Politik

Merkel spricht sich überraschend gegen EU-Beitritt der Türkei aus

Bundeskanzlerin Merkel hat sich erstmals ausdrücklich gegen einen EU-Beitritt der Türkei ausgesprochen.
04.09.2017 02:38
Lesezeit: 2 min

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich beim TV-Duell erstmals überraschend deutlich für das Ende der EU-Beitrittsverhandlungen ausgesprochen. Merkel sagte: "Ich sehe den Beitritt nicht. Ich habe den Beitritt zur Europäischen Union noch nie gesehen, als die Sozialdemokraten da noch eine andere Haltung hatten. Merkel will sich bei der EU dafür einsetzen, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abzubrechen.

"Ich war noch nie dafür, dass die Türkei der EU beitritt und jetzt werde ich genau überlegen, in welcher Art und Weise – Vorbeitrittshilfen streichen bin ich sofort dabei – aber ob wir die Tür zuschlagen oder ob die Türkei die Tür zuschlägt, das muss man sehen."

Merkel sagte: "Die Beitrittsverhandlungen sind zur Zeit sowieso nicht existent." Merkel sagte, "darüber, dass die Verhandlungen nicht erfolgreich weitergeführt werden können, darüber sind sich alle einig." Deutschland müsse aber auch die anderen EU-Staaten davon überzeugen, dass es keinen EU-Beitritt der Türkei geben solle: "Deshalb bin ich dafür, dass wir die Vor-Beitrittshilfen einfrieren. Die Europäische Kommission sagt mir, dann sind auch die Beitrittsverhandlungen beendet. Trotzdem muss ein solcher Schritt sehr gut überlegt sein. Denn es gibt auch 50 Prozent in der Türkei, die hoffen auf uns. Ich habe jetzt nicht die Absicht, die diplomatischen Beziehungen mit der Türkei abzubrechen, nur weil wir uns jetzt im Wahlkampf ein bisschen übertreffen müssen, wer jetzt härter ist."

Merkel sagte, dass wirtschaftliche Maßnahmen gegen die Türkei ergriffen werden sollen und nannte deutlichere Reisewarnungen, "Hermes-Bürgschaften, Kredite der Europäischen Investitionsbank, der Weltbank" als mögliche Konsequenzen.

Merkels überraschend deutliche Position wurde durch die Aussage von SPD-Chef Martin Schulz ausgelöst, der sich dezidiert für einen sofortigen Abbruch der Beitrittsverhandlungen aussprach. Schulz will bei einem Wahlsieg die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei beenden. Das Verhalten der Türkei lasse keine andere Wahl, obwohl er sich lange für den EU-Beitritt ausgesprochen habe. "Hier sind alle roten Linien überschritten. Der Punkt ist beendet." Schulz sagte, in der Türkei finde derzeit ein "Gegenputsch" statt.

CSU-Chef Horst Seehofer hat einer Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union eine klare Absage erteilt. "Diese Türkei kommt nicht für die Vollmitgliedschaft in der EU in Frage", sagte Seehofer der Passauer Neuen Presse. Gelder für die Vorbereitung der Mitgliedschaft müssten "sofort" gestoppt werden. Auch sei "mit der Türkei, solange die Rechtsstaatlichkeit mit Füßen getreten wird, keine Zollunion" möglich.

Bisher war die Regierung unter Merkel stets für einen EU-Beitritt der Türkei eingetreten. Warum die Kanzlerin den Beitrittsverhandlungen zugestimmt hat, obwohl sie immer schon gegen einen EU-Beitritt war, wurde nicht klar. Schulz sagte, dass trotz seiner entschiedenen Ablehnung des Beitritts der Flüchtlingsdeal beibehalten werden sollte, da die Türkei ein großes Interesse an dem Deal habe.

Laut Schulz sind 4,2 Milliarden Euro für an europäischen Steuergeldern in Vorbereitung auf den Beitritt geflossen. Der Flüchtlingsdeal umfasst drei Milliarden Euro mit einer Option auf weitere drei Milliarden, die die EU an die Türkei zahlt.

Die Financial Times analysiert, dass nun die EU-Kommission unter Druck geraten dürfe. Sie hat den Abbruch der Beitrittsverhandlungen bisher wegen der weitgehenden politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen abgelehnt.

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Gold als globale Reservewährung auf dem Vormarsch

Strategische Relevanz nimmt zu und Zentralbanken priorisieren Gold. Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten neue Höchststände...

DWN
Politik
Politik Warum sprechen diese Woche alle über Trumps „Big Beautiful Bill“?
01.07.2025

Es ist Trumps größtes Prestigeprojekt. Doch welche Vor- und Nachteile hat das Gesetzespaket, das am Freitag unterschriftsreif auf dem...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Kernenergie-Aktien explodieren um 542 Prozent: Anleger warnen vor Blasenbildung
01.07.2025

Kernenergie-Aktien feiern ein spektakuläres Comeback – befeuert durch den steigenden Strombedarf für Rechenzentren. Die Branche erlebt...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Svenska Digitaltolk: Dolmetscher-Gigant kauft KI-Unternehmen – Millionenumsatz prognostiziert
01.07.2025

Schwedens Dolmetscher-Gigant will Europas Übersetzungsmarkt aufrollen – mit KI, Millionenplänen und dem Griff nach Deutschland. Doch...

DWN
Politik
Politik Grenze zu – zumindest teilweise: Polen kontrolliert ab Montag
01.07.2025

Polen wird ab kommendem Montag vorübergehend wieder Grenzkontrollen an der Grenze zu Deutschland einführen. Das kündigte...

DWN
Politik
Politik Krankenkassen schlagen Alarm: Zusatzbeiträge könnten deutlich steigen
01.07.2025

Die gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) warnen vor Druck zu neuen Beitragserhöhungen ohne eine rasche Bremse für steigende Kosten....

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Thyssenkrupp-Umbau betrifft Tausende – Betriebsräte fordern Klarheit
01.07.2025

Angesichts weitreichender Umbaupläne bei Thyssenkrupp fordern die Beschäftigten klare Zusagen zur Zukunftssicherung. Betriebsräte pochen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Neues Werk für NATO-Kampfjet: Rheinmetall startet Produktion in NRW
01.07.2025

Der Rüstungskonzern Rheinmetall hat in Weeze (Nordrhein-Westfalen) eine hochmoderne Fertigungsanlage für Bauteile des Tarnkappenbombers...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Investitionsstau: Kaputte Straßen, marode Schulen – Kommunen am Limit
01.07.2025

Viele Städte und Gemeinden stehen finanziell mit dem Rücken zur Wand: Allein die Instandhaltung von Straßen, Schulen und...