Politik

US-Sanktionen: Die Willkür ersetzt das Völkerrecht

Die US-Sanktionen gegen Russland, den Iran und Nordkorea sind so weit gefasst, dass im Grunde jeder ins Visier der US-Ermittler geraten kann.
27.07.2017 02:12
Lesezeit: 3 min

Die US-Sanktionen gegen Russland, Nordkorea und den Iran liefern eine neue Qualität im internationalen Wirtschaftsleben: Im Grunde kann der US-Präsident mit ihnen jeden, der im Wirtschaftsleben aktiv ist, verfolgen lassen. Der Gesetzestext hebelt an mehreren Stellen die fundamentalen Rechtsgrundsätze aus, nach denen auch das Völkerrecht funktionieren sollte.

Das Gesetz ist in zwei Punkten besonders kritisch.

So kann der US-Präsident die gefürchteten US-Strafermittler losschicken, wenn „glaubhafte Informationen“ vorliegen, dass jemand gegen die Sanktionen verstoßen hat. Ausdrücklich soll dies im Bereich der „Cyber-Kriminalität“ möglich sein. Das bedeutet: Wenn die US-Geheimdienste zur Auffassung gelangen, dass jemand als Hacker tätig geworden ist, reicht dies, um die Ermittlungen einzuleiten. Das Problem: Die Wikileaks-Enthüllungen über das Cyberarsenal der CIA haben gezeigt, dass die US-Dienste in der Lage sind, die Urheberschaft bei Cyber-Attacken zu verschleiern. Die Dienste sind in der Lage, selbst einen Angriff durchzuführen und die Spuren so zu verfälschen, dass jemand anders als Täter erscheint. Für Beschuldigte ist es kaum möglich, sich zu wehren. Denn der Hebel ist eine unzulässige Beweisumkehr: Der Beschuldigte muss seine Unschuld beweisen. Der Grundsatz „in dubio pro reo“ ist außer Kraft gesetzt. Wie das konkret funktioniert, hat das angebliche Hacking der Russen bei der US-Wahl gezeigt: Obwohl die Dienste bis heute keine unabhängig überprüfbaren Beweise vorgelegt hat, gilt es als Faktum, dass die russische Regierung die US-Wahlen gehackt hat.

Der zweite Punkt betrifft die im „Kampf gegen den Terror“ bereits in vielen Ländern, auch im deutschen Strafrecht, eingeführte Praxis, dass die Vermutung einer Straftat ausreicht, um verfolgt zu werden. So heißt es in dem Gesetz, dass jeder, der „sich an einer Verschwörung beteiligt“, um die Sanktionen zu umgehen, verfolgt werden kann. In zivilisierten Rechtsordnungen gilt, dass ein an objektiv überprüfbare Tatsachen anknüpfendes Gesetz bestimmt, was strafbar ist. Das Abstellen auf den Plan einer Tat ist seiner Natur nach eine reine Spekulation. Der Ansatz missachtet die Grundlage jedes Rechtssystems, wonach im Gesetz Tatbestände formuliert werden, die von einem Gericht objektiv überprüft werden können. Der Richter ist, wie dies Peter Vonnahme, früherer Richter am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, in einem Beitrag für die Deutschen Wirtschafts Nachrichten formuliert hat, „in erster Linie Tatsachenbeurteiler und nicht Hellseher“.

Das Sanktionsgesetz gibt dem US-Präsidenten die Rolle eines globalen Super-Staatsanwalts. Er kann im Grunde nach Gutdünken Unternehmen, Manager und Privatpersonen überall auf der Welt verfolgen. Diese Konstellation wird vor allem dazu führen, dass sich jeder Investor hüten wird, in Unternehmen zu investieren, die auch nur ansatzweise ins Visier der US-Behörden geraten können. Wie effizient diese Behörden arbeiten, hatte der Fifa-Skandal gezeigt, wo das FBI in der Schweiz eingerückt war, um die der Korruption beschuldigten Manager hochgehen zu lassen. In einer arbeitsteiligen, vernetzten Weltwirtschaft kann niemand zweifelsfrei ausschließen, dass ein Produkt oder eine Dienstleistung nicht auch von Russen, Nordkoreanern oder Iranern genutzt wird. Die Komplexität dieser Zusammenhänge hat sich bei den Siemens-Turbinen gezeigt, die von Russland für Kraftwerke auf der Krim verwendet wurden. Unter dem neuen Sanktionsregime müsste Siemens mit einer Verfolgung rechnen. In der Regel enden solche Verfahren mit hohen Zahlungen. Ob diese als Strafzahlungen oder nur zur Einstellung des Verfahrens geleitet werden, ist nebensächlich. Der wirtschaftliche Schaden ist erheblich.

Mit dem Völkerrecht ist eine solche Willkür-Herrschaft nicht in Einklang zu bringen. Der Beschluss des US-Repräsentantenhauses erscheine "völkerrechtswidrig", erklärte daher auch folgerichtig die französische Außenamtssprecherin Agnès Romatet. Die französische Regierung werde "Vorkehrungen" treffen, um sich gegen die Auswirkungen der US-Gesetzgebung zu "wappnen".

Die Bundesregierung scheint sich dieser Gefahr nicht in vollem Umfang bewusst zu sein: Sie modifizierte am Mittwoch ihre ursprünglich von Bundesaußenminister Sigmar Gabriel harsch formulierte Ablehnung und will laut AFP „Bewegung“ erkannt haben: Zwar gebe es keinerlei Abstriche an den bisher erhobenen Kritikpunkten. Aber der jetzt verabschiedete Gesetzentwurf enthalte belegbare Fortschritte, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes am Mittwoch in Berlin. Der Text habe sich „deutlich verbessert“, zitiert die dpa den Sprecher.

