Syrische Flüchtlinge gelangen über die türkische Hafenstadt Mersin nach Libyen und von da aus über Italien in die EU, wo sie dann Asylanträge stellen. Die Flucht lassen sich die Menschen jeweils 6.000 Dollar pro Person kosten. Die Gelder fließen in die Taschen von internationalen Menschen-Schleppern. Die Syrer werden auf Schiffen und Booten verfrachtet. „Das Schiff glich mehr einem schwimmenden Sarg (…) Jeder hatte Angst, dass es kentern und wir dann ertrinken würden“, zitiert Foreign Policy einen 32-jährigen Flüchtling namens Mohammed.
Über seine Ankunft in Italien macht der Syrer bemerkenswerte Aussagen. „Es gab keine Küstenwache. Kein einziger Polizist hat uns nach unseren Papieren gefragt. Niemand hat uns registriert, unsere Fingerabdrücke genommen, Fotos von uns geschossen oder gefragt, wer wir sind“, so Mohammed. Die Flüchtlinge gelangen nahezu problemlos auf italienischem Boden und treten den Weg Richtung Nordeuropa an, wo sie sich finanzielle Unterstützung und eine Unterkunft erhoffen. Nach Angaben von Mohammed wollen die meisten Flüchtlinge nach Schweden, Deutschland oder in die Niederlande.
Der Grund: Die Flüchtlinge erhalten nur in jenen Staaten Sozialleistungen, in denen sie zuerst registriert werden. Daher vermeiden die Italiener die Registrierung, um keine Verpflichtungen einzugehen. Einzelne Flüchtlinge berichten, dass von ihnen ein Foto gemacht worden sei, welches mit einer Nummer versehen wurde. Dieses rudimentäre Reisedokument reichte bei Kontrollen in Italien aus, damit die Flüchtlinge ihren Weg nach Norden fortsetzen konnten.
Italien nützt auf diese Weise die Vorteile des Schengen-Raums. Hier sind Grenzkontrollen lax oder gar nicht vorhanden. Wenn ein Flüchtling den Schengen-Raum betritt, kann er problemlos in alle anderen Schengen-Staaten reisen.
Der 32-jährige Syrer berichtet wie die italienische Polizei ihn dazu animiert hat, weiter in die EU zu reisen. Als Mohammed die italienische Polizei um eine Unterkunft im Asylantenheim bat, antwortete der Beamte: „Du bist willkommen. Doch wenn du gehen willst, kannst du das auch machen“, soll der Polizist ihm geantwortet haben. In der Folgezeit ist Mohammed problemlos bis nach Deutschland gelangt. Dort wurde er als Flüchtling registriert. Er verfügt derzeit über einen befristeten Aufenthaltstitel und wohnt in einem Flüchtlingszentrum in Berlin. Die Italiener begründen dieses Vorgehen mit der Gesetzeslage: Es gäbe keine Flüchtlingslager in Italien. Den aus Syrien Kommenden werden lediglich Unterkünfte zur Verfügung gestellt. Sie seien frei, sich zu bewegen, wohin sie wollen.
Die Flüchtlinge sind über die laxen Kontrollen der italienischen Behörden selbst verwundert - und weisen auf die Gefahren hin, die sich aus dem Vorgehen ergeben. Denn es gebe schließlich auch gefährliche Menschen, die diesen Missstand nutzen könnten. „Ein IS-Terrorist könnte problemlos über Italien nach Europa einreisen (…) Sie könnten auch ohne Probleme Gewehre und Handgranaten mit sich tragen. Denn die italienischen Behörden überprüfen das Gepäck nicht“, so Mohammed.
Ein anderer Flüchtling berichtet von einem besonders grotesken Fall: Er sei in Österreich bei einer Zugs-Kontrolle aufgegriffen und nach Italien zurückgeschickt worden. Bei seiner Rückkehr rieten ihm die italienischen Behörden, mit demselben Ticket in den nächsten Zug zu steigen und es noch einmal zu versuchen. Dies gelang - der Flüchtling schaffte es so bis nach Berlin.
Zahlreiche Flüchtlinge in Europa befürchten, dass islamistische Terroristen einen Anschlag in Europa verüben könnten. Denn als Sündenböcke müssten dann sie herhalten. „Wenn Al-Qaida oder eine andere Terror-Gruppe versucht, Menschen nach Europa zu schmuggeln, wird ihnen das gelingen“, warnt Hussam der für die Flucht vom Hafen von Alexandria bis nach Italien insgesamt 3.000 Dollar bezahlt hat.
„Wenn nur ein einziger Terrorist auf diesen Booten nach Europa geschmuggelt wird, werden die Flüchtlinge verantwortlich gemacht. Dann wird Europa die Einwanderung stoppen. Terroristen auf diesen Booten werden eine Katastrophe für die echten Flüchtlinge darstellen“, so Hussam.
Fast alle syrischen Flüchtlinge in Europa haben den Weg über Italien genommen. Nach angaben des UN-Flüchtlingswerks haben insgesamt zwischen April 2011 und Dezember 2014 insgesamt 217.724 Syrer EU-Asylanträge gestellt. Nur ein Prozent dieser Flüchtlinge, also 1.967 Personen, sind in Italien geblieben. Die beliebtesten Reiseziele sind die Länder Nordeuropas und Skandinaviens. In Deutschland haben 59.529, in Schweden 53.750 und in den Niederlanden 11.710 Flüchtlinge Asylanträge gestellt.