In Syrien sind erste Konturen einer Neuordnung zu erkennen: Schon vor einigen Wochen hatte US-Verteidigungsminister Matthis bekanntgegeben, dass US-Präsident Donald Trump die Entsendung von relativ schwerem Kriegsgerät nach Syrien bewilligt habe.
Die von den USA unterstützten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), eine Söldner-Truppe, die sich aus syrischen Kurden-Milizen (YPG) zusammensetzt, meldeten vor einigen Wochen, dass die US-Regierung sie im Kampf gegen die Terror-Miliz ISIS weiter aufrüsten werde. Eine kurdische Milizen-Quelle sagte der Nachrichtenagentur Reuters, dass die SDF bei der Befreiung der Stadt Rakka von ISIS eingesetzt werden soll. Die Kurden-Milizen der YPG gelten als offizielle Hauptverbündete der USA im Syrien-Konflikt. Die Türkei ist beunruhigt über die Aufrüstung der Kurden-Milizen, da diese als syrischer Ableger der PKK gelten, die in der Türkei Terroranschläge verübt haben. Die US-Regierung hat nach Angaben der SDF bereits gepanzerte Fahrzeuge an die Kurden-Milizen gesendet. „Es gibt Anzeichen einer vollen Unterstützung durch die neue amerikanische Führung für unsere Streitkräfte – mehr als zuvor“, sagte der SDF-Sprecher Talal Silo Reuters.
Das Problem des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan: Die Entwicklung könnte mit Moskau abgesprochen sein. Lässt Russlands Präsident Wladimir Putin nun seinen kurzfristigen Verbündeten Erdogan fallen? Das ist schwer zu beurteilen. Doch es hat den Anschein, als würden die Russen einer Stabilisierung der Region unter Wahrung ihrer Einflusssphäre den Vorrang geben. Das könnte auch zum Vorteil der Türkei sein, weil sie am Ende zwar ihre territorialen Wünsche aufgeben muss, jedoch an staatlicher Sicherheit gewinnt.
In diesem Zusammenhang hat der ehemalige Vizeaußenminister unter der Obama-Regierung, Anthony Blinken, am Dienstag einen Gastbeitrag in der New York Times veröffentlicht. Im Beitrag unterstützt er eine großangelegte Bewaffnung der Kurden in Syrien, um ISIS schlagen zu können. Allerdings müsse garantiert werden, dass die Waffen, die den Kurden zur Verfügung gestellt werden, sich nicht gegen den „NATO-Partner“ Türkei richten. „Wenn US-Präsident Trump die Empfehlung des Pentagons, die SDF zu bewaffnen, billigt, wird es ihm zufallen, Herrn Erdogan an Bord zu halten – ein erster großer Test für seine diplomatischen Fähigkeiten.“
Russland ist ebenfalls bereit, mit den Kurden-Milizen in Syrien zusammenzuarbeiten. Die Kurden zeigen sich insbesondere über die aktuellen russischen Anstrengungen, die Kurden in den Friedensprozess zum Syrien-Konflikt einzubeziehen, erfreut. Am vergangenen Freitag traf sich Halit Isa von der syrisch-kurdischen Partei PYD, die der politische Arm der Kurden-Milizen ist, mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow in Moskau, berichtet die staatliche russische Nachrichtenagentur Sputnik. Isa sagte, dass das Treffen mit Lawrow positiv verlaufen sei. Russland lade alle syrischen Oppositionsgruppen und Repräsentanten der „demokratischen Autonomien“ an den Verhandlungstisch ein, zitiert Sputnik Isa.
In einem Interview mit Sputnik Arabic sagt der Hauptdelegierte der Gruppe der internen syrischen Opposition in Hmeymin, Alyan Masaad, zur Verfassung, die von den Russen ausgearbeitet wurde: „Ich glaube, sie (Anm.d.Red. die Verfassung) ist zu säkular. Das Problem ist, dass einige ihrer Bestimmungen über das verfassungsrechtliche Format hinausgehen. Doch es ist immer noch akzeptabel für mich und meine Delegation, insbesondere in Bezug auf die Dezentralisierung. Man könnte dies auch Selbstverwaltung oder Föderalismus nennen – und wir unterstützen das, insbesondere wenn es um die Kurden geht.“
Stanislav Gazimagomedov, Vize-Chef in der operativen Hauptdirektion des russischen Generalstabs, sagt, die neue Verfassung berücksichtige die Interessen der syrischen Regierung, der Opposition und der „kurdischen Bevölkerung“.
„Es wird dem syrischen Volk überlassen sein, über die Gewährung eines Autonomie-Status für jede Verwaltungseinheit zu entscheiden, einschließlich der Einheit mit überwiegend kurdischer Bevölkerung“, zitiert die TASS Gazimagomedov. Syrien sei ein multi-religiöser und multi-ethnischer Staat.
