Russlands Präsident Wladimir Putin hat am Mittwoch in Sotschi Kroatiens Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarovic empfangen. „Ich stelle mit Freude fest, dass wir ein wachsendes Handelsvolumen beobachten können“, sagte Putin der Agentur Interfax zufolge. Die Kroaten präsentierten Putin das „Drei-Meere-Konzept“ ein umstrittenes Projekt, das von Russland als Bedrohung empfunden wird. Grabar-Kitarovic versuchte jedoch laut Ria Novosti, Putin zu beruhigen, und erklärte, das Projekt werde am Ende Russland sogar nützen.
Der Besuch habe allerdings eine weit über das übliche Protokoll hinausgehende Bedeutung, schreit die Zeitung Kommersant. Der Grund liegt in einer schwelenden Finanzkrise in Kroatien. Es geht um das Schicksal des mit fünf Milliarden Euro verschuldeten kroatischen Konzerns Agrokor, dem größten Lebensmittelhändler der Balkanregion. Hauptgläubiger ist die russische Sberbank, bei der Agrokor mit etwa einer Milliarde Euro in der Kreide steht. Auch die ebenfalls staatliche russische VTB Bank ist ein Gläubiger. Insgesamt ist der Konzern laut Kommersant mit 6,5 Milliarden Dollar verschuldet – sechsmal mehr als der Wert der Assets des Unternehmens. Das Unternehmen hatte sich im Jahr 2013 bei der Übernahme der slowenischen Mercator übernommen. Im April 2017 musste der kroatische Oligarch Ivica Todoric der Verstaatlichung zustimmen, ohne die Agrokor kollabiert wäre.
Doch die Lage hat sich nicht verbessert, im Gegenteil: Das kroatische Portal 24sata berichtet, dass zahlreiche große Pensionsfonds erheblich in Agrokor investiert hätten – und nun Verluste schreiben. Das Portal berichtet von ersten Renten-Verlusten und zitiert einen Experten, der sagte: Wenn Agrokor zusammenbricht, seien eine halbe Million Rentner vom Totalverlust bedroht – das wäre ein „Finanz-Tsunami“. Die Pensionsfonds haben bereits Millionen-Verluste zu verkraften und hoffen, dass der Konzern nicht pleitegeht, sondern zerschlagen wird. Mit den Kroaten zittern auch noch österreichische und italienische Banken und der französische Versicherer AXA: Bei Agrokor hängen auch Kredite der österreichischen Erste Group und der Raiffeisenbank sowie der italienischen UniCredit und Intesa Sanpaolo. Anleiheninhaber sind laut FT T Rowe Price und Axa.
Kommersant schreibt, dass die kroatische Präsidentin von Putin eine Lösung erreichen wolle: Die Sberbank als Hauptgläubiger kann faktisch über das Schicksal entscheiden. Die größte Sorge, die Medien in Kroatien umtreibt: Wenn der Konzern scheitert, dann könnte Russland mit einem Schlag als Asset alle Einzelhandelsketten auf dem Balkan übernehmen. Die Sberbank hat diese Spekulationen zwar zurückgewiesen. Doch ehe die Bank ihre Kredite abschreiben muss, wird sie sich vermutlich um eine wirtschaftliche Lösung bemühen.
Um Russland günstig zu stimmen, sagte Grabar-Kitarