Politik

EU warnt vor der Diktatur in Polen und erwägt Sanktionen

Die EU ortet „diktatorische Züge“ in Polen: Die Kritik ist in diesem Ausmaß völlig überzogen und erweckt den Eindruck einer gewissen Torschlusspanik seitens der EU.
23.12.2015 15:03
Lesezeit: 2 min

Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn hat sich bestürzt über die Politik der rechtskonservativen Regierung im EU-Partnerland Polen geäußert. "Die Entwicklung in Warschau erinnert leider an den Kurs, den auch diktatorische Regime gegangen sind", sagte der Sozialdemokrat im Reuters-Interview am Mittwoch. Auslöser der scharfen Kritik ist eine von der Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) am Dienstabend durchgesetzte umstrittene Gesetzesänderung, die die Arbeitsweise des Verfassungsgerichts verändert.

"Wenn das oberste Gericht als Kontrollinstanz faktisch entmachtet wird, dann drohen auch normale Gerichte anschließend die Unabhängigkeit zu verlieren", warnte Asselborn, dessen Land noch bis Jahresende die EU-Ratspräsidentschaft inne hat. "Auch Einschränkungen der Meinungsfreiheit sind zu erwarten." Wenn sich die PiS-Regierung dann noch Kritik als "Einmischung von außen" verbitte, sei dies leider genau der Weg, den Regime wie früher die Sowjetunion auch gegangen seien.

"Wer sagt, dass Kritik der europäischen Partner nicht angemessen sei, der hat Europa nicht verstanden", sagte Asselborn. In der EU gebe es sogar die Pflicht aller, auf die Einhaltung der gemeinsam vereinbarten Grundwerte zu achten. "Deshalb müssen EU-Kommission, das Europäische Parlament und notfalls auch der EU-Rat handeln", forderte Asselborn. "Was in Warschau passiert, ist so, als ob man in Deutschland das Bundesverfassungsgericht in Karlruhe mundtot machen wollte." Europa habe bereits den Fehler gemacht, die Einschränkung der Gewaltenteilung im EU-Land Ungarn vor einigen Jahren hinzunehmen, sagte Asselborn. "Aber wenn wir das bei einem großen EU-Land wie Polen zulassen, dann können wir uns von der EU als Wertegemeinschaft verabschieden."

Der Vergleich mit Karlsruhe hinkt: Dort wurde zum Beispiel der frühere saarländische Ministerpräsident und Merkels Parteifreund, Peter Müller, Verfassungsrichter - ohne dass die EU deswegen von diktatorischen Zügen in Deutschland gesprochen hatte. Am Ende wird man die Arbeit des Gerichts ausschließlich an seinen Sprüchen messen können. Hinzu kommt, dass die nationalen Verfassungsgerichte in der EU deutlich eingeschränkte Rechte haben. So hat Karlsruhe im Hinblick auf das OMT-Programm der EZB einen völlig anderen Rechtsstandpunkt eingenommen als der EuGH, musste aber klein beigeben.

Besonders befremdlich ist Asselborns Unterscheidung zwischen dem Volk un der Regierung: "Die Kritik richtet sich ausdrücklich auch nicht gegen Polen als Land, sondern gegen die Regierung. Es geht darum, das Land als funktionierende Demokratie zu erhalten." Polen ist offenbar eine funktionierende Demokratie - denn die neue Regierung wurde mit Mehrheit von den polnischen Wählern bekannt und hat die alte Regierung abgelöst. Es sind keine Vorfälle von Wahlmanipulation oder Zwang bekanntgeworden.

Die EU-Kommission müsse die polnische Regierung Anfang des neuen Jahres vorladen und die Vorgänge genau prüfen. Notfalls müsse die EU auch Sanktionen verhängen, wenn die Regierung in Warschau ihren Kurs nicht korrigiere. "Wir haben Verträge. Und die können nicht ohne Konsequenzen einfach gebrochen werden." Die Einschränkung der Rechte des Verfassungsgerichts sei jedenfalls nicht akzeptabel.

