Politik

US-Historiker: Die USA zerstören Europa

Der US-Historiker Eric Zuesse sieht den Hauptgrund für die derzeitige Flüchtingswelle in Europa in der US-Außenpolitik der letzten Jahre. Die USA hätten Libyen, Syrien und schließlich die Ukraine gezielt destabilisiert, um Russland zu schwächen. Dass Europa ebenfalls enormen Schaden nimmt, würde die US-Regierung dabei billigend in Kauf nehmen.
13.08.2015 00:07
Lesezeit: 5 min

In einem aktuellen Beitrag analysiert Eric Zuesse die Ursachen der Flüchtlingsströme in Europa und sieht in der US-Außenpolitik der letzten Jahre einen der Hauptgründe. Der folgende Text erschien zuerst auf seinem Blog Strategic Culture.

In Libyen, Syrien, der Ukraine und anderen Ländern an der Peripherie oder den Rändern Europas hat US-Präsident Barack Obama eine Politik der Destabilisierung und sogar Bombeneinsätze und andere militärische Unterstützung betrieben, die Millionen Flüchtlinge aus diesen Peripherie-Gegenden und nach Europa getrieben hat. Dadurch wurde Benzin in die rechtsextremen Feuer der Einwanderungsgegner gegossen und die politische Landschaft in Europa destabilisert, nicht nur an seiner Peripherie, sondern sogar so bis nach Nordeuropa.

Der Journalist Shamus Cooke titelte im Off-Guardian am 3. August 2015, „Obama's 'Sicherheitszone' in Syrien soll es in ein neues Libyen verwandeln“ und er berichtet, dass Obama US-Luftunterstützung für die zuvor nicht umsetzbare Flugverbotszone der Türkei über Syrien genehmigt hat. Die USA werden nun alle Flugzeuge des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad abschießen, die auf extremistisch-muslimische Gruppen zielen, einschließlich ISIS, die weite Teile des syrischen Territoriums übernommen haben. Cooke berichtet:

„Die Türkei hat diese Flugverbotszone von Obama gefordert, seit der syrische Krieg begonnen hat. Sie wurde während des gesamten Konflikts und auch in den letzten Monaten diskutiert, doch das erklärte Ziel war immer die syrische Regierung. Und plötzlich erfolgt die Flugverbotszone – genau dort, wo die Türkei sie immer haben wollte – aber sie wird als 'Anti-ISIS-Sicherheitszone' bezeichnet, statt sie bei ihrem richtigen Namen zu nennen: 'Anti-Kurdische- und Anti-Syrische-Regierungs-Sicherheitzone'.“

Die New York Times berichtete am 27. Juli, dass „der Plan vorsieht, dass relativ moderate syrische Rebellen das Territorium einnehmen, mit Hilfe amerikanischer und möglicherweise türkischer Luftunterstützung.“ Doch die Times, während sie (wie üblich) stenographisch von und für ihre US-Quellen berichtet (und so für die US-Regierung agiert), vergisst dabei „relativ moderate Rebellen“ zu definieren. Denn alle „relativ moderaten“ Rebellen-Gruppen in Syrien arbeiten mit ISIS zusammen und helfen dabei, Nicht-Muslime zu finden und zu enthaupten, oder manchmal gegen Lösegeld festzuhalten. Unter Assad war Syrien ein nicht-religiöser Staat in dem Religionsfreiheit herrschte, doch allen syrischen Gegnern von Assad ist dies fremd. Die USA sind nun, noch klarer als zuvor, gegen Assad und für Islamisten.

Seymour Hersh berichtete am 17. April 2014 im London Review of Books, dass der Libyen-Bombeneinsatz der Obama Administration im Jahr 2011 Teil eines umfassenden Programms gewesen sein soll, Sarin-Gas von Libyen zur Al-Nusra-Front nach Syrien zu bringen, um so zu helfen, einen Gas-Anschlag auf Zivilisten zu verüben, für den die US-Administration dann Assad die Schuld zuschieben könnte. Dies sollte als Vorwand dienen, das Land zu bombardieren, wie es Obama schon so erfolgreich in Libyen gemacht hat. Beide Diktatoren, Gaddafi und Assad, waren Verbündete Russlands, und besonders Assad war wichtig für Russland als Transit-Route für die russische Gasversorgung und nicht für Katars Gas. Katar ist die größte Bedrohung für Russlands Status als Hauptlieferant von Gas nach Europa.

Obamas Hauptziel in den internationalen Beziehungen und der Militärpolitik war es, Russland zu besiegen, um dort einen „Regime-Change“ zu erzwingen, der Russland zu einem Teil des amerikanischen Imperiums macht, so dass es nicht länger die größte Nation ist, die sich der Kontrolle durch Washington widersetzt.

