Politik

Polizei gibt Flüchtlingen Mitschuld für Eskalation in Clausnitz

Im sächsischen Clausnitz hat eine Gruppe grölender Anwohner versucht, eine Flüchtlings-Gruppe einzuschüchtern. Die Polizei hatte die Lage nur bedingt im Griff. Ein Sprecher sagte jedoch, einige Flüchtlinge hätten der Menge den Stinkefinger gezeigt und damit zur Eskalation beigetragen.
20.02.2016 21:19
Lesezeit: 2 min

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

Nach ihrem umstrittenen Einsatz bei fremdenfeindlichen Protesten vor einer Asylbewerberunterkunft hat die sächsische Polizei mehreren Flüchtlingen eine Mitschuld für die Eskalation gegeben. Sie hätten in Clausnitz aus dem Bus heraus gefilmt und mit Gesten wie dem Stinkefinger die davorstehenden Demonstranten provoziert, sagte der Chemnitzer Polizeipräsident Uwe Reißmann am Samstag.

Deswegen seien drei Flüchtlinge von der Polizei gewaltsam aus dem Bus geholt worden. Dies sei «absolut notwendig und verhältnismäßig» gewesen, betonte Reißmann. Zugleich räumte er ein, dass die Polizei am Donnerstagabend Probleme hatte, der Situation in dem kleinen Erzgebirgsort Herr zu werden.

An dem Abend hatte sich ein fremdenfeindlicher Mob - zeitweise bis zu 100 Menschen - vor dem Flüchtlingsheim versammelt und versucht, die Ankunft der Asylbewerber mit einer Blockade zu verhindern. Anfangs war dabei nur eine Polizeistreife vor Ort.

«Aus heutiger Sicht war das eine Fehleinschätzung», sagte Reißmann. Ein Beamter habe den Demonstranten einen Platzverweis samt Konsequenzen angedroht und dafür nur Gelächter geerntet. Danach gefragt, warum der Platz nicht geräumt wurde, sagte der Polizeipräsident: «Es hat dafür die Kraft gefehlt.» Zum kritischen Zeitpunkt seien weniger als 20 Beamte vor Ort gewesen. Die Demonstranten stammen seinen Angaben zufolge weitgehend aus Clausnitz selbst.

Seit dem Einsatz sorgen Videoclips im Internet für Empörung. Zu sehen sind verängstigte Flüchtlinge in dem Bus, ein Polizist zerrt einen Jungen rabiat aus dem Fahrzeug. Dies sei zum Schutz des Jungen erfolgt und abgesprochen gewesen, erklärte Reißmann. Es sei davon auszugehen gewesen, dass er in dem Gebäude sicherer sei als in dem Bus. Aus der Erfahrung früherer Einsätze habe man damit rechnen müssen, dass die Demonstranten Steine oder Böller auf den Bus werfen.

Das ZDF berichtete, der Leiter der Unterkunft gehöre der AfD an. Auf Anrufe und Rückrufbitten der dpa reagierte der Mann nicht. Die AfD weist ihn im Internet aber als Mitorganisator von Parteiveranstaltungen aus. Nach Angaben Reißmanns hatte der Bürgermeister des Ortes die Einwohner über die Ankunft der Flüchtlinge informiert.

Doch augenscheinlich aus Angst vor den Protesten und der chaotischen Situation hatten die 20 Flüchtlinge den Bus zunächst nicht verlassen wollen. Sie berichteten der Deutschen Presse-Agentur am Samstag, dass die Polizei auch einer Frau die Arme auf den Rücken gedreht und sie zwangsweise aus dem Bus geholt habe.

Der Junge aus dem Internetvideo ist nach eigenen Angaben 14 Jahre alt und stammt aus Tripoli im Libanon. Er ist mit seinem Bruder und seinem Vater seit drei Monaten in Deutschland und war zunächst in Dresden untergebracht, wie er der dpa sagte. Der Bruder ist auf dem Video zu sehen, wie er freiwillig, aber weinend den Bus verlässt.

