Deutschland

Air Berlin-Pleite könnte zum Problem für Flughafen BER werden

Die Insolvenz von Air Berlin könnte sich als großes Problem für den Hauptstadtflughafen BER entpuppen.
21.08.2017 17:05
Lesezeit: 5 min

Die Insolvenz von Deutschlands zweitgrößter Fluggesellschaft Air Berlin könnte sich als großen Problem für den noch immer im Bau befindlichen Hauptstadtflughafen BER entpuppen. Die Berliner Morgenpost zitiert dazu einen nicht namentlich genannten Experten, der schätzt, dass der Wegfall von Air Berlin dazu führen wird, dass die Flughafengesellschaft die Baukosten des Großprojektes niemals wieder einfahren wird.

Gegenüber den Deutschen Wirtschafts Nachrichten sagte der Luftfahrtexperte Gerd Pontius von der Beratungsgesellschaft Prologis:

Grundsätzlich gilt, dass BER selbstverständlich darunter leitet, wenn der Homecarrier am Markt Berlin nicht mehr fliegt. Die Konsequenzen werden aber erst dann deutlich werden, wenn klar ist, wer welche Teile des AB-Geschäftes fortsetzt. Im Europaverkehr werden Eurowings, Easyjet oder wer auch immer zum Zuge kommt, möglicherweise das Geschäft ohne große Einschränkungen fortsetzen. Auf der Langstecke sind dagegen nur wenige, ausgesuchte Verbindungen für einen Nachfolger interessant.

Verschiedene Medien berichten u.a. vom Interesse der easyJet. Tatsächlich ist diese Airline – nach Air Berlin – heute größter Anbieter in Berlin, konnte dort aber aufgrund des auf unbestimmte Zeit verschobenen Eröffnungstermins des BER bis auf Weiteres kaum wachsen. Die Slots der Air Berlin würden ihr den Einstieg in Tegel eröffnen. Auch bei einer Übernahme durch Lufthansa dürften kaum die heutigen Strecken, sondern eher die Slots von Interesse sein. Möglicherweise kommen aber auch beide zum Zug: Innerhalb der unter eigener Marke betriebenen AB Flotte sind 17 Langstrecken-Flugzeuge vom Typ Airbus A330-200, die nicht in das heutige Geschäftsmodell der auf Kurz- und Mittelstrecken ausgerichteten easyJet passen. Sowohl das Streckenportfolio (vorwiegend Ziele in den USA und der Karibik) als auch die A330-Flotte würden gut in die Eurowings-Struktur passen. Aber auch der Condor wird Interesse nachgesagt, die touristischen Langstreckenflüge zu übernehmen. Ein großer Teil der Flugziele passt durchaus in das Netz der Condor, die A330 ist allerdings nicht kompatibel zu der Boeing 767-Flotte der Condor. Fraglich ist allerdings, ob diese Flugzeuge tatsächlich dann in Berlin eingesetzt werden, da Berlin auf der Langstrecke bisher immer ein schwieriger Markt war.

Die negativen Prognosen gründen auf der Tatsache, dass der BER nach seiner Fertigstellung als Drehkreuz für Air Berlin dienen sollte. Der Ausfall der Fluglinie könnte beträchtliche Lücken in die finanzielle und technische Planung reißen. „Sollte der Airport jemals in Betrieb gehen, wird ihm der wichtigste Nutzer fehlen. Als einzige Airline wollte Air Berlin am BER ein Drehkreuz installieren – anders als etwa die Lufthansa. Das gesamte Südpier wurde für Air Berlin gebaut. Über neun Fluggastbrücken sollten die Passagiere in die Maschinen steigen, im Wartebereich war für sie eine Lounge mit 200 Plätzen vorgesehen. Im Transferbereich sollten die Umsteigepassagiere fleißig konsumieren, denn wie bei allen modernen Flughäfen galt auch beim BER die Rechnung, dass mindestens die Hälfte der Einnahmen über Gastronomie, Einzelhandel und Parken generiert werden soll. Mit 150 Verkaufsflächen auf 20.000 Qua­dratmetern wurde der Flughafen doppelt so gut ausgestattet wie Tegel und Schönefeld zusammen“, schreibt die Berliner Morgenpost.