Vor den US-Bombeneinsätzen in Libyen im Jahr 2011, herrschte in Libyen Frieden und Wohlstand. Das Pro-Kopf-BIP (Einkommen) im Jahr 2010 lag dem IWF zufolge bei 12.357,80 Dollar, aber es fiel auf 5.839,70 Dollar im Jahr 2011 – das Jahr in dem wir das Land bombardiert und zerstört haben. (Hillary Clinton prahlte bekannterweise damit: „Wir kamen, wir sahen, er [Gaddafi] starb!“). Und im Gegensatz zum US-Verbündeten Saudi-Arabien war dieses Pro-Kopf-Einkommen relativ gleichmäßig verteilt, und sowohl das Bildungs- als auch das Gesundheitssystem waren in staatlicher Hand und für jeden verfügbar, sogar für die Armen. Kürzlich, am 15. Februar, titelte die Reporterin Leila Fadel vom National Public Radio „Weil die Ölfelder angegriffen werden, sieht Libyens wirtschaftliche Zukunft düster aus“. Sie berichtete: „Der Chef sieht sich die Produktion an und weiß, dass die Zukunft düster ist. 'Wir können nicht produzieren. Wir verlieren 80 Prozent unserer Produktion', sagt Mustafa Sanallah, Vorstandsvorsitzender von Libyens staatlichem Ölkonzern.“

Auf Geheiß Washingtons hat der IWF die BIP-Zahlen für Libyen seit 2011 nicht verlässlich berichtet, sondern behauptet, dass der Normalzustand im Jahr 2012 wiederhergestellt wurde (der Normalzustand wurde angeblich sogar übertroffen: BIP pro Kopf bei 13.580,55 Dollar). Doch jeder weiß, dass das nicht stimmt und sogar NPR berichtet, dass es nicht wahr ist. Die CIA schätzt, dass das Pro-Kopf-BIP in Libyen im Jahr 2012 bei lächerlichen 23.900 Dollar lag (sie gibt keine Zahlen vor diesem Jahr an) und sagt, dass Libyens Pro-Kopf-BIP danach nur leicht gefallen ist. Keine der offiziellen Prognosen ist auch nur im Ansatz vertrauenswürdig, doch der Atlantic Council gab sich wenigstens die Mühe, die Dinge ehrlich zu erklären und titelte in seinem letzten Bericht über Libyens Wirtschaft vom 23. Januar 2014: „Libyen sieht dem wirtschaftlichen Kollaps im Jahr 2014 entgegen“.

Libyen ist zu Europas größtem Problem geworden. Millionen Libyer fliehen aus dem dortigen Chaos. Einige von ihnen fliehen über das Mittelmeer und landen in Flüchtlingslagern in Süditalien, weitere flüchten an andere Orte in Europa.

Und Syrien ist eine weitere Nation, die zerstört wird, um Russland zu erobern. Sogar die New York Times erkennt in ihrer Berichterstattung an, dass „sowohl die Türken als auch die syrischen Rebellen es als ihre Hauptpriorität ansehen, Präsident Bashar al-Assad zu besiegen“. Also: US-Bomber werden eine Flugverbotszone über Teilen Syriens durchsetzen, um den Russland-Verbündeten Bashar al-Assad zu stürzen und seine säkulare Regierung durch eine islamische Regierung zu ersetzen – und die „Anti-ISIS“-Sache ist nur Show; es ist PR. Der Öffentlichkeit liegt deutlich mehr daran gelegen, ISIS zu besiegen als Russland zu bezwingen, aber das ist nicht die Art und Weise wie die amerikanische Aristokratie die Dinge sieht. Ihr Ziel ist es, das amerikanische Imperium auszudehnen – und damit ihr eigenes Imperium auszudehnen.

Auf ähnliche Weise stürzte Obama die neutrale Regierung von Viktor Janukowitsch in der Ukraine im Februar 2014, aber dies geschah unter dem Deckmantel demokratischer Demonstrationen, statt unter dem Deckmantel „Gegen den islamistischen Terrorismus“ oder welch andere Phrasen die US-Regierung auch nutzt, um die Leute in die Irre zu führen über die Einsetzung und die Unterstützung einer fanatisch anti-russischen Regierung in der Ukraine, direkt neben Russland. So wie in Libyen Frieden herrschte, bevor die USA dort eingefallen sind und es zerstört haben, und so wie in Syrien Frieden herrschte, bevor die USA und die Türkei dort eingefallen sind und es zerstört haben, herrschte auch in der Ukraine Frieden, bevor die USA dort ihren Staatsstreich durchführten und Personen an die Macht brachten, die dort eine ethnische Säuberung durchführen und auch die Ukraine zerstören.

Der Sturz Gaddafis in Libyen, der aktuell angestrebte Sturz Assads in Syrien und der kürzlich erfolgreiche Sturz des gewählten ukrainischen Präsidenten Janukowitsch, zielen alle darauf ab, Russland zu besiegen. Die Tatsache, dass ganz Europa an der Verwüstung teilnimmt, die Obama und andere amerikanische Konservative – sogar Imperialisten – entfesseln, ist von geringen bis gar keinem Interesse für die Machthaber in Washington. Wenn es sie überhaupt interessiert, dann ist es vielleicht nur ein weiterer reizvoller Aspekt dieser umfassenden Operation: Indem die europäischen Nationen geschwächt werden, und nicht nur die Nationen im Nahen Osten, führt Obamas Krieg gegen Russland dazu, dass die USA am Ende des von ihnen verursachten Chaos und der Zerstörung „der letzte Überlebende“ sind.

Somit ist beispielsweise, die Tatsache, dass die Wirtschaftssanktionen gegen Russland den europäischen Volkswirtschaften enormen Schaden zufügen, aus Sicht der US-Strategie gut und nicht schlecht.

Es gibt zwei Wege, um in jedem Spiel zu gewinnen: Ein Weg ist, die eigene Leistung zu verbessern. Der andere ist, die Leistung all seiner Konkurrenten zu schwächen. Die USA verlassen sich zurzeit fast ausschließlich auf die zweite Strategie.

***

Der investigative Historiker Eric Zuesse ist Autor der Bücher They're Not Even Close: The Democratic vs. Republican Economic Records, 1910-2010 und CHRIST'S VENTRILOQUISTS: The Event that Created Christianity.

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