Politik

Syrien: Krieg ist Teil eines Verhandlungs-Pokers zwischen Assad und IS

Lesezeit: 2 min
16.10.2015 23:54
Das Assad-Regime und der IS bekämpfen sich gegenseitig und sind dennoch aufeinander angewiesen. Die Konfliktparteien betreiben gemeinsame Kraftwerke und Ölfelder. Es werden Verhandlungen nach dem Vorbild der Chicagoer Mafia der 1920er Jahre geführt, so ein Unternehmer. Dazu gehöre eben auch der Krieg.
Syrien: Krieg ist Teil eines Verhandlungs-Pokers zwischen Assad und IS
Übersicht zur Energieinfrastruktur Syriens. (Grafik: EIA)

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Das syrische Assad-Regime und der IS bekämpfen sich militärisch. Doch wenn es um die Kontrolle der Gasfelder und Elektrizitätswerke des Landes geht, sind sie gleichzeitig zu einem Pakt gezwungen. Der IS kontrolliert mindestens acht Kraftwerke des Landes, darunter drei Wasserkraftwerke und die größte Gasanlage des Landes. Das Regime hingegen verfügt über das benötigte Personal und die Erfahrung für der Instandhaltung der Kraftwerke. Westliche Kritiker werfen der Regierung seit geraumer Zeit vor, mit dem IS geheime Ölabkommen zu schließen. Was zunächst wie ein haltloser Vorwurf erscheint, könnte dennoch zutreffend sein, wenn man die gegenseitige Abhängigkeitsbeziehung des Regimes und des IS betrachtet. Die FT hat sich mit dem Thema vergleichsweise sachlich auseinandergesetzt.

Dabei geht es in erster Linie nicht um finanzielle Vorteile, sondern um die Bereitstellung von Dienstleistungen im Energiesektor. Die Geschäftsabschlüsse zwischen beiden Seiten haben bisher nicht zu einem Waffenstillstand geführt. Die energiepolitischen Mitarbeiter und die Infrastruktur beider Seiten sind durchgehend Ziele für Angriffe. Das Regime nimmt diese Tatsachen als Beweis dafür, dass es keine Vereinbarungen zwischen Damaskus und dem IS, dessen inoffizielle Hauptstadt Rakka ist, gibt. „Im Bereich der Energiepolitik gibt es keine Koordination mit den Terrorgruppen“, meldet das syrische Ministerium für Öl und Rohstoffe in einer Erklärung. Allerdings gibt Damaskus zu, dass einige Mitarbeiter des Ministeriums auch für den IS arbeiten, „um die Sicherheit der Kraftwerke zu gewährleisten“, zitiert die Financial Times das Ministerium.

Die anhaltenden Kämpfe werden von Kritikern als Mittel zum Zweck beurteilt, wonach es lediglich darum gehe, eine bessere energiepolitische Verhandlungsposition zu erringen und die Gegenseite auszustechen. „Betrachten sie es als taktisches Manöver, um den Leverage-Effekt zu verbessern (…) Das sind Verhandlungen nach Vorbild der Chicagoer Mafia der 1920er Jahre. Man kämpft und tötet, um den Deal zu beeinflussen, aber der Deal platzt nicht“, sagte ein anonymer syrischer Energieunternehmer der FT.

Die beiden Seiten teilen den Strom, der aus Methan (Trockengas) erzeugt wird. Der IS hingegen erhält die Kraftstoffprodukte, die in den Werken verarbeitet werden. Die Mitarbeiter am Öl- und Gasfeld von Tuweinan sagen, dass sie das erwirtschaftete Gas an das Wärmekraftwerk in Aleppo liefern, das wiederum vom IS kontrolliert wird. Gemäß des sogenannten Tuweinan-Deals erhält der IS 70 Megawatt und das Regime 50 Megawatt Elektrizität pro Tag.

