Politik

Kissinger entzaubert Obama: Putin wollte Freund des Westens sein

Der frühere US-Außenminister Henry Kissinger hat der US-Regierung von Barack Obama vorgeworfen, Russland in die Hände Chinas zu treiben. Wladimir Putin habe keine Kriegsabsichten gegen die Ukraine verfolgt. Durch die Unfähigkeit der EU und den Dilettantismus der USA sei aus einem Politiker, der eigentlich zum Westen gehören will, ein neuer russischer Zar geworden.
24.08.2015 15:39
Lesezeit: 2 min

Henry Kissinger beschreibt in einem äußerst lesenswerten Interview mit der Zeitschrift The National Interest den neuen Kalten Krieg als ein Versagen des Westens: Er habe Ende November 2013 ausführlich mit Russlands Präsident Wladimir Putin gesprochen. In dem Gespräch seien alle wichtigen geopolitischen Themen diskutiert worden. Erst gegen Ende des Gesprächs sei die Sprache auf Russland gekommen. Putin habe die Ukraine ausschließlich als wirtschaftliches Problem betrachtet. Er habe davon gesprochen, dass das Problem mit Zöllen und den Energiepreisen zu lösen sein werde. Von einer kriegerischen Intention sei nichts zu erkennen gewesen. Kissinger: „Es ist nicht glaubwürdig, dass Putin 60 Milliarden Euro ausgegeben haben soll, um Sotschi zu einer Olympia-Stätte auszubauen, bei der sich Russland als Teil der westlichen Zivilisation präsentierte, um nur eine Woche nach der Abschluss-Zeremonie eine militärische Krise in der Ukraine anzuzetteln.“

Die Beziehungen zwischen der Ukraine und Russland könnten niemals als normale bilaterale Beziehungen zwischen zwei Staaten angesehen werden. Die historischen Bande seien so tief, dass weder Russland noch die Ukraine jemals ohne einander auskommen würden.

Kissinger sieht das Hauptversagen bei der EU, die „in Panik verfallen“ sei, als sich der damalige ukrainische Präsident Janukowitsch weigerte, das Assoziierungsabkommen zu unterschreiben. Janukowitsch habe seine Unterschrift aus innenpolitischen Gründen zurückgezogen. Dadurch sei Putin ermutigt worden, Ziele, die er vielleicht erst langfristig verfolgt hätte, gleich umzusetzen. Mit den Maidan-Protesten sei Putins Plan hinfällig geworden, ein neues Verhältnis zwischen der Ukraine und Russland aufzubauen. An diesem Plan habe Putin zehn Jahre lang gearbeitet. Die Entwicklung „muss aus Moskauer Sicht so ausgesehen haben, dass die Ukraine – bisher ein Heimspiel für Russland – aus dem Orbit Russlands herausgerissen werden soll“: „Danach hat Putin wie ein russischer Zar agiert, wie Nikolaus I. vor hundert Jahren. Ich entschuldige dieses Vorgehen nicht, aber ich setze es in den Kontext.“

Nun befinde sich Russland auf Kurs in Richtung China, doch Kissinger glaubt nicht, dass die beiden Großmächte zusammenpassen. Kissinger ist auch skeptisch, dass es in absehbarer Zukunft eine enge Beziehung zwischen China und den USA geben könne. Die Unterschiede zwischen Washington und Moskau seien strategisch begründet, während es mit China kulturelle Unterschiede gäbe. Der Schwenk Russlands nach China sei auch auf die US-Außenpolitik zurückzuführen, die Putin in die Ecke getrieben hat: „Es kommt teilweise daher, weil wir ihnen keine Wahl gelassen haben.“

Kissinger macht in dem Interview keinen Hehl daraus, dass er die Regierung von Obama für außenpolitisch wenig kompetent hält. Er führt dies auf mangelndes geschichtliches Wissen zurück: „Wir haben nichts aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt.“ Die neue, junge Generation in Washington agiere „geschichtslos“. Doch Politik auf Basis einer willkürlich gesetzten Stunde Null ist nicht machbar.

