Der ICE und der TGV kommen künftig aus einem Haus: Der Münchner Siemens-Konzern bringt seine Bahntechnik-Sparte in den französischen Rivalen Alstom ein und will damit einen schlagkräftigen Konkurrenten für den chinesischen Branchenriesen CRRC schmieden. Mit rund 15,3 Milliarden Euro Umsatz und mehr als 62.000 Mitarbeitern ist die künftige Nummer zwei am Weltmarkt halb so groß wie der Marktführer. Die neuen Partner achten auf ein Gleichgewicht der Kräfte bei Siemens Alstom: Der Konzern sitzt in oder nahe Paris und wird von Alstom-Chef Henri Poupart-Lafarge geführt, wie Siemens und Alstom am Dienstagabend mitteilten. Siemens hält aber gut 50 Prozent der Aktien und kann später sogar auf 52 Prozent aufstocken. Offiziell ist in der Absichtserklärung von einer "Fusion unter Gleichen" die Rede.
Zu möglichen Konsequenzen für die Arbeitsplätze äußerten sich Siemens und Alstom nur vage. "Die Geschäftsaktivitäten der beiden Unternehmen ergänzen sich weitgehend", hieß es in der Mitteilung nur. Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire wurde deutlicher: Siemens habe unter anderem zugesagt, Arbeitsplätze und Werke in Frankreich zu erhalten. Siemens-Chef Joe Kaeser hatte der Nachrichtenagentur Reuters bereits im Vorfeld gesagt, eine Fusion im Bahngeschäft habe kaum einen Arbeitsplatzabbau zur Folge. "Mobilität ist ein Wachstumsfeld." Siemens und Alstom haben zusammen Aufträge für mehr als 61 Milliarden Euro in den Büchern.
Der Zusammenschluss soll die Kosten in vier Jahren um 470 Millionen Euro senken. Zuletzt lag der Gewinn vor Steuern und Zinsen (Ebit) aufaddiert bei 1,2 Milliarden Euro.
Le Maire erklärte, Frankreichs Regierung unterstütze die Fusion, weil sie die europäische Industrie stärken wolle. Siemens und Alstom brauchen den Rückhalt der Politik, weil der Zusammenschluss von den EU-Wettbewerbsbehörden unter die Lupe genommen werden dürfte. Kaeser hofft, dass die EU-Kommission ins Kalkül zieht, dass die Chinesen massiv nach Europa drängen. "Der Weltmarkt hat sich in den vergangenen Jahren erheblich gewandelt. Ein marktbeherrschender Akteur in Asien hat die globale Marktdynamik verändert", begründete er die Fusionspläne am Dienstag. "Gleichzeitig wird die Digitalisierung die Zukunft der Mobilität prägen." Themen wie die Signaltechnik, in der sie eine besonders große Rolle spielt, will Siemens Alstom in Berlin bündeln.
Siemens bringt nicht nur die Bahn-Sparte "Mobility" in den neuen Konzern ein, sondern auch das Geschäft mit Zug-Antrieben, das bisher zur Industrie-Sparte gehört. Trotzdem hätte Alstom, der an der Börse rund sieben Milliarden Euro wert ist, in der Fusion ein Übergewicht. Die Franzosen wollen aber unmittelbar vorher bis zu 1,8 Milliarden Euro an ihre bisherigen Aktionäre ausschütten – zumal ihnen noch rund 2,5 Milliarden Euro aus dem Verkauf der restlichen Anteile an einem Gemeinschaftsunternehmen mit GE in die Kasse gespült werden. Davon profitiert vor allem der Bau- und Medienkonzern Bouygues, der rund 28 Prozent an Alstom hält. Er hat zugesagt, mindestens so lange als Aktionär an Bord zu bleiben, bis die Fusion im Laufe des Jahres 2018 unter Dach und Fach ist. Siemens darf auf Wunsch der französischen Regierung vier Jahre lang nicht auf mehr als 50,5 Prozent aufstocken.
Trotz der Zusagen von Siemens regte sich in Frankreich im Vorfeld Angst vor einem "Ausverkauf" der Industrie des Landes – und des Hochgeschwindigkeitszugs TGV. "Ist das das Ende von Alstom? Wird der TGV deutsch?", fragte der Politiker Eric Woerth von den konservativen Republikanern. Der Generalsekretär des rechtspopulistischen Front National, Nicolas Bay, mahnte auf Twitter: "Die französisch-deutsche Partnerschaft darf nicht zur Auslöschung der französischen Industrie führen!"
Großer Verlierer der Fusion ist der dritte der großen westlichen Bahntechnik-Konzerne: die kanadische Bombardier. Mit ihr hatte Siemens zuerst über einen Zusammenschluss gesprochen, aber in letzter Minute Zweifel an der finanziellen Stabilität des möglichen Partners bekommen. Damit kam Alstom ins Spiel. Bombardier, deren Zugsparte im Wesentlichen aus der ehemaligen deutschen Adtranz besteht, muss nun allein zurechtkommen. Das Unternehmen hat bereits den Abbau von 2200 der 8500 Arbeitsplätze in Deutschland bis 2020 angekündigt.