Während VW angekündigt hat, fünf Millionen Autos zurückzurufen und immer weitere Automarken von dem Abgas-Skandal betroffen sind, wendet sich der Blick nun nach Brüssel. Wie stark die Autolobby in Deutschland und langsam auch auf EU-Ebene ist, zeigt ein neues Beispiel scheinbar versuchter Einflussnahme. Der CSU-Abgeordnete Albert Deß soll mit einem Änderungsantrag im Umweltausschuss des EU-Parlaments versucht haben, schärfere Abgasregeln für Kleinbusse auf EU-Ebene zu verhindern. Allerdings scheint es sich bei dem Antrag nicht um ein reines Dokument der CSU zu handeln, sondern vielmehr um ein VW-Dokument, wie der Spiegel berichtet.
Auch Vizekanzler Sigmar Gabriel hat nach seiner Zeit als Ministerpräsident in Niedersachsen als Lobbyist für VW gearbeitet. Ob sein Auftrag auch das Thema Umweltstandards Beinhaltet hat, ist nicht bekannt.
Einen Hinweis auf den Ursprung des Dokuments sollen die Meta-Daten sein. Hier ist die „Volkswagen Group“ als „Firma“ angegeben. Dies ist sowohl in der ersten Version des Änderungsvertrages vom 4. September angegeben als auch in der letzten vom 16. September dieses Jahres. Kurz darauf wurde bekannt, dass VW die Abgaswerte mit einer Software manipuliert hat.
Deß ist seit 2004 im EU-Parlament tätig. Zu den Vorwürfen sagte er, er wisse nicht, wie die „Volkswagen Group“ in seinen Änderungsantrag gekommen sei. Aus dem ihm vorgelegten Dokument sei nicht ersichtlich gewesen, wer der Urheber ist. Dass Industriekonzerne oder Interessenverbände „Vorschläge“ für Gesetze an Abgeordnete schicken, sei völlig normal. „Mir ist egal, woher ein Vorschlag kommt“, sagte Deß Spiegel Online. „Wenn er sinnvoll ist, würde ich ihn von der Automobilindustrie genauso übernehmen wie von einem Umweltverband.“
Dass die deutsche Automobilbranche in Deutschland über einen großen politischen Einfluss verfügt, zeigte sich eindrucksvoll bereits 2013. Damals griff Angela Merkel sogar zum Telefonhörer und rief Enda Kenny an, dessen Land damals die Ratspräsidentschaft innehatte. Sie versuchte über Nacht, noch schärfere Abgasnormen zu verhindern. Selbst eine Rede bei einer Konferenz zur Elektromobilität nutzte Merkel 2013 um sich gegen härtere Abgasnormen zu stellen.
Ein Blick in das EU-Transparenz-Register zeigte zuletzt, dass deutsche Unternehmen die aktivsten Lobbyisten in Brüssel sind. Unter den 15 Unternehmen, die am meisten für Lobbyarbeit ausgegeben haben, sind allein vier aus Deutschland: Siemens, Evonik, Daimler und Bayer. Wie stark verbreitet die Handhabe zur direkten Übernahme von Firmen-Texten bei EU-Gesetzen ist, erläuterte auch Richard Gutjahr von Lobbyplag.eu.
Gutjahr sagt, dass die meisten EU-Abgeordneten einfach eine „Menge Themen bearbeiten müssen“. Oft seien sie in vielen Ausschüssen nur als Beisitzer anwesend, sie kennen sich nicht umfassend aus und haben auch kaum die Möglichkeit, sich entsprechend in die jeweilige Materie einzuarbeiten. „Die Lobbyisten liefern den Abgeordneten mundgerecht das, was sie benötigen“, so Gutjahr. „Die Abgeordneten selbst schauen anschließend, ob es ihrer Meinung entspricht, und übernehmen es.“