Der sächsische Grünen-Landesvorsitzende Jürgen Kasek sagte mit Blick auf die Vorfälle: «Das sind keine Bilder, die wir hier in Deutschland sehen wollen. Das, was am Donnerstagabend passiert ist, darf nie normal werden.» Linke-Landtagsfraktionschef Rico Gebhardt betonte: «Menschen, die Busse blockieren, die hilflose Kinder, Frauen und Männer zusammenschreien, kann ich nur als Rassisten bezeichnen.» Zudem müsse das Verhalten einzelner Polizisten aufgeklärt werden. Ein rabiater Umgang mit Kindern sei nicht zu entschuldigen.

Grünen-Bundeschef Cem Özdemir forderte, den leitende Polizeibeamten des Einsatzes zu suspendieren. Er sei seiner Verantwortung nicht gerecht geworden. Polizeipräsident Reißmann sagte dagegen, er sehe keinen Anlass für Konsequenzen. Die Grünen wollen den Polizeieinsatz am Mittwoch im Innenausschuss des Bundestags thematisieren. Die Fraktion bestätigte auf Anfrage eine entsprechende Meldung des MDR.

Derzeit geht die Polizei 14 Anzeigen etwa wegen Verstößen gegen das Versammlungsrecht oder Nötigung nach. Reißmann rechnete damit, dass es noch mehr werden. Auch schloss er Ermittlungen gegen einzelne Flüchtlinge nicht aus. Zudem seien mehr als 50 Online-Anzeigen wegen des Polizeieinsatzes eingegangen.

Für Samstagabend war in Clausnitz, einem Ortsteil von Rechenberg-Bienenmühle, eine Solidaritätskundgebung für die Flüchtlinge geplant.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Politik
Politik Machtverschiebung in Warschau: Der Aufstieg der Nationalisten bringt Polen an den Abgrund
15.06.2025

In Polen übernimmt ein ultrakonservativer Präsident die Macht – während die liberale Regierung um Donald Tusk bereits ins Wanken...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Trotz US-Verboten finden chinesische Tech-Giganten Wege, um im KI-Rennen zu bleiben
14.06.2025

Die USA wollen Chinas Aufstieg im KI-Sektor durch Exportverbote für High-End-Chips stoppen. Doch Konzerne wie Tencent und Baidu zeigen,...

DWN
Technologie
Technologie Einsatz von Tasern: Diskussion um „Aufrüstung“ der Polizei
14.06.2025

Taser gelten als umstritten, nun will Innenminister Alexander Dobrindt damit die Bundespolizei ausrüsten. Kritik kommt von Niedersachsens...

DWN
Finanzen
Finanzen Dividendenstrategie: Für wen sie sich im Aktiendepot lohnen kann
14.06.2025

Mit einer Dividendenstrategie setzen Anleger auf regelmäßige Erträge durch Aktien. Doch Ist eine Dividendenstrategie sinnvoll, wie...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Krisenmodus in der Industrie: Autohersteller weichen Chinas Regeln aus
14.06.2025

Weil China den Export kritischer Magnetstoffe drastisch beschränkt, geraten weltweite Lieferketten ins Wanken. Autohersteller suchen eilig...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft H&M baut Milliardenhandel mit Secondhand-Mode aus
14.06.2025

H&M will das Image der Wegwerfmode abschütteln – mit gebrauchten Designerstücken mitten im Flagshipstore. Wird ausgerechnet Fast...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Atomkraftgegner fordern Ende der Uran-Geschäfte mit Kreml
14.06.2025

Atomkraftgegner wenden sich an die Bundesregierung: Sie fordern einen Stopp russischer Uranlieferungen nach Lingen. Auch die hybride Gefahr...

DWN
Finanzen
Finanzen Teuer Wohnen in Deutschland: Rund jeder Siebte zahlt mehr als halben Monatslohn für Miete
14.06.2025

Nach der Mietzahlung ist bei manchen nicht mehr viel übrig für den Rest des Monats, zeigt eine Studie. Jedoch haben viele Menschen auch...