Diese mangelnde Lernbereitschaft führe auch zu einer verhängnisvollen Rolle der USA in den verschiedenen globalen Kriegen: „Das Problem mit den US-Kriegen seit dem Zweiten Weltkrieg besteht in dem Versagen, die Strategie mit dem zu vereinbaren, was innenpolitisch möglich ist. Wir haben alle fünf Kriege, die wir seit dem Zweiten Weltkrieg gefochten haben, mit großer Begeisterung begonnen. Aber die Falken haben nie durchgehalten. Am Ende waren sie in einer Minderheit. Wir sollten uns nicht in internationalen Konflikten engagieren, wenn wir nicht von allem Anfang an skizzieren können, wie das Ende aussieht. Wir sollten uns nicht engagieren, wenn wir nicht willens sind, die Sache so lange zu unterstützen, bis wir dieses Ende erreicht haben.“

Kissinger hat Verständnis für das Zögern Deutschlands, stärker eine führende Rolle einzunehmen. Man habe nach dem Zweiten Weltkrieg Deutschland ein halbes Jahrhundert eingetrichtert, dass eine neue deutsche Vorherrschaft niemals akzeptiert werden würde. Nun mache man Deutschen den Vorwurf, dass sich das Land weigere, eine Hegemonial-Rolle zu spielen: „Ich habe Sympathie für das deutsche Dilemma. Sie können helfen, sie können entscheidende Hilfe leisten, aber wir brauchen eine größeren, globalen Rahmen, zu dem auch wir etwas beitragen müssen.“

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Politik
Politik Putins Parade: Moskau feiert "Tag des Sieges" – Europas Spaltung auf dem Roten Platz sichtbar
09.05.2025

Während Putin mit Pomp den „Tag des Sieges“ feiert, marschieren zwei europäische Regierungschefs an seiner Seite – trotz Warnungen...

DWN
Panorama
Panorama Der stille Anti-Trump? Internationale Reaktionen auf Papst Leo XIV.
09.05.2025

Mit der Wahl von Robert Francis Prevost zum neuen Oberhaupt der katholischen Kirche übernimmt erstmals ein Amerikaner das Papstamt. Welche...

DWN
Finanzen
Finanzen Allianz-Aktie nach Dividendenabschlag im Minus – Chance für Anleger?
09.05.2025

Die Allianz-Aktie zählt 2025 zu den Top-Performern im DAX – doch am Freitagmorgen sorgt ein deutlicher Kursrückgang für Stirnrunzeln...

DWN
Finanzen
Finanzen DAX-Rekordhoch zur Eröffnung am Freitag
09.05.2025

Zum Handelsbeginn am Freitag hat der DAX ein frisches DAX-Rekordhoch erreicht. Die im April gestartete Erholungswelle nach dem ersten...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Insolvenzen in Deutschland steigen nur noch geringfügig an - ist das die Trendwende?
09.05.2025

Der Anstieg der Insolvenzen in Deutschland hat sich im April deutlich verlangsamt. Laut Statistischem Bundesamt wurden im Monatsvergleich...

DWN
Finanzen
Finanzen Commerzbank-Aktie profitiert von starkem Jahresauftakt - und nun?
09.05.2025

Die Commerzbank-Aktie hat zum Start in den Börsenhandel am Freitag leicht zugelegt. Das deutsche Geldhaus überraschte mit einem...

DWN
Politik
Politik Zweite Kanzlerreise: Erwartungen an Merz in Brüssel steigen
09.05.2025

Nur drei Tage nach seinem Amtsantritt ist Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) zu seiner zweiten Kanzlerreise aufgebrochen – Ziel ist...

DWN
Technologie
Technologie Meta trainiert KI mit Ihren Daten – ohne Ihre Zustimmung. So stoppen Sie das jetzt!
09.05.2025

Ab dem 27. Mai analysiert Meta öffentlich sichtbare Inhalte von Facebook- und Instagram-Nutzern in Europa – zur Schulung seiner...