Wichtig sei, dass die Europäer geschlossen agierten. Von Deutschland erwarte er keine besondere Positionierung. "Ich habe Verständnis, wenn die Bundesregierung sich wegen der sensiblen deutsch-polnischen Geschichte hier zurückhält", sagte Asselborn. Es gehe auch gar nicht um die Auseinandersetzung eines EU-Landes mit einem anderen oder gar um einen parteipolitischen Konflikt. Es seien vielmehr Grundprinzipen der Union wie die Römischen Verträge und die Kopenhagener Kriterien zur Rechtsstaatlichkeit berührt, sagte Asselborn. Die PiS gehört nicht zu den CDU-Parteiengruppen EVP, sondern arbeitet mit Gruppen wie den britischen Konservativen zusammen, denen sich auch die AfD unter Bernd Lucke seinerzeit angeschlossen hatte.

Die Reaktion von Asselborn zeigt eine gewisse Torschlusspanik bei den etablierten Parteien: Sie spüren, dass ihr Duopol verlorengeht sie in einzelnen Mitgliedsstaaten mit neuen Verhältnissen rechnen müssen. Die überzogenen Anschuldigungen gegen Polen lassen den Verdacht aufkommen, dass nicht alle, die die Geschicke der EU bestimmen, lupenreine Demokraten sind.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Silicon Valley wankt: Zölle, Zoff und zerplatzte Tech-Träume
08.05.2025

Während Europa auf seine Rezession zusteuert und China seine Wirtschaft auf staatlicher Kommandobasis stabilisiert, gibt es auch im sonst...

DWN
Panorama
Panorama Verkehrswende: Ariadne-Verkehrswendemonitor zeigt Entwicklung auf
08.05.2025

Wie sich die Verkehrswende in Deutschland aktuell entwickelt, ist nun auf einer neuen Onlineplattform des Potsdam-Instituts für...

DWN
Finanzen
Finanzen Inflation bewältigen: 7 Strategien für finanzielle Stabilität, weniger Belastung und einen nachhaltigeren Lebensstil
08.05.2025

Wer die eigenen Ausgaben kennt, kann gezielt handeln. So behalten Sie die Kontrolle über Ihr Geld. Mit Budgetplanung und klugem Konsum...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Maschinenbau: Bedeuten die Trump-Zölle das Ende einer deutschen Schlüsselindustrie?
08.05.2025

Der Maschinenbau befindet sich seit Jahren im Dauerkrisenmodus. Nun droht die fatale Zollpolitik des neuen US-Präsidenten Donald Trump zum...

DWN
Politik
Politik Anti-Trump-Plan: Halbe Milliarde Euro für Forschungsfreiheit in Europa
08.05.2025

Während US-Präsident Trump den Druck auf Hochschulen erhöht, setzt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf gezielte Anreize...

DWN
Technologie
Technologie Bitkom-Umfrage: Deutsche kritisieren Abhängigkeit von KI-Anbietern aus dem Ausland
08.05.2025

Die Bevölkerung in Deutschland verwendet zunehmend Anwendungen auf Basis künstlicher Intelligenz. Gleichzeitig nimmt die Sorge über eine...

DWN
Politik
Politik Migrationspolitik: Wie die Neuausrichtung an den deutschen Außengrenzen aussehen könnte
08.05.2025

Das Thema illegale Migration und wer bei irregulärer Einreise an deutschen Landesgrenzen zurückgewiesen wird, beschäftigt die Union seit...

DWN
Politik
Politik Ungenutztes Potenzial: Biokraftstoffe könnten Europas Verkehr sofort dekarbonisieren – doch die Politik bremst
08.05.2025

Während Elektromobilität noch mit Infrastrukturproblemen kämpft, könnte HVO100 die CO2-Bilanz des Verkehrssektors sofort verbessern –...