An vielen Stellen sei nun vermerkt, dass sich der US-Präsident vor Sanktionen mit den europäischen Partnern konsultieren müsse - auch in der wichtigen Frage russischer Energielieferungen nach Europa.

Tatsächlich ist der Passus über die Konsultationen im Gesetz vollkommen unverbindlich: Weder die Form noch das Ausmaß der „Konsultationen“ ist geregelt. Wenn der US-Präsident am Ende zum Ergebnis kommt, dass Sanktionen verhängt werden sollen, kann er dies ohne Einschränkungen veranlassen.

Die Sanktionen werden, wenn das Gesetz in Kraft tritt, den USA die Möglichkeit geben, ihre wirtschaftlichen Interessen mit Hilfe der amerikanischen Strafverfolgungsbehörden durchzusetzen. Die EU-Staaten könnten allenfalls versuchen, die Zusammenarbeit mit den US-Behörden zu verweigern. Unklar ist, wie das in Nato-Staaten gehandhabt werden soll. Hier würde der Hinweis der US-Behörden genügen, dass es sich bei den Ermittlungen um einen Teil des „Kampfs gegen den Terror“ handelt.

In diesem Falle könnten die US-Behörden – etwa in Deutschland – ohne Mitwirkung der deutschen Behörden tätig werden. Der frühere Chef des österreichischen Verfassungsschutzes, Gert Polli, schrieb dazu im Zusammenhang mit der US-Spionage in Deutschland: „Nach wie vor sind … die Einschränkungen der deutschen Souveränität durch das Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut gültig. Damit sind für die amerikanischen Dienste auf deutschem Boden viele Privilegien und Sonderrechte verbunden. Zu diesen Rechten gehört unter anderem die Geltung amerikanischen Rechts auf deutschem Boden.“

Der tiefere Grund für die weitreichende Ermächtigung, der US-Präsident Donald Trump im Zuge seiner "America first"-Strategie vermutlich gerne zustimmen wird, ist in der aktuellen Schwäche der US-Wirtschaft zu suchen. Folker Hellmeyer, Chefvolkswirt der Bremer Landesbank: Die finanzökonomische Machtachse habe sich in den vergangenen Jahren "massiv zu Gunsten der aufstrebenden Länder verschoben". Die USA seien ein "Hegemon", der "seine Gutmütigkeit verloren" habe. Als Reaktion empfiehlt Hellmeyer den Ausstieg aus dem Dollar.

Sollten die von den Sanktionen betroffenen Staaten diesen Schritt wirklich gehen, würde sich das globale Gleichgewicht massiv ändern. Die Amerikaner stünden am Ende nicht zwingend auf der Seite der Sieger.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Geldanlage: Mit einem Fondsdepot mehr aus dem eigenen Geld machen

Wer vor zehn Jahren 50.000 Euro in den Weltaktienindex investiert hat, kann sich heute über mehr als 250.000 Euro freuen! Mit der...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Insolvenzwelle Krankenhäuser: Kliniken in der Krise – medizinische Versorgung bedroht
03.03.2025

Nicht nur die Wirtschaft stirbt, auch Deutschlands Krankenhäuser schreiben rote Zahlen. Die Gründe: chronische Unterfinanzierung,...

DWN
Politik
Politik Ukrainekrieg: Union und SPD wollen 400 Milliarden Euro Sonderschulden - Fällt der Beschluss noch im alten Bundestag?
03.03.2025

Union und SPD tauschen sich nach dem "geopolitischen Kurswechsel der USA" über ein neues Sondervermögen oder besser gesagt...

DWN
Politik
Politik Nord Stream 2: US-Investoren wollen erneut Gaspipeline übernehmen - pikante Personalie involviert
03.03.2025

US-Investoren zeigen Interesse an Übernahme von Nord Stream 2. Ein Konsortium amerikanischer Investoren führt laut der Financial Times...

DWN
Politik
Politik "Schlichtweg Wahnsinn": Linke und BSW lehnen milliardenschweres Sondervermögen ab
03.03.2025

Die Linke und das BSW lehnen die geplanten milliardenschweren Sondervermögen für Verteidigung und Infrastruktur ab. Sahra Wagenknecht...

DWN
Panorama
Panorama Mannheim: Auto rast in Menschenmenge - Tote und Schwerverletzte - erste Infos zum Täter
03.03.2025

In der Mannheimer Innenstadt läuft derzeit ein Großeinsatz von Polizei und Rettungskräften. Medien berichten übereinstimmend, dass ein...

DWN
Finanzen
Finanzen Heizkostenabrechnung prüfen: Auf diese Punkte sollten Sie achten, wenn hohe Nachzahlungen drohen
03.03.2025

Die Heizkostenabrechnung ist manchmal nicht leicht zu verstehen. Hohe Nachzahlungen sollten Mieter deshalb auf keinen Fall vorschnell...

DWN
Politik
Politik AfD Bundestag: Neue Machtverhältnisse und alte Gesichter
03.03.2025

Die AfD-Fraktion hat sich nach ihrem Wahlerfolg neu formiert und macht ihre Ansprüche deutlich. Mit 152 Abgeordneten – doppelt so viele...

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin-Kurs: Donald Trump erklärt fünf Kryptowährungen zur US-Reserve - Kurse steigen weit über 20 Prozent
03.03.2025

Das große Comeback von Bitcoin, Ripple (XRL) und Co? Nach einer Phase der Unsicherheit und sinkender Kurse sorgte eine lange erwartete...