Die türkischen Medien reagieren mit Misstrauen gegenüber Russland. Die Zeitung Karar, die die Außenpolitik des ehemaligen türkischen Außenministers Ahmet Davutoglu unterstützt, titelt: „Was ist, wenn Putin und Trump ein Bündnis mit der PYD schließen?“.
Die Türkei könne es sich nicht leisten, sich auf die USA oder auf Russland zu verlassen. „Schlussendlich hat Russland die Träume von einer großen Allianz zwischen der Türkei und Russland, die in bestimmten Kreisen vorhanden gewesen ist, zerstreut. Putin hat unter der Hand eine Verfassung für Syrien ausarbeiten lassen und der PYD eine Autonomie versprochen. Damit hat Putin seine wahren Absichten offengelegt. Doch dies verwundert nicht, wenn man bedenkt, dass Putin die PYD-Karte immer in der Hinterhand gehabt hat. Doch damit nicht genug. Russland stuft die PKK nicht als Terrororganisation ein. Deshalb hat die PKK auch ein Büro in Moskau (…). Es ist bekannt, dass Trump eine besondere Bewunderung für die bewaffneten Gruppen der PKK, PYD und YPG hegt. Deshalb beginnt er, sich aktiv in Syrien einzumischen – und zwar gemeinsam mit Putin (…). Es wird deutlich, dass die USA und Russland in der kommenden Zeit um die Unterstützung der PYD regelrecht buhlen werden. Aus Sicht der Türkei ist das sehr verstörend.“
Im vergangenen Jahr berichtete das Washington Institute for Near East Policy (WINEP), dass die Kurden-Milizen von Russland mit Waffen und Geheimdienstinformationen versorgt werden. Für Russland sei es eine willkommene Gelegenheit über die Kurden einen weiteren Fuß in den Nahen Osten zu setzen.
Ismail Hakki Pekin, Generalleutnant a.D. und ehemaliger Geheimdienstchef des türkischen Generalstabs, stuft die aktuelle Entwicklung in Syrien als existenzielle Bedrohung ein. Pekin gilt als Befürworter einer engen Kooperation mit Russland und der Regierung in Damaskus, um den Syrien-Konflikt zu lösen.
Er ist der Ansicht, dass die Türkei aktuell in eine Sackgasse hineinmanövriert werde. Das schreibt er in einem Artikel für die Zeitung Aydinlik. Pekin wörtlich:
„Die Vorbereitungen der USA und Europas gehen in diese Richtung. Natürlich ist die Haltung der regionalen Staaten wichtig, doch der Iran könnte Partei für die USA oder Europa ergreifen. Dasselbe können wir für Russland sagen. Russland ist eine Supermacht und diese Mächte haben ein breit gefächertes Interessen- und Einflussgebiet. Deshalb können sich hier Änderungen einstellen. Russland kann seine Politik ändern, wenn bestimmte andere Interessen schwerer wiegen als andere. Es gibt keine Garantie für das Camp, in dem wir uns befinden. (…) Russland hat nach diversen Berichten eine neue Verfassung für Syrien ausgearbeitet. Der Verfassung zufolge sollen die Kurden in Syrien eine Autonomie erhalten und damit die Türkei außen vor gelassen werden. Sowohl die USA als auch der Iran kennen diese Verfassung.
Die russischen Vertreter, mit denen ich mich zuvor getroffen hatte, bestätigten mir, dass den Kurden in Syrien von der russischen Seite eine Autonomie versprochen wurde. Wenn dieser Fall tatsächlich eintritt, wird die Türkei sowohl von innen als auch von Syrien und vom Irak aus von der PKK umzingelt werden. Entweder die Türkei wird dies akzeptieren, oder sie muss den Kampf gegen die PKK, die von den USA und von Europa unterstützt wird, aufnehmen. Einem weiteren Bericht zufolge sollen sich die USA, Russland, Europa und der Iran bereits darauf geeinigt haben, vom Irak aus über die Türkei bis ans Mittelmeer einen kurdischen Korridor zu errichten. Unklar ist, ob diese Einigung wirklich stattgefunden hat, doch die Entwicklungen deuten darauf hin, dass es in diese Richtung geht (…).