Die Anzahl der Mitarbeiter am Gasfeld ist im Verlauf des Bürgerkriegs von 1.500 auf 300 zurückgegangen, weil viele geflohen sind. Die Befürworter des Regimes sind sich einig darüber, dass Deals mit dem IS notwendig seien, um die elektrische Versorgung des Landes zu garantieren. In diesem Zusammenhang geht es um eine „nötige Komplizenschaft“. Ein weiterer syrischer Öl-Unternehmer, der mit dem Regime kooperiert, sagte den Financial Times: „Vorher haben wir mit der Jabhat al-Nusra oder der Islamischen Front zusammengearbeitet. Heute sind es die Vertreter des IS.“

Während die Arbeiter in Tuweinan schlecht bezahlt werden, geht es den Arbeitern des Öl- und Gasfelds „Conoco“, das ebenfalls vom IS kontrolliert wird, wesentlich besser. Dort befinden sich die größten Gasvorkommen des Landes. Der „Emir“, also der Verantwortliche und Chef, des Gasfelds ist der Saudi-Araber Abu Abdulrahman al-Jazrawi. Er ist ein Energiespezialist, führt technische Fortbildungen für seine Mitarbeiter durch und gibt jedem einzelnen Mitarbeiter – zusätzlich zum Lohn –  monatlich ein Barrel Öl. Ein Barrel kann auf dem Schwarzmarkt für 100 Dollar verkauft werden. Aktuell verkauft der IS täglich 40.000 Barrel Öl und macht einen täglichen Umsatz von einer Million Dollar. Die gesamte Region und insbesondere der Schwarzmarkt sind auf die Lieferungen der Terror-Miliz angewiesen. Es ist eine regelrechte inoffizielle „Erdöl-Nation“ entstanden.

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..


Mehr zum Thema:  

DWN
Unternehmen
Unternehmen Neue Reiseziele: So manch Überraschung im Sommerflugplan
29.03.2024

Ab Ostern tritt an den deutschen Flughäfen der neue Sommerflugplan in Kraft. Die Deutschen Wirtschaftsnachrichten haben für Sie als Leser...

DWN
Politik
Politik Vor 20 Jahren: Größte Erweiterung der Nato - eine kritische Betrachtung
29.03.2024

Am 29. März 2004 traten sieben osteuropäische Länder der Nato bei. Nicht bei allen sorgte dies für Begeisterung. Auch der russische...

DWN
Technologie
Technologie Viele Studierende rechnen mit KI-Erleichterungen im Joballtag
29.03.2024

Vielen Menschen macht Künstliche Intelligenz Angst, zum Beispiel weil KI Arbeitsplätze bedrohen könnte. In einer Umfrage stellte sich...

DWN
Politik
Politik Verfassungsgericht stärken: Mehrheit der Parteien auf dem Weg zur Einigung?
28.03.2024

Das Verfassungsgericht soll gestärkt werden - gegen etwaige knappe Mehrheiten im Bundestag in aller Zukunft. Eine Einigung zeichnet sich...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Deutschlands maue Wirtschaftslage verhärtet sich
28.03.2024

Das DIW-Konjunkturbarometer enttäuscht und signalisiert dauerhafte wirtschaftliche Stagnation. Unterdessen blieb der erhoffte...

DWN
Politik
Politik Corona-Aufarbeitung: Lauterbach will RKI-Protokolle weitgehend entschwärzen
28.03.2024

Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat angekündigt, dass einige der geschwärzten Stellen in den Corona-Protokollen des RKI aus der...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Brückeneinsturz in Baltimore trifft Importgeschäft der deutschen Autobauer
28.03.2024

Baltimore ist eine wichtige Drehscheibe für die deutschen Autobauer. Der Brückeneinsturz in einem der wichtigsten Häfen der...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft „Made in Germany“ ist wieder gefragt - deutsche Exporte steigen deutlich
28.03.2024

Der Außenhandel in Deutschland hat wider Erwarten zu Jahresbeginn deutlich Fahrt aufgenommen. Insgesamt verließen Waren im Wert von 135,6...