Andersherum sollen die Querelen an der Baustelle des BER angeblich auch ihren Anteil an der Insolvenz von Air Berlin gehabt haben, sagen Beobachter. Die ständige Verschiebung des Eröffnungstermins soll jährlich etwa 20 Millionen Euro zusätzliche Kosten für Air Berlin verursacht haben, weil die Expansionspläne der Fluggesellschaft nicht realisiert werden konnten.

Andere Beobachter glauben, dass die wahrscheinliche Aufteilung von Air Berlin keine großen Konsequenzen für den Flughafen haben werde. „Die Insolvenz von Air Berlin bedeutet für den Flughafen eigentlich nichts“, wird der frühere Air Berlin- und Deutsche Bahn-Chef Hartmut Mehdorn zitiert. In der Branche gelte das „Gesetz der Wölfe“ – es würden eben andere Airlines den Platz von Air Berlin einnehmen. Und selbst wenn das Billigairlines wie Ryanair seien, die fast nur Direktflüge anbieten, sei das kein Problem. „Auch die Low-Cost-Carrier werden Umsteigeverbindungen anbieten, wenn sie feststellen, dass auf der Langstrecke Geld zu verdienen ist“, schreibt die Morgenpost.

„Für den BER – also vielleicht ab 2020 – hat das keine negativen Folgen“, wird der Luftfahrt-Experte Hans-Henning Romberg von der Welt zitiert. Auch andere Beobachter gehen davon aus, dass die Insolvenz von Air Berlin allenfalls eine zeitlich begrenzte Delle im Wachstum der Passagierzahlen hinterlässt. Der Luftverkehr am Standort Berlin würde nämlich seit Jahren steigen und deswegen für eine ausreichende Nachfrage der Fluggesellschaften sorgen. So wurden 2016 etwa 33 Millionen Fluggäste gezählt, im Jahr 2020 sollen es bereits 37 Millionen sein – fünf Jahre später nach Einschätzung der Flughafengesellschaft 42 Millionen. Zudem stoßen die bestehenden Flughäfen Tegel und Schönefeld längst an die Grenzen ihrer Belastbarkeit.

Unterdessen gehen die Verhandlungen zwischen Air Berlin und Kaufinteressenten weiter. Das Unternehmen spricht mit der Lufthansa und mindestens zwei weiteren Interessenten. Die Bundesregierung unterstützt eine Aufteilung in mehrere Unternehmensteile, betont aber gleichzeitig, wie wichtig eine starke internationale Stellung der Lufthansa sei. Interesse an der Air-Berlin-Erbmasse sollen außerdem die Gesellschaften Easyjet, Condor, Tuifly sowie der frühere LTU-Eigner Hans-Rudolf Wöhrl bekundet haben. Etliche Probleme müssen noch aus dem Weg geräumt werden.

Die Lufthansa hat sich bereits im vergangenen Jahr ein gutes Viertel der 144 Air-Berlin-Jets gesichert. 38 Maschinen sind für die Lufthansa-Töchter Austrian und Eurowings unterwegs. Sie werden zwar mit Air-Berlin-Crews geflogen, gehören aber dem Lufthansa-Konzern oder sind von diesem neu angemietet worden. Nach Einschätzung des Luftverkehrsexperten Gerd Pontius wird diese Einheit mit einer eigenen Betriebsgenehmigung (AOC) ausgelagert. Den Mitarbeitern werden unter Berücksichtigung ihrer Berufserfahrung Eurowings-Tarifverträge angeboten.