Der Terror im Südosten der Türkei, die Anschläge im Westen unserer Städte, der wirtschaftliche Angriff und die Manipulationsversuche in Verbindung mit dem Terror der PKK und von ISIS zeigen, dass der Türkei mit einem Bürgerkrieg gedroht wird. Dem Land werden zwei Alternativen überlassen: Die Türkei muss entweder die Pläne für den kurdischen Korridor akzeptieren oder das Land wird im Bürgerkrieg versinken. Die Türkei muss sich auf einen großen Krieg gegen die USA, Europa und die PKK vorbereiten – sowohl im In- als auch im Ausland. Ohne die Austragung einer solchen Auseinandersetzung, wird die Türkei keines ihrer Probleme lösen können.“
Einem Bericht des den Russen nahestehenden Middle East Eye zufolge wäre die Gründung eines kurdischen autonomen Gebiets im Norden von Syrien, die das Blatt als „permanente autonome kurdische Enklaven“ umschreibt, ein regelrecht sicherheitspolitischer „Albtraum“ für die Türkei. „Doch die Situation könnte anders sein, wenn die türkischen Streitkräfte in Syrien, die ISIS-Stadt Al-Bab, die sie seit Dezember belagern, einnehmen und anschließend in Richtung Afrin und Manbidsch vorrücken, die sich beide näher an der südlichen Grenze der Türkei befinden.“ Allerdings stoße die Türkei gegen ISIS in Al-Bab auf heftigen Widerstand. Die türkische Armee habe bereits 50 Soldaten verloren und möchte nicht noch mehr Gefallene.
Die syrische Regierung ist wie die türkische Regierung gegen einen autonomen Status der Kurden in Syrien, berichtet Reuters. Bisher galten für die Syrer lediglich die USA als Urheber eines de facto Teilungsplans Syriens. Ein namentlich nicht genannter ehemaliger syrischer General sagte der Zeitung Al-Monitor: „Die Kurden machen einen Fehler. Sie hätten nicht in eine derartige Beziehung mit den USA treten sollen. Ja, den Kurden müssen ihre Rechte gegeben werden, aber sie sollte diese Öffnung der Regierung nicht missbrauchen. Sie gingen zu weit mit ihrer Verbindung zu den Amerikanern. Der syrische Staat kann niemals einer Föderation oder einer Autonomie zustimmen, denn das würde zur Spaltung des Landes führen.“
Al-Monitor berichtet weiter, dass das russische Außenministerium und das russische Verteidigungsministerium bereits im vergangenen Jahr ein Memorandum ausgearbeitet hatten, dass einen „speziellen Status innerhalb des Rahmens Syriens“ beinhaltete. Der Vorschlag wurde am 17. September 2016 der syrischen Regierung vorgelegt, die den Vorschlag mit dem Hinweis auf die Gefahr einer Spaltung Syriens, zurückwies. Das Memorandum liegt in seiner Originalfassung dem Blatt vor. Bemerkenswert ist, dass die Inhalte des russischen Memorandums vom vergangenen Jahr mit dem aktuellen Vorschlag der Russen für eine neue syrische Verfassung übereinstimmen.
„Die Russen hatten ein Dokument vorbereitet, was zu unseren Gunsten war. Sie wollten den Föderalismus in Syrien und die Wiederherstellung der Rechte der Kurden. Wir akzeptierten alle Bestimmungen und schlugen Ergänzungen vor“, sagte der Generalsekretär und inoffizielle Außenminister der PYD, Salih Gedo, im vergangenen September.
Die israelisch militärische Geheimdienstseite DEBKAfile hingegen berichtet davon, dass in Syrien drei Sicherheitszonen entstehen sollen. Im Südwesten des Landes und in den nördlichen Kurdengebieten soll eine US-amerikanische, in den von der Türkei im Rahmen der Operation „Euphrates Shield“ befreiten Gebieten eine türkische und an der Westküste eine russische Sicherheitszone entstehen. Das sei zumindest der Plan von Donald Trump.
Trump will offenbar damit die Grenzen zu Israel und Jordanien sichern, den Russen die Westküste überlassen, der Türkei einen Teil des Nordens zugestehen, um ihnen eine Garantie zur Verhinderung eines kurdischen Korridors zu geben, und die Kurden unter Kontrolle bekommen. Die Iraner sollen in Syrien keine Rolle mehr spielen und werden verdrängt, so DEBKAfile.
Diese Einschätzung ist interessant: Sie könnte nämlich auf den geplanten Endzustand hinweisen, bei dem der Golan dauerhaft Israel zugesichert wird – das erklärte Ziel von Premier Netanjahu. Wenn der Iran aus Syrien gedrängt würde, wäre das ebenfalls im Interesse Israels. Denn die Unterstützung für die Hisbollah stellt für Israel seit Jahrzehnten eine Dauer-Bedrohung dar.
Die Türkei würde sich mit dieser Lösung anfreunden müssen – weshalb ihr vermutlich jetzt die Alternativen vor Augen geführt werden: Eine Unterstützung der Kurden durch Russen und Amerikaner würde Erdogans osmanische Großmachtträume ein für allemal zunichte machen. Wenn Erdogan jedoch gute Miene zum bösen Spiel macht, bliebe ihm zumindest ein sicherheitspolitische Minimallösung an der Grenzen zu Syrien.