Politik

Gegen Einwanderung: Festung Europa nimmt Gestalt an

Lesezeit: 3 min
30.01.2017 22:51
Die moralische Überheblichkeit vieler europäischer Politiker gegenüber dem US-Einreisestopp ist nicht angebracht. Denn schon heute herrschen in den Lagern in Libyen unvorstellbare Zustände. Außerdem arbeiten die EU-Politiker an einer massiven Verschärfung gegen Einwanderer.

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Die breite Kritik aus Europa an den Einreisebestimmungen des neuen US-Präsidenten Donald Trump gibt den Politikern in Europa die Gelegenheit, ihre hohen moralischen Standards frei Haus zu präsentieren. Wenn es allerdings um die reale Politik in Europa selbst geht, hat sich der Wind im Hinblick auf Einwanderer und Migranten ebenfalls gedreht.

Tatsächlich bereitet die EU eine drastische Verschärfung der Asylregeln vor. Die EU-Staaten arbeiten unter der maltesischen Ratspräsidentschaft an einem neuen Konzept, dass die Flüchtlingsbewegungen über das Mittelmeer unterbinden und Auffanglager in Nordafrika schaffen soll.

Der Vorsitzende des Europäischen Rates – der maltesische Regierungschef Joseph Muscat – forderte die EU-Kommission in einem Schreiben auf, die rechtlichen Voraussetzungen zu prüfen, um künftig mehr Flüchtlinge abweisen zu können, berichtet das Magazin Politico. Der Schwerpunkt der neuen Strategie des Rates, in dem sich die Regierungen der 28 Mitgliedsstaaten zusammenschließen, wurden vergangenen Donnerstag bei einem Treffen der Innenminister in Malta besprochen. Dieser besteht demnach im Aufbau von Auffanglagern in Nordafrika.

Das Konzept sieht unter anderem auch vor, dass Migranten ohne Prüfung des Asylanspruchs in die Lager geschickt werden können.

In Zukunft sollte bereits in diesen Lagern darüber entschieden werden, ob die Asylgesuche der Migranten rechtmäßig sind. „Die Menschen, die von den Schmugglern transportiert werden, müssen aufgenommen und an einen sicheren Ort gebracht werden“, sagte der deutsche Innenminister Thomas de Maiziere am Donnerstag auf Malta. „Dann würden wir von diesen sicheren Orten außerhalb Europas jene nach Europa bringen, die wirklich Schutz benötigen.“

Die Idee, Migranten vor der gefährlichen Überfahrt nach Europa in Auffanglagern in Nordafrika zu sammeln, existiert schon seit Monaten und wurde von Staaten wie Italien oder Ungarn immer wieder ins Spiel gebracht. Angesichts der bevorstehenden Wahlen in den wichtigen EU-Mitgliedsländern Niederlande, Frankreich und Deutschland im laufenden Jahr und angesichts des nach britischem Vorbilds bezüglich der starken Einwanderung hat der Vorschlag wieder mehr Beachtung gefunden. Muscat warnte kürzlich vor einer „beispiellosen“ Flüchtlingsbewegung über das Mittelmeer im Frühjahr, wenn sich das Meer beruhigt.

Die EU-Kommission betrachtet die Vorschläge des Rates als nicht offiziell, sondern als Grundlage für weitere Beratungen, schreibt Politico. Man werde sich auch weiterhin an internationale Gesetze zum Schutz von Flüchtlingen halten, wird ein Diplomat zitiert. Das Ziel bestehe aber darin, einen Teil der Einwanderer zurückzubringen. „Die Libyer bringen die wenigen Flüchtlinge, die sie retten, an ihre Küste zurück und wir müssen herausfinden ob auch jene, die von uns gerettet werden, zurückgebracht werden können, wenn die Bedingungen in den bestehenden Lagern es erlauben“, wird ein anderer Diplomat zitiert.

Im vergangenen Jahr überquerten über 180.000 Menschen das Mittelmeer nach Europa, mehr als 5.000 starben bei der Überfahrt.

Wie wenig Anspruch die europäischen Politiker haben, sich über die neue US-Regierung zu erheben, zeigen die bereits real existierenden Zustände in den bestehenden Lagern in Libyen.