Der Kranich-Konzern hat großen Einfluss auf den Fortgang der weiteren Gespräche. Mit Chef Thomas Winkelmann an der Spitze wird Air Berlin längst von einer Riege ehemaliger Lufthanseaten geführt. Lufthansa sitzt darüber hinaus im Gläubigerausschuss, weil man der Air Berlin im vergangenen Dezember 130 Millionen Euro Vorschuss für die in den folgenden sechs Jahren abzuleistenden Wetlease-Flüge gezahlt hat. Der Ausschuss entscheidet letztlich über die Transaktionen. Dass der Lufthansa-Vertreter dort die Angebote der Konkurrenz nicht zu sehen bekommen soll, überzeugt längst nicht alle. „Die Bieter müssen dort komplett die Hosen runterlassen, und die Lufthansa kann in Ruhe die Geschäftsmodelle studieren“, schimpft ein Beteiligter.

Die am heftigsten umkämpfte Perle im Air-Berlin-Portfolio ist der österreichische Touristikflieger Niki mit seinen geringen Kosten und einer modernen Airbus-Flotte. Dem Vernehmen nach sind sämtliche Bieter an der einst von Rennfahrer Niki Lauda gegründeten Gesellschaft interessiert, die noch im Sommer in einem Gemeinschaftsunternehmen mit der Tuifly aufgehen sollte. Es herrscht hoher Zeitdruck, weil die Reiseveranstalter gerade ihre Sitzplatz-Order für den kommenden Sommer planen. Zeichnet sich nicht bald eine Lösung für die Niki ab, würde sie diesen wichtigen Teil des Geschäftes im kommenden Jahr möglicherweise verlieren. Daher denkt auch die Wiener Politik über staatliche Finanzhilfen nach deutschem Vorbild nach.

Ebenfalls umworben sind 17 Langstreckenjets, die von Düsseldorf und gelegentlich auch von Berlin zu touristisch attraktiven Fernzielen fliegen. Sie würden perfekt in die Langstreckenflotte der Eurowings passen, die ähnliches mit lediglich sechs Flugzeugen bislang von Köln und München anbietet. Viele Crewmitglieder haben allerdings noch gut dotierte Arbeitsverträge aus Zeiten der LTU, die 2007 von Air Berlin übernommen worden war. Diese Gehälter könnten nicht weitergezahlt werden, heißt es dazu aus Lufthansa-Kreisen.

In den Verhandlungen müssen wettbewerbsrechtliche Aspekte stets mitgedacht werden, schließlich wird der Deal auf europäischer Ebene überprüft. Die EU-Kommission hat in der Vergangenheit stets die Marktmacht der neu entstehenden Anbieter auf einzelnen Strecken überprüft und im Zweifel die Abgabe einzelner Verbindungen angeordnet. Dem irischen Billigflieger Ryanair, der nun gegen die geplante Teilübernahme von Air Berlin durch die Lufthansa zu Felde zieht, untersagten die Wettbewerbshüter einst die bereits angeleierte Übernahme der irischen Fluglinie Aer Lingus, um den Wettbewerb dort zu sichern. Die Lufthansa droht nun an den Flughäfen Berlin und Düsseldorf, die bislang zu etwa einem Drittel von Air Berlin belegt sind, zum dominanten Anbieter vor allem der innerdeutschen Strecken aufzusteigen.

Während die Start- und Landerechte der Air Berlin in Düsseldorf heiß begehrt sein dürften, wäre eine neue Lufthansa-Konkurrenz in Berlin wegen des überlasteten Flughafen-Systems der Hauptstadt nicht so leicht zu organisieren, warnt ein Luftverkehrs-Insider. Schließlich starten die potenten Mitbewerber Ryanair und Easyjet bislang ausschließlich von Schönefeld, die Air-Berlin-Slots gehören aber zum Auslauf-Flughafen Tegel. Die Billigflieger müssten also organisatorische Doppelstrukturen aufbauen, wenn sie Air Berlin in der Hauptstadt auf der Kurzstrecke beerben wollten.

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