Mit ihrem triumphalen Wahlsieg bei den Regionalwahlen in Frankreich hat der Front National (FN) ein politisches Erdbeben ausgelöst. Von einem „Schock“ sprachen am Montag unisono die konservative Tageszeitung Le Figaro und das kommunistische Blatt L'Humanité. Die Zeitung Le Parisien sieht die Partei von Marine Le Pen eineinhalb Jahre vor den Präsidentschaftswahlen „vor den Toren der Macht“.
Die regierenden Sozialisten reagierten panisch: Premier Manuel Valls lehnte am Sonntagabend ausdrücklich jeden Kommentar mit dem Hinweis ab, man müsse dieses Ergebnis erst einmal verdauen.
Die Sozialisten kündigten unmittelbar nach der Schlappe an, ihre Listen in der nordfranzösischen Region Nord-Pas-de-Calais-Picardie und in der südfranzösischen Region Provence-Alpes-Côte d'Azur zurückzuziehen. Dort hatten FN-Chefin Le Pen und ihre erst 25-jährige Nichte Marion Maréchal-Le Pen im ersten Wahlgang klare Siege verbucht, die sozialistischen Spitzenkandidaten landeten mit großem Abstand auf dem dritten Platz. Ein Rückzug der sozialistischen Listen vergrößert die Chancen für die konservativen Kandidaten, sich im zweiten Wahlgang gegen die FN durchzusetzen.
Allerdings bedeutet das auch, dass die Sozialisten in diesen Regionalparlamenten in den kommenden Jahren keinen einzigen Abgeordneten stellen. In der Grenzregion Elsass-Lothringen-Champagne-Ardenne weigerte sich der Spitzenkandidat der Sozialisten, Jean-Pierre Masseret, am Montag seine Liste zurückzuziehen – obwohl Parteichef Jean-Christophe Cambadélis ihn dazu aufgefordert hatte. „Ich ziehe mich nicht zurück“, schrieb Masseret der Nachrichtenagentur AFP. Zuvor hatte Cambadélis dem Sender RTL gesagt: „Das ist eine Entscheidung des Parteivorstands. Er wird sie respektieren müssen. Punkt.“
Bei den konservativen Republikanern hatte Parteichef Sarkozy schon am Sonntagabend klar gemacht, es würden weder Listen zurückgezogen noch mit den Sozialisten zusammengelegt. Das konservativ-bürgerliche Lager sei „die einzig mögliche Alternative“. Aus dem Umfeld von Premierminister Manuel Valls wurde dies umgehend als „große Verantwortungslosigkeit“ verurteilt.
Zudem ist das konservativ-bürgerliche Lager in der Frage gespalten. Die Zentrumsparteien, die bei den Regionalwahlen mit den Republikanern paktieren, sprachen sich dafür aus, die Listen in bestimmten Fällen zurückzuziehen. Auch bei den Republikanern stehen bei weitem nicht alle hinter Sarkozy. Für eine Sitzung der Parteispitze am Montag wurden erregte Debatten erwartet.
Der Front National wurde in der ersten Runde der Regionalwahlen am Sonntag mit rund 28 Prozent der Stimmen stärkste Kraft – es ist das beste Ergebnis seiner Geschichte bei einer landesweiten Wahl. Vorläufigen Zahlen des Innenministeriums zufolge stimmten mehr als sechs Millionen Franzosen für die Partei, die in sechs der 13 französischen Regionen an erster Stelle landete.
Drei Wochen nach den Anschlägen von Paris kam das konservativ-bürgerliche Lager um den früheren Staatschef Nicolas Sarkozy mit rund 27 Prozent auf den zweiten Platz und lag nur in vier Regionen vorne. Die regierenden Sozialisten von Präsident François Hollande landeten weit abgeschlagen mit etwa 23,5 Prozent auf dem dritten Platz. Wer in den Regionalparlamenten künftig die Mehrheit und damit den Regionalpräsidenten stellt, wird aber erst in der zweiten Wahlrunde am kommenden Sonntag entschieden.
Die Regionalwahlen, zu denen 44,6 Millionen Franzosen aufgerufen waren, haben eine besondere symbolische Bedeutung: Es sind die letzten großen Wahlen vor der Präsidentschaftswahl 2017, sie gelten deswegen als wichtiger politischer Stimmungstest. Bei der Präsidentschaftswahl hat Le Pen laut Umfragen gute Chancen, in die Stichwahl einzuziehen. Unter Le Pen war der Front National bei den Europawahlen im Mai 2014 erstmals stärkste Kraft in Frankreich geworden. Damals kam die Partei auf knapp 25 Prozent der Stimmen.
Der FN fährt einen bewusst gegen Ausländer und den Islam gerichteten Kurs und war in der Vergangenheit prononciert antisemitisch aufgetreten. Doch seinen eigentlichen Erfolg verdankt die Partei der katastrophalen Wirtschaftspolitik der sozialistischen Regierung von Präsident Hollande: Im November erreichte die Arbeitslosigkeit einen neuen Rekord. Die von der EU erlaubten höheren Defizite haben Hollande ebensowenig genützt wie die Geldschwemme der EZB. Hinzu kommt das verheerende Bild, das die EU in der Flüchtlingskrise abgibt. Le Pen war immer als EU-Gegnerin aufgetreten und sieht sich nun durch die aktuelle Entwicklung bestätigt.