Finanzen

„Der Schatten-Staat der Währungsunion wird sich als Papiertiger erweisen“

Der ehemalige Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Thomas Mayer, sieht im Stresstest der EZB ein Kapitel zu einer Vergemeinschaftung der Schulden und Risiken in der Euro-Zone. Ziel sei die Errichtung eines „Schattenstaates aus supra-nationalen Institutionen und zwischenstaatlichen Verträgen“. Er soll in der Euro-Zone die Defizite ausgleichen, die ein nicht zu Ende gedachtes Konstrukt aufweist. Nachhaltig kann eine solche Entwicklung nicht sein.
07.07.2015 09:55
Lesezeit: 3 min

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Ist es nicht erstaunlich, dass nach dem Banken-Stresstest nicht eine einzige Bank geschlossen werden muss? In jeder anderen Branche wäre das der Normalfall…

Thomas Mayer: In der Tat. Seit der Finanzkrise wurden in der EWU nur wenige Banken geschlossen. Die Federal Deposit Insurance Corporation in den USA war da wesentlich aggressiver und hat die Bereinigung des Sektors erzwungen. Bei uns steht die notwendige Bereinigung und Konsolidierung des Bankensektors bis heute aus.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Die EZB (Constâncio) hat gesagt, dass man für den Stresstest noch keine aktuellen Krise wie die Russland-Krise berücksichtigen konnte. Wie aussagekräftig ist ein solcher Test?

Thomas Mayer: Jeder Stresstest kann nur die von dem früheren amerikanischen Verteidigungsminister Rumsfeld so treffend genannten „known unknowns“ berücksichtigen. Oft sind es aber die „unknown unknowns“, die uns am meisten Probleme bereiten. Der EZB Stresstest hat nicht einmal alle „known unknowns“ behandelt.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Die BoE hat angekündigt, ihr Test werde schärfer sein und unter anderem einen Preisverfall von 35 Prozent bei Immobilien simulieren. Warum fehlt ein solches Szenario beim EZB-Test?

Thomas Mayer: Das wissen nur die Designer des Tests. Man hat aber auch auf vieles andere Risiken, wie auf die erwähnte Russlandkrise oder auf anhaltende Deflation im Euroraum, nicht getestet. Insofern sollte man die Aussagefähigkeit des Tests nicht zu hoch einschätzen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Die EZB hat sich weder mit einem Deflations-Szenario noch mit der extremen Vernetzung befasst. Ist ein Gesamt-Crash des Systems möglich – oder sind die Banken bereits ausreichend voneinander abgeschirmt?

Thomas Mayer: Man hat die Risikopuffer erhöht, aber die Netzwerkeffekte bestehen weiter fort. Insofern ist das System sicherer geworden, aber eben nicht „bombensicher“. Dies liegt in der Natur unseres Geldsystems, in dem Geld über die Kreditvergabe der Banken produziert wird.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: War der Stresstest eine politische Übung, um auf Teufel komm raus zu beweisen: Der Euro funktioniert, wir bekommen die Lage in den Griff?

Thomas Mayer: Der Stresstest war die Vorbedingung für die einheitliche Überwachung durch die EZB, und diese wiederum die Vorbedingung für die Möglichkeit, dass der ESM Banken direkt rekapitalisieren kann. Mit der Möglichkeit der direkten Rekapitalisierung der Banken durch den ESM wollten vor allem die Südländer die Risiken in den Bilanz ihrer Banken vergemeinschaften.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sie sprechen von der EZB als einem „Schattenstaat“. Kann ein solches Gebilde auf Dauer wirklich die Bürger eines ganzen Kontinents regieren?

Thomas Mayer: Nein. In unserem Kreditgeldsystem produzieren Banken privates Schuldgeld mit staatlicher Lizenz in einer öffentlich-privaten Partnerschaft. Wie die Geschichte gezeigt hat, ist diese Form der Geldproduktion nur langfristig lebensfähig, wenn sie durch eine staatliche Zentralbank als Kreditgeber der letzten Instanz und einen Staat als Regulator und Insolvenzverwalter in Krisenfällen gedeckt wird. Für die EWU haben die verantwortlichen Politiker in Ermangelung eines richtigen Staates einen Schattenstaat gebaut, der aus supra-nationalen Institutionen wie dem ESM sowie zwischenstaatlichen Verträgen besteht. Aber wie das Beispiel Frankreichs und Italiens gerade zeigt, lassen sich souveräne Staaten ihre Souveränität nicht so einfach beschneiden. Daher wird sich der Schattenstaat als Papiertiger erweisen, der die EWU nicht dauerhaft absichern kann.

***

Thomas Mayer ist Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institute mit Sitz in Köln. Zuvor war er Chefvolkswirt der Deutsche Bank Gruppe und Leiter der Deutsche Bank Research. Bevor er in die Privatwirtschaft wechselte, bekleidete er verschiedene Funktionen beim Internationalen Währungsfonds in Washington und beim Institut für Weltwirtschaft in Kiel.

Thomas Mayer stellt sich in seinem BuchDie neue Ordnung des Geldes: Warum wir eine Geldreform brauchen, dem Konsens der Experten entgegen und fordert die konventionelle Makroökonomik und Finanztheorie heraus. Seine Antwort auf die Frage nach einer besseren Geldordnung ist eine Geldreform, die unsere gegenwärtige Passivgeldordnung durch eine Aktivgeldordnung ersetzt. Mayer ist kein schlichter Krisenprophet. Er glaubt, dass das mangelhafte Geldsystems in einem evolutionären Prozess verbessert werden kann – wenn Politiker und Entscheidungsträger es nur wollen.

Das Buch ist im Buchhandel erhältlich und kann beim Verlag oder bei Amazon

bezogen werden.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Immer mehr XRP- und ETH-Inhaber wenden sich still und leise an OPTO-Miner, um 3.000 Dollar pro Tag zu verdienen

Im derzeit unberechenbaren Kryptomarkt entscheiden sich immer mehr Anleger dafür, langsamer zu werden und sich nicht mehr von...

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Politik
Politik Kommt die Senkung der Stromsteuer für alle? Bundesregierung droht Dämpfer im Bundesrat
09.07.2025

An der Entscheidung der Bundesregierung, die Stromsteuer nicht – wie im Koalitionsvertrag angekündigt – auch für alle Bürger und...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Huthi-Angriff im Roten Meer zerschlägt Hoffnung auf Wiedereröffnung des Suezkanals
09.07.2025

Ein neuer Angriff der Houthis auf ein griechisches Frachtschiff lässt alle Hoffnungen auf eine Wiedereröffnung des Suezkanals zerplatzen....

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Wirtschaft und KI: Jeder zweite Arbeitnehmer zweifelt an Deutschlands wirtschaftlicher Zukunft
09.07.2025

Eine aktuelle Umfrage zeigt: Viele Beschäftigte sind skeptisch, ob Deutschland im Zeitalter der künstlichen Intelligenz wirtschaftlich...

DWN
Politik
Politik Corona: Breite Mehrheit für Enquete-Kommission zur Corona-Aufarbeitung
09.07.2025

Lockdown, Impfpflicht, Schulschließungen und Abstandsregeln – in der Corona-Pandemie wurde eine Vielzahl von unverhältnismäßigen...

DWN
Finanzen
Finanzen Deutsche Goldreserven: Hoher Goldpreis, explodierende Staatsschulden – sollte die Bundesbank Gold zu Geld machen?
09.07.2025

Rekordschulden, Rekordausgaben: Der Bundeshaushalt steuert unter der schwarz-roten Regierung bis 2029 auf ein 850 Milliarden Euro schweres...

DWN
Unternehmen
Unternehmen IT-Sicherheit in der Urlaubszeit: Wenn der Chef im Urlaub ist, beginnt für die IT der Ernstfall
09.07.2025

Der Sommer beginnt, das Management reist ab – für Hacker ist das die ideale Gelegenheit. Lesen Sie, wie Unternehmen für IT-Sicherheit...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft OPEC+ erhöht Förderung deutlich – Ölpreise unter Druck
09.07.2025

Die OPEC+ überrascht mit einer weit stärkeren Förderausweitung als erwartet – mit möglichen Folgen für die Weltwirtschaft,...

DWN
Technologie
Technologie Rekordfahrt auf Strom: Lucid überquert Alpen – E-Auto schafft 1205 Kilometer
09.07.2025

Ein neuer Reichweitenrekord zeigt, wie leistungsfähig moderne Elektroautos inzwischen sind: Ein Fahrzeug des US-Herstellers Lucid hat mit...