Politik

EU: Juncker und Schulz boykottieren Aufklärung bei Steuer-Privilegien

In der EU boykottiert eine Koalition von Sozialdemokraten, Konservativen und Liberalen die Aufklärung der Steuervorteile für internationale Konzerne in Luxemburg. Nun droht die Opposition, den Fall vor den Europäischen Gerichtshof zu bringen. Es ist offenbar sogar für Parlamentarier schwer, die Strukturen der Macht in der EU aufzubrechen.
27.05.2015 01:12
Lesezeit: 4 min

Die EU-Präsidenten Juncker und Schulz stehen offenbar an der Spitze der Blockierer, die es sich zum Ziel gesetzt zu haben scheinen, den parlamentarischen Untersuchungs-Ausschuss zu den Steuervergünstigungen für internationale Konzerne in Luxemburg zur Farce verkommen zu lassen.

Ein internationales Journalisten-Team hatte enthüllt, dass das Großherzogtum Luxemburg den internationalen Konzernen in geheimen Deals massive Steuergeschenke machte. Dadurch wurden andere Staaten geschädigt. Doch die meisten Deals waren offenbar legal, was die Sache zu einem politischen Thema werden ließ: Wenn die EU als eine solidarische, politische Union funktionieren will, dann kann nicht ein Staat den anderen mit seinen Steuer-Geschenken die anderen übers Ohr hauen.

Doch ironischerweise wurde durch einen Zufall ausgerechnet Jean-Claude Juncker derjenige Politiker, dem die Aufklärung oblag. Juncker war in Luxemburg als Premier und Finanzminister einer der Architekten der umstrittenen Deals gewesen. Nun ist er Präsident der EU-Kommission – und hat als solcher zu Weihnachten versprochen, sich völlig aus den Ermittlungen herauszuhalten. EU-Präsident Martin Schulz hat sich als besonders volksnah gegeben und angekündigt, er werde sich um mehr Transparenz in der EU kümmern.

Doch bis zum heutigen Tag hat der Untersuchungsausschuss des EU-Parlaments kein einziges Dokument erhalten, wie der EU-Parlamentarier Fabio De Masi erklärt. De Masi, der der Linkspartei angehört, schildert, wie alle Seiten die Aufklärung verhindern.

Der Fall zeigt, warum die EU zu einer Reform von innen nicht fähig ist: Die Strukturen der EU – vom Steuerzahler finanziert – werden nicht dafür eingesetzt, im besten Interesse aller EU-Bürger Politik gemacht. Die Strukturen werden verwendet, um Lobby-Interessen zu bedienen, die Öffentlichkeit an der Nase herumzuführen und darauf zu bauen, dass jeder Skandal in Vergessenheit gerät, wenn man ihn nur lange genug verschleppt.

Wir haben mit Fabio De Masi über den aktuellen Stand gesprochen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Ein Ausschuss des EU-Parlaments hat im Februar eine Untersuchung eingeleitet, um herauszufinden, wie internationale Konzerne die nationalen Steuergesetze umgehen. Gibt es schon Erkenntnisse?

Fabio De Masi: Ja. Internationale Konzerne zahlen auf Milliardengewinne kaum oder keine Steuern, während die Anständigen die Dummen sind und in Europa bei den öffentlichen Investitionen gekürzt wird, bis es kracht. Aber das wussten wir schon. Und was wir wissen wollen, erfahren wir nicht. Wir haben etwa bisher nicht ein einziges Dokument aus den Mitgliedsstaaten bzw. dem Europäischen Rat erhalten.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Die Arbeit des Ausschusses wird aber offenbar von allen Seiten behindert. Stimmt das - und wer blockiert die Arbeit?

Fabio De Masi: Ja. Wir wissen bis heute nicht, ob Juncker vorgeladen wird. Als wir Whistleblower anhören wollten, geschah dies unter Ausschluss der Öffentlichkeit - angeblich auf deren Wunsch. Das stimmte aber nicht. Wer dahinter steckt ist kein Geheimnis: Die großen Fraktionen - die Europäische Volkspartei mit Manfred Weber sowie Sozialdemokraten unter Führung von Parlamentspräsident Martin Schulz und Gianni Pitella haben einen echten Untersuchungsausschuss mit mehr Rechten bei der nationalen Dokumenteneinsicht sowie der Vorladung von Zeugen verhindert. Auch Guy Verhofstadt von den Liberalen hat wegen seiner Vergangenheit in Belgien ein Problem. Das ist der old boys club. Schulz weiß genau: Fällt Juncker, ist auch er nicht mehr Frühstücksdirektor.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Angeblich wird der Ausschuss von den Mitgliedsstaaten ignoriert – der EUObserver berichtet, dass nur Estland, Lettland, Polen und Portugal bisher bereit waren, auf Minister-Ebene mit dem Ausschuss zu sprechen?

Fabio De Masi: Wir könnten in Luxemburg auch mit dem dortigen Finanzminister sprechen. Hinter verschlossenen Türen. Jetzt mal ehrlich: die Finanzminister machen doch Witze über uns. Die nehmen das nicht ernst. Leider zu Recht.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sie wollten dem Ausschuss von Anfang an mehr Kompetenzen geben. Kann so, wie er jetzt läuft, eine Aufklärung geschehen?

Fabio De Masi: Ich bezweifle das.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Hat der Ausschuss dazu beigetragen, dass die Steuervermeidung über die Grenzen hinweg gestoppt wurde?

Fabio De Masi: Nein.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Ein Zentrum der Kritik war Luxemburg. Hat sich dort etwas geändert? Ist Luxemburg kooperativ?

Fabio De Masi: Luxemburg versucht sein Imageproblem zu bekämpfen. Etwa, indem sie sich bei den sogenannten Transferpreisen - über die Konzerne Unternehmensintern Gewinne und Verluste hin- und herschieben - stärker an OECD Standards ausrichten oder das Bankgeheimnis geschwächt wurde. Das Problem ist aber, dass auch die OECD Standards nicht greifen, weil es etwa für den Bereich des eCommerce bei Amazon oder Google kaum marktübliche Preise gibt. Das sind ja quasi Monopolisten. Außerdem haben die Finanzbehörden gar nicht das Personal und die Ressourcen den Konzernen die Stirn zu bieten. Das ist auch nicht gewünscht. Zudem plant Luxemburg schon wieder neue Steuertricks wie eine Familienstiftung für internationale Superreiche, damit diese sich Erbschaftsteuern entziehen oder Geld waschen können. Luxemburg will nun zwar stärker Informationen austauschen, aber nur auf der Ebene der Finanzminister. Das bringt nichts, weil auch Herr Schäuble nichts unternehmen wird. Schließlich waren die Finanzminister schon bislang Schläfer auf der Regierungsbank, weil eben deutsche oder französische Konzerne von Steueroasen profitieren.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Welche Rolle spielt Jean-Claude Juncker, er war immer Premier in Luxemburg und soll die Affäre nun aufklären?

Fabio De Masi: Er war der Pate des Luxemburger Kartells. Er war dort auch Finanzminister. Würden Sie Don Corleone mit der Verbrechensbekämpfung betrauen? Ich nicht.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Welche Rolle spielt EU-Parlamentspräsident Martin Schulz? Er müsste eigentlich die Anliegen des Parlaments vertreten...

Fabio De Masi: Nun, er hat mit einem miserablen juristischen Gutachten des Juristischen Dienstes - dass wohl bestellt wurde und von seriösen Experten zerrissen wurde - gegen einen Untersuchungsausschuss argumentiert. Er hat eigenmächtig entschieden, dass die Abgeordneten über einen solchen Ausschuss nicht mal abstimmen durften.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Welche Möglichkeit hätten die Parlamentarier, um einen schärferen Ausschuss zu erzwingen?

Fabio De Masi: Wir werden Herrn Schulz an seine Pflichten erinnern und notfalls müssen wir vor dem Europäischen Gerichtshof klagen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sehen wir hier eine Große Koalition des Vertuschens am Werk?

Fabio De Masi: Absolut. Nur wenn die so weitermachen, sind die bald nicht mehr groß. Hoffentlich.

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