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Think Tank: Ein Verbleib Griechenlands im Euro ist billiger als der Crash

Lesezeit: 2 min
10.08.2015 00:07
Ein Londoner Think Tank räumt mit einer Legende auf: Die Euro-Zone hätte weniger Schaden, wenn Griechenland im Euro bleibt und durch Transfer-Leistungen in den Euro integriert wird. Der Konflikt zwischen Deutschland und Griechenland wäre mit wirtschaftlichem Sachverstand besser zu lösen als mit politischen Manövern.
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Nach Meinung des britischen National Institute of Ecnonomic und Social Research (NIESR) erfordert die Wiederherstellung der Schuldentragfähigkeit Griechenlands eine Schulden-Abschreibung um mindestens 55 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, und liegt somit höher als die IWF-Schätzung von 30 Prozent. Sollte die „Troika“ (neuerdings „Quadriga“) dagegen weiterhin auf den bisherigen unrealistischen Haushaltsziele bestehen bleibt, so geriete die griechische Wirtschaft in die Depression. In einer Depression geht im Gegensatz zur Rezession das Volkseinkommen in seiner Höhe absolut zurück und sie hält länger an.

Die griechische Wirtschaft wird in diesem und im nächsten Jahr voraussichtlich wieder stark schrumpfen, mit erwarteten 3 Prozent in 2015 und 2,3 Prozent im Jahr 2016. Das britische Institut geht davon aus, dass die Rezession Mitte 2016 endet. Doch zu diesem Zeitpunkt wird die Wirtschaft um insgesamt 30 Prozent im Verhältnis zum Höchststand der wirtschaftlichen Leistung in 2007 zurückgegangen sein und somit eine weitaus geringere Wirtschaftsleistung aufweisen als zu dem Zeitpunkt, als Griechenland der Eurozone im Jahr 2001 beitrat (siehe Abbildung 1):

Die NIESR Analyse stellt fest, dass die vorgeschlagenen Änderungen der Mehrwertsteuer, resp. deren Erhöhung, wie von der griechischen Regierung skizziert, die aktuelle Situation der Verlängerung der Rezession noch weiter verschärfen würde (siehe Abbildung 2):

Darüber hinaus wird das weitere Beharren auf primären Budgetvorgaben und unrealistischen Überschuss-Annahmen, während die Wirtschaft am Boden liegt, nicht dazu führen, dass sinnvolles, wirtschaftliches Wachstum generiert wird. Jack Meaning, wissenschaftlicher Mitarbeiter am NIESR, argumentiert wie folgt: „Die Änderungen des Mehrwertsteuersystems wird den ohnehin schwachen Verbrauch treffen, in der Folge die Wirtschaft in diesem Jahr noch weiter schrumpfen lassen und auch noch die nächsten Jahre betreffen. Dies wird den zugrunde liegenden deflationären Druck in diesem und in den kommenden Jahren lediglich kaschieren.“

Griechenlands Staatsverschuldung ist nicht nachhaltig und sein Bankensystem von der Emergency Liquiditätshilfe (ELA) der EZB abhängig. Simon Kirby von NIESR argumentiert: „Ein Übergang zu einer nachhaltigen Verschuldungslage wird nur durch die Form eines permanenten Transfers durch den Rest der Eurozone möglich sein“. Eine Schulden-Umstrukturierung oder Abschreibung von 95 Milliarden Euro (was etwa 55 Prozent der griechischen BIP entspricht) böte Griechenland die Chance, zumindest die Zielmarke des ursprünglichen ersten Bail-outs von 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bis zum Jahr 2020 zu erreichen, so das britische Institut.

Ein Fiskal-Transfer durch die Eurozonen-Mitglieder würde in etwa ein Prozent des gesamten Brutto-Inlandsprodukts des gesamten Euroraums benötigen. Da er über viele Jahre anhalten und auf sämtliche Mitgliedsländer verteilt werden würde, so bekräftigt das britische Institut, wären die Auswirkungen auf andere Mitglieder der Eurozone minimal. Und dieser Finanzausgleich sei erforderlich, wenn die Eurozone als Ganzes erhalten werden soll.

Das Institut setzt voraus, dass eine dritte „Rettungsaktion“ erreicht wird und Griechenland in der Eurozone bleibt. Sollten sich jedoch die Aussichten für Griechenland innerhalb der Eurozone verschlechtern, werden die Fragen nach der Zugehörigkeit des Landes andauern. Während die Einrichtung einer neuen Drachme-Währung in Griechenland mit deutlichen Risiken behaftet ist, mag es dennoch zu einem Punkt kommen, wo das Kalkül es erfordert, aus dem Euroraum auszuscheiden. Es mag verwundern, dass viele innerhalb des Euroraums bereit scheinen, diese Risiken zu akzeptieren.

Allerdings wäre dies – wie in der Vergangenheit zu beobachten – konsistent mit dem Verhalten von Gläubiger-Nationen in einer Währungsunion: Gläubiger-Nationen sind immer die, die das Endergebnis einer Währungsunion bestimmen. Die Ironie der Geschichte ist, dass Griechenland gezwungen wäre, die gemeinsame Währung zu verlassen. Die Verluste, die die Gläubiger zu erwarten hätten, wären dabei weit größer, als jene Schulden-Abschreibungen, die erforderlich sind, damit Griechenland in der Eurozone verbleiben kann.


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