Politik

Russland: Stehen vor Entscheidungsschlacht gegen den IS

Um die Stadt Deir Ezzor hat nach russischen Angaben eine Entscheidungsschlacht gegen den IS begonnen. Die Syrische Armee sieht sich jedoch einer neuen Offensive der al-Nusra-Front gegenüber.
22.08.2017 00:47
Lesezeit: 5 min

Das russische Verteidigungsministerium hat am Montag bekanntgegeben, dass Russen und Syrer vor einer Entscheidungsschlacht gegen die IS stehen. Generalstabschef Sergei Rudskoi sagte bei einer Pressekonferenz in Moskau laut TASS: "Die syrischen Regierungskräfte, die von den russischen Luft- und Raumfahrtkräften unterstützt werden, stoßen rasch von drei Richtungen nach Deir Ezzor vor. Gegenwärtig sind die syrischen Regierungskräfte, unterstützt von den russischen Luft- und Raumfahrtkräften, rasch von Deir Ezzor aus drei Richtungen vorangekommen. Die Stellungen um die Stadt sind die letzte Festung der Terroristen auf syrischen Boden. Die verbleibenden terroristischen Einheiten sind in die Region verlegt worden. Nach unseren Erkenntnissen sind die Kämpfer aus Mossul im Irak dorthingezogen und haben die meisten ihrer Kampffahrzeuge aus Rakka dorthin verlegt." Laut Rudskoi fliegt die russische Luftwaffe massive Bombenangriffe gegen den IS. Es sollen 200 Kämpfer und zahlreiches militärisches Material zerstört worden sein.

Die syrische Armee (SAA) muss jedoch an mehreren Fronten kämpfen: Hayat Tahrir al-Scham (HTS), die Nachfolgeorganisation der radikal-islamistischen Al-Nusra-Front, hat am Montag mit einer Offensive auf die Versorgungsroute der Truppen von Präsident Baschar al-Assad zwischen der Stadt Salamiyah und Ethiryah begonnen. Die Route dient der Versorgung von syrischen Soldaten und ihren Verbündeten in Aleppo und Süd-Rakka, berichtet das Special Monitoring to Syria (SMMS). Das Pentagon sieht die al-Nusra-Front - eine al-Kaida-Untergruppe - als nach wie vor stark an und unterstützt die Türkei nach eigenen Angaben im Kampf gegen die islamistischen Söldner. 

Währenddessen bewegt sich die SAA auf das Gebiet Uqayrabat in der Provinz Homs zu. Zuvor hatte die SAA die letzte Versorgungsroute von ISIS nach Uqayrabat gekappt. Diverse Terror-Gruppen und Söldner agieren derzeit auf dem territorialen Dreieck Hama-Salamiyya-Homs.

Sollte es HTS gelingen, die Versorgungsroute der SAA zwischen Salamiyah und Ethiryah zu unterbrechen und den Vormasch auf Deir Ezzor zu stoppen, würde die geplante Offensive auf die Provinz Rakka in Stocken geraten.

In Syrien gibt es derzeit drei Konfliktregionen, die für die Zukunft Syriens entscheidend sein werden. Die erste Region ist Idlib, die zweite Region ist Deir Ezzor und Rakka. Die dritte Region befindet sich im Süden am Golan.

Idlib:

Seit Beginn des Syrien-Konflikts im Jahr 2011 versuchen die Kurden-Milizen, die von den USA unterstützt werden, Nordsyrien vollständig einzunehmen. Das Ziel der Kurden-Milizen ist es, im Norden des Landes einen Korridor ans Mittelmeer zu eröffnen. Sollte dies gelingen, hätten die Milizen die Möglichkeit, Öl und Gas aus den irakischen Städten Mossul und Kirkuk bis ans Mittelmeer transportieren zu lassen. Neben der Rolle als mögliches Transitland würde ein kurdischer Korridor in Nordsyrien dazu dienen, die Türkei zu destabilisieren und einen weiteren Baustein für die Gründung eines Kurdenstaats zu legen. Allerdings führte die Türkei vom 24. August 2016 bis zum 29. März 2017 eine Militäroffensive in Syrien durch. Das türkische Militär besetzte in Nordsyrien das Gebiet zwischen Azaz und Dscharablus. Dieses Gebiet hat eine Länge von 90 Kilometern und befindet sich exakt auf dem geplanten Streifen des kurdischen Korridors. Die Türkei machte mit dieser Aktion die Gründung eines kurdischen Korridors unwahrscheinlich.

Allerdings haben die pro-amerikanischen Kurden-Milizen die Möglichkeit, das Gebiet zwischen Azaz und Dscharablus südlich zu umgehen, um eine Verbindung zwischen den kurdische besetzten Städten Hasakah, Qamischli, Tal Abyad und Kobani im Nordosten Syriens und der kurdisch besetzten Stadt Afrin zu schaffen. Voraussetzung für die Schaffung dieser alternativen Verbindung für den kurdischen Korridor ist jedoch die Eroberung der Provinz Idlib im Nordosten Syriens.

Die USA könnten erneut unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung gemeinsam mit den Kurden-Milizen der PYD eine Operation in Idlib durchführen, um das Gebiet anschließend den Kurden zu überlassen. Die Gefahr für die Türkei und Syrien besteht darin, dass die Kurden-Milizen dann die Möglichkeit hätten, einen Korridor ans Mittelmeer zu schaffen.

Der Nahost-Analyst Cengiz Tomar sagt in einem aktuellen Interview mit Stargazete: „Wir haben gesehen, dass Hayat Tahrir al-Scham (HTS) Idlib dann eingenommen hat, als die Türkei eine Operation auf Afrin angekündigt hatte. Wenn die USA Idlib aus der Luft und die PYD Idlib vom Boden aus angreifen sollten, wird dies im Ergebnis zur Schaffung eines Korridors ans Mittelmeer führen. Die Türkei stuft diese Entwicklung als eine existenzielle Bedrohung ein. Sie wird alles unternehmen, um dies zu verhindern. Die Türkei hat es hier mit der kritischsten Situation seit dem Ersten Weltkrieg zu tun.“

Die Türkei, Russland und der Iran planen derzeit eine Militäraktion, um die Provinz Idlib von der Söldner-Truppe Hayat Tahrir al-Scham (HTS), die der Nachfolger der Al-Nusra-Front ist, zu befreien. Die drei Länder wollen Idlib noch vor den Amerikanern und Kurden befreien, um einen kurdischen Korridor ans Mittelmeer zu verhindern. HTS ist ein erbitterter Gegner der Gespräche von Astana. Die Miliz zielt auf den Sturz von Präsident Baschar al-Assad und die Vertreibung der türkischen und russischen Truppen aus dem Nordwesten Syriens ab. Nach Angaben der BBC ist HTS auch strikt anti-iranisch ausgerichtet.

Nach Angaben von AzerNews werden Russland und der Iran voraussichtlich im südlichen Teil von Idlib operieren. Die Türkei wird aus der nördlichen Richtung vorstoßen. Im Süden von Idlib – in Muradah und Halfaya – sind bereits russische Truppen stationiert. Der Zeitpunkt der Operation wurde noch nicht bekanntgegeben. Der türkische Premier Binali Yıldırım sagte nach Angaben von The Daily Sabah am vergangenen Freitag, dass es eine gemeinsame Bodenoffensive des Irans, der Türkei und Russlands auf Idlib geben könnte. „Eine Operation gegen terroristische Organisationen steht immer auf der Agenda“.

Deir Ezzor:

Die wichtigsten Ölvorkommen Syriens befinden sich in Deir Ezzor. Nach einer Aufstellung der Financial Times gehören dazu die Ölfelder al-Tabqa, al-Kharata, al-Shoula, al-Taim, al-Tanak, Deiro, al-Jabseh und al-Omar, wobei al-Omar das größte Ölfeld des Landes ist. Die Region grenzt an den Irak und gilt als Schlüsselregion für eine Landverbindung zwischen dem Iran, dem Irak und Syrien. Wer Deir Ezzor kontrolliert, kontrolliert auch die Landverbindung, die nicht nur für den Handel, sondern künftig auch für den Bau von neuen Pipelines und den Transport von Öl sowie Gas wichtig sein wird. Beispielsweise will der Iran die Route seines Landkorridors über sein Territorium und Syrien bis ans Mittelmeer verlegen. Die syrische Regierung unterstützt diesen Plan. Der Landkorridor muss durch Deir Ezzor verlaufen. Sollten die von den USA unterstützten Kurden-Milizen die Stadt Rakka einnehmen und Deir Ezzor weitgehend kontrollieren, würde dies den Plan der Iraner zunichtemachen.

Die türkische Zeitung Aydinlik berichtet: „Deir Ezzor ist aus folgenden Gründen wichtig: Die USA und ihre Komplizen versuchen, die Landverbindung zwischen Syrien und dem Irak in Nordsyrien über die Schaffung eines Kurdenstaats und im Süden über die Schaffung eines sunnitischen Araber-Staats zu kappen. Deir Ezzor ist die strategisch wichtigste Region, wenn es um die Landverbindung zwischen dem Irak und Syrien geht. Seit 2012 bombardieren die USA syrische Verbände in dieser Region (…). Die Saudis versorgen die sunnitischen Stämme dort mit Geld und Waffen. Die Stadt Rakka befindet sich inmitten des Herzen Syriens. Wer Deir Ezzor erobert, der erobert auch Rakka. Aus diesen Gründen wollen die USA und die PKK-Kämpfer unter dem Deckmantel der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) diese Region erobern. Durch diese Offensive soll die Spaltung Syriens garantiert werden.“

Golan:

In der Golan-Region auf der syrischen Seite hat Russland mit Billigung der USA eine Deeskalationszone gegründet. Israel hat den Schritt kritisiert, weil die Regierung in Jerusalem nicht nur die Stationierung von russischen, sondern auch von iranischen Truppen unweit der Golan-Höhen befürchtet.

Russland kann Israels Sorgen um seine Sicherheit nicht nachvollziehen. Der russische Außenminister Sergej Lawrow sagte am 17. Juli, dass der von den USA und Russland ausgehandelte Deeskalationsplan Israels Sicherheitsinteressen vollständig berücksichtige. „Ich kann garantieren, dass die amerikanische Seite und wir das Beste getan haben, um sicherzustellen, dass Israels Sicherheitsinteressen in vollem Umfang berücksichtigt werden“, zitiert die TASS Lawrow.

Stratfor führt in einer Analyse aus: „Israel ist zutiefst besorgt über die Instabilität an der Grenze zu Syrien, wo die Hisbollah und andere pro-syrische und pro-iranische Milizen vor allem in die sensible Region der Golanhöhen eingetreten sind. Als Russland in den syrischen Konflikt eingriff, sah Israel eine Gelegenheit, einen alten Verbündeten um Hilfe zu bitten und es vor der schlimmsten Instabilität des Landes vor der Haustür zu bewahren. Israel fordert regelmäßig Russland auf, pro-iranische (und tief anti-israelische) Gruppen von der Grenze fernzuhalten.“

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