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Zukunftsforscher: Das Auto von übermorgen besteht aus Stoff und Papier

Lesezeit: 4 min
19.05.2015 12:49
Autos werden künftig aus Stoff und Papier bestehen. Möglich macht dies ein automatisierter Verkehr, in dem Unfälle so weit ausgemerzt sind, dass eine harte Hülle als Aufprallschutz überflüssig wird, so der Zukunftsforscher Thomas Strobel. Hightech-Textilien machen das Auto vielmehr zum fahrenden Zelt, das sicher isoliert und Zusammenstöße weich abfedert.

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Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Welche Teile des Autos könnten künftig aus Stoff oder Papier bestehen?

Thomas Strobel: Für den Einsatz kommen besonders Bauteile in Frage, an denen Gewicht gespart werden soll. Das sind dann beispielsweise Karosseriebauteile wie Hauben für Motor oder Kofferraum, Kotflügel, Türen oder Stoßfänger. Aber auch hoch belastete Bauteile in den Bereichen von Trägern und Achsschenkeln können aus diesen Verbundwerkstoffen hergestellt werden, wie wir aus erfolgreichen Anwendungen in der Formel 1 und in im Flugzeugbau wissen. Ein weiteres breites Anwendungsfeld ergibt sich aus der denkbaren Funktionsintegration bei diesen Werkstoffen. So ist vorstellbar, dass mit leuchtenden Textil- oder Papierflächen der Innenraum beleuchtet wird und Schalter direkt in Bedienflächen realisiert werden. Lichtstimmung und Farbe des Interieurs können Sie dann vielleicht frei wählen. Bei Car Sharing bietet diese Technik den Vorteil, dass sofort beim Einsteigen der Innenraum an ein Wunschprofil angepasst werden kann, das Sie in ihrem Smart Phone gespeichert haben, das Sie ohnehin benötigen, um das Fahrzeug zu öffnen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie hängt die Automatisierung des Verkehrs mit dieser Entwicklung zusammen?

Thomas Strobel: Autonomes Fahren, mit Fahrzeugen die untereinander kommunizieren, hätte den großen Vorteil, dass es den Hauptunfallverursacher Mensch als Fehlerquelle ausschaltet. Fahrzeuge, die mit so einem automatisierten Kollisionsschutz, keine Unfälle mehr haben, brauchen dann auch keine aufwändige Knautschzone heutiger Bauart mehr. Extrem aufprallsichere Fahrgastzellen, die Frontalzusammenstöße überstehen müssen, könnten ebenfalls entfallen. Damit würden sich für einen konsequenten Leichtbau von Fahrzeugen ganz neue Möglichkeiten ergeben, die den Energiebedarf sowohl in der Herstellung als auch in der Nutzung erheblich reduzieren können.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Weiche Außenhüllen erhöhen die Sicherheit der Fußgänger bei Zusammenstößen. Aber was bedeuten sie für die Sicherheit der Insassen?

Thomas Strobel: Wenn Materialien und Konstruktionsprinzipien für weichere und leichter verformbare Oberflächen dort eingesetzt werden, wo sie den Schutz schwächerer Verkehrsteilnehmer deutlich fördern, müssen sich daraus keine Nachteile für die Insassen ergeben, die in einer angemessen robusten Fahrgastzelle geschützt werden. Insbesondere bieten sich dafür weiche textile Lösungen an, die als außen angebrachte Airbags, die Folgen eines Aufpralls für Fußgänger oder Radfahrer erheblich lindern können. Voraussetzung dafür ist, dass das intelligente Auto die Unfallgefahr rechtzeitig sicher erkennt und vor dem Aufprall für ein Aufblasen der richtigen Schutzsysteme sorgt. Das wäre technisch eine grundlegende Veränderung zu heute, da bisher für den Insassenschutz Airbags erst nach dem Erkennen eines gravierenden Unfalls gezündet werden.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wenn man sich das Auto künftig als eine Art fahrendes Zelt vorstellt - wie sieht es mit Wetter- und Temperaturschwankungen aus? Ist diese Idee nur für wärmere Gegenden geeignet?

Thomas Strobel: Wie wir aus dem Bereich von Funktionskleidung wissen, können textile Lösungen durch geeigneten Aufbau und Ausrüstung wind- und wasserdicht sein, Reißfestigkeit bieten und gleichzeitig auch gute Isoliereigenschaften gegenüber Temperaturunterschieden haben. Technisch ist es heute möglich mit Abstandsgewirken auch Textilien herzustellen in denen dann Heiz-, Kühl- oder Belüftungsfunktionen bereits punktuell oder flächig integriert sein können.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Gibt es konkrete Beispiele oder Ansätze zur Herstellung solcher Stoffautos und falls ja von wem?

Thomas Strobel: Die Firma EDAG präsentierte auf dem Genfer Salon 2015 einen Concept Car mit dem Namen „Light Cocoon“. Bei diesem futuristischen Leichtbaukonzept wurden nach bionischen Prinzipien gestaltete Chassis-Strukturen zunächst mit einem 3D-Drucker hergestellt. Anschließend wurde dieses Fahrzeuggerippe dann mit einem wasserabweisenden Stoff bespannt. Durch eine LED-Beleuchtung sind Effekte, wie auf dem folgenden Bild möglich, aber auch eine frei einstellbare Fahrzeugfarbe wäre damit denkbar. Der Biofore Concept Car der Firma UPM zeigte bereits auf dem Genfer Automobilsalon 2014, wie mit holzbasierten Faserwerkstoffen ein haltbarer, hochwertiger Bioverbundwerkstoff für die Verarbeitung mittels Spritzguss, Extrusion und Thermoformen als umweltfreundlicher und nachhaltiger Ersatz für heutige Kunststoffteile zum Einsatz kommen könnte.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Warum tut sich die Industrie schwer mit der Umsetzung und welche Unternehmen könnten in dieser Richtung am ehesten vorstoßen?

Thomas Strobel: Die Automobilindustrie steht vor zwei Paradigmenwechseln:

Erstens wandelt sich der Markt vom Fahrzeugverkauf an den Endkunden zu einem Markt für Mobilitäts-Dienstleistungen. Zukünftige Nutzer wollen – mit einer Kombination verschiedenste Transportmittel – den Weg von A nach B zurücklegen, ohne selbst ein Fahrzeug zu besitzen. Hier können innovative Mobilitäts-Dienstleister Kundennutzen schaffen, wenn Sie über eine Plattform diese Strecke buchbar machen. Zweitens besteht die Wertschöpfungskette von Automobilherstellern heute aus einem Netzwerk von Zulieferern, die viel System Know-how haben. Darauf können auch branchenfremde zugreifen und aus marktgängigen Elemente Fahrzeuge konstruieren.

Wie wir am Beispiel Tesla bereits für das Elektroauto gesehen haben, ist heute eine jahrzehntelange Tradition im Automobilbau keine Voraussetzung mehr, um in diesen Markt einzudringen. Die traditionelle Automobilbranche hat natürlich ein hohes Know-how aus der Entwicklungsgeschichte des Automobils bis zum heutigen Stand der Technik. Aber morgen sehen wir wahrscheinlich viele unterschiedliche Formfaktoren für Mobilität mit ein, zwei, drei und vier Rädern, die entfernungsabhängig genutzt werden. Außerdem dürfte das Prinzip „Benutzen statt besitzen“, das Grundlage aller Sharing-Modelle ist, dazu führen, dass das individuelle Auto bald der Vergangenheit angehört oder in langfristig sinkenden Stückzahlen nachgefragt wird. Am erfolgreichsten werden die Unternehmen sein, die sich nicht mehr als Autohersteller, sondern als Mobilitätsanbieter verstehen. Sie stellen dann auf der Basis am Markt verfügbarer Technologien passende Produkte her und verbinden sie mit kundenorientierten Dienstleistungen, die die Nutzung erleichtern.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie lange könnte es Ihrer Einschätzung nach dauern, bis solche Autos tatsächlich auf die Straße kommen?

Thomas Strobel: Üblicherweise gehen wir davon aus, dass ein Konzept, das auf der Grundlage von Forschungsergebnissen möglich ist mindestens noch etwa 10, 15 Jahre bis zur Markteinführung benötigt. Wenn wir eine in diesem Jahr auf dem Genfer Automobilsalon vorgestellte Studie als Machbarkeitsnachweis nehmen, wäre der Zeitraum 2025 bis 2030 für ambitionierte Hersteller durchaus erreichbar. Nebeneinflüsse kommen natürlich aus den Vorgaben im Hinblick auf Schadstoffausstoß, Energieverbrauch, aber auch Recycling. Hier muss der heutige Leichtbau deutlich besser werden, denn Aluminium können wir wieder einschmelzen. Für die heute eingesetzten Kohlefaser-Verbundwerkstoffe haben wir eine solche Lösung noch nicht.

***

Thomas Strobel arbeitet als Geschäftsführer der Fenwis GmbH seit 2007 als „Zukunftslotse“. Mit seiner speziell entwickelten Methodik für Zukunftslandkarten arbeitet er branchenübergreifend für Mittelständler, Institutionen und Netzwerke an vorausschauender Zukunftssicherung, Handlungsoptionen und neuen profitablen Geschäftschancen.


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