Das Auswärtige Amt hat die Zustände in bestimmten libyschen Flüchtlingslagern als „KZ-ähnlich“ kritisiert. Diese drastischen Worte wählte laut „Welt am Sonntag“ die deutsche Botschaft in Niger in einem internen Bericht an das Bundeskanzleramt und mehrere Ministerien. Angesichts von Forderungen nach einem Flüchtlingsabkommen mit Libyen nach dem Vorbild des Türkei-Deals machte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Sonntag deutlich, dass dies derzeit ausgeschlossen sei.

Menschen könnten in das nordafrikanische Land nur zurückgeschickt werden, „wenn sich die politische Situation in Libyen verbessert hat“, hob Merkel in ihrer wöchentlichen Video-Botschaft hervor. Es müsse zwar mit Libyen in der Flüchtlingsfrage zusammengearbeitet werden, aber es gebe „im Augenblick keine Situation, in der wir so ein Abkommen wie mit der Türkei abschließen können“. Dazu müsse sich die politische Lage in Libyen bessern, die Einheitsregierung müsse die Kontrolle über das ganze Land haben und dann müsse über Menschenrechte und Standards gesprochen werden.

Nach einer sogenannten Diplomatischen Korrespondenz (intern: „Drahtbericht“) der deutschen Botschaft in Niger werden in vielen libyschen Flüchtlingslagern „allerschwerste, systematische Menschenrechtsverletzungen“ begangen, wie die „Welt am Sonntag“ meldete. Wörtlich heißt es demnach in dem internen Bericht: „Authentische Handy-Fotos und -Videos belegen die KZ-ähnlichen Verhältnisse in den sogenannten Privatgefängnissen.“ In solchen „Privatgefängnissen“ würden Schlepper ausreisewillige Migranten häufig gefangen halten.

„Exekutionen nicht zahlungsfähiger Migranten, Folter, Vergewaltigungen, Erpressungen sowie Aussetzungen in der Wüste sind dort an der Tagesordnung“, heißt es laut „Welt am Sonntag“ in dem Bericht weiter. „Augenzeugen sprachen von exakt fünf Erschießungen wöchentlich in einem Gefängnis – mit Ankündigung und jeweils freitags, um Raum für Neuankömmlinge zu schaffen (...) und damit den Profit der Betreiber zu erhöhen.“

Die Fraktionschefin der Grünen im EU-Parlament, Ska Keller, forderte Konsequenzen. Die Bundesregierung müsse „mit aller Macht dafür eintreten, dass ein neues Abkommen mit Libyen nicht zustande kommt“, sagte sie der „Welt am Sonntag“.

Die EU-Staats- und Regierungschefs wollen am Freitag bei einem Treffen in Malta unter anderem über die Rekordzahl an Flüchtlingen beraten, die aus Libyen und anderen nordafrikanischen Staaten nach Europa kommen. Die maltesische EU-Ratspräsidentschaft will ein ähnliches Abkommen mit Libyen wie mit der Türkei; der Türkei-Deal sieht vor, dass in Griechenland ankommende Flüchtlinge in die Türkei zurückgeschickt werden. Der Vorschlag von Malta stößt in der EU aber auf Vorbehalte.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat sich für ein dreistufiges Modell ausgesprochen. Bei wenigen ankommenden Flüchtlingen soll es bei der bisherigen Regelung bleiben. Falls Erstaufnahmeländer wie Italien besonders belastet werden, würde ein Mechanismus zur Verteilung von Asylbewerbern auf andere EU-Länder einsetzen. In einem dritten Schritt könnte es demnach bei einem „Massenzustrom“ auch zu „Rückführung in sichere Orte außerhalb Europas“ kommen.

Der Minister sagte der „Welt am Sonntag“, in der jetzigen Lage könnten „die Schlepper entscheiden, wer nach Europa kommt“. Das Geschäftsmodell der Schlepper sei jedoch „grausam“. Flüchtlinge erkauften sich für viel Geld einen Platz in einem kaum seefähigen Boot. Es gebe in der UN-Flüchtlingskonvention einen Anspruch von Schutzsuchenden gegenüber der Völkergemeinschaft: „Aber es gibt darin keinen Anspruch, hinzugehen, wo man will.“ Der Minister fordert schon seit längerem Aufnahmelager in Nordafrika.

 


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