booten nach Europa geschmuggelt wird, werden die Flüchtlinge verantwortlich gemacht. Dann wird Europa die Einwanderung stoppen. Terroristen auf diesen Booten werden eine Katastrophe für die echten Flüchtlinge darstellen“, so Hussam.

Fast alle syrischen Flüchtlinge in Europa haben den Weg über Italien genommen. Nach angaben des UN-Flüchtlingswerks haben insgesamt zwischen April 2011 und Dezember 2014 insgesamt 217.724 Syrer EU-Asylanträge gestellt. Nur ein Prozent dieser Flüchtlinge, also 1.967 Personen, sind in Italien geblieben. Die beliebtesten Reiseziele sind die Länder Nordeuropas und Skandinaviens. In Deutschland haben 59.529, in Schweden 53.750 und in den Niederlanden 11.710 Flüchtlinge Asylanträge gestellt.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Experten-Webinar: Ist Bitcoin das neue Gold? – Chancen, Risiken und Perspektiven

Inflation, Staatsverschuldung, geopolitische Unsicherheiten: Viele Anleger fragen sich, wie sie ihr Vermögen in Zeiten wachsender...

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Politik
Politik „Choose Europe“: Brüssel will Gründer mit Kapital halten
31.05.2025

Die EU startet einen neuen Wachstumsfonds, der Start-ups mit Eigenkapital unterstützen und in Europa halten soll. Doch Geld allein wird...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Energiewende umgekehrt: US-Firmen fliehen vor Trumps Klimapolitik – nach Europa
31.05.2025

Während Trump grüne Fördermittel in den USA kürzt, wendet sich die Clean-Tech-Branche von ihrer Heimat ab. Jetzt entstehen in Europa...

DWN
Politik
Politik Ärztepräsident warnt vor „Versorgungsnotstand“
31.05.2025

Ärztepräsident Klaus Reinhardt warnt vor Beeinträchtigungen im medizinischen Netz für Patienten, wenn nicht bald Reformen zu mehr...

DWN
Finanzen
Finanzen Gesetzliche Erbfolge: Wer erbt, wenn es kein Testament gibt
31.05.2025

Jeder kann selbst bestimmen, wer seine Erben sein sollen. Wer das allerdings nicht durch ein Testament oder einen Erbvertrag regelt und...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Datensammeln ohne Richtung: Warum der falsche Analyst Ihrem Unternehmen schadet
31.05.2025

Viele Unternehmen sammeln Daten – doch ohne den richtigen Analysten bleiben sie blind. Wer falsche Experten einsetzt, riskiert...

DWN
Panorama
Panorama Umfrage: Vielen Bädern fehlt das Personal
31.05.2025

Viele Bäder in Deutschland haben laut einer Umfrage mit Personalengpässen zu kämpfen. So hatten 38 Prozent der befragten Hallen- und...

DWN
Finanzen
Finanzen Trump plant Milliardeninvestition in Bitcoin und andere Kryptowährungen
31.05.2025

Donald Trump will Bitcoin zur Staatsangelegenheit machen – mit Milliarden-Investitionen seiner Mediengruppe. Während der Markt jubelt,...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Chinas Monopol auf Seltene Erden wankt – doch der Westen zahlt den Preis
31.05.2025

China kontrolliert die Welt der Seltenen Erden – und lässt Konkurrenz nur zu ihren Bedingungen zu. Neue Minen entstehen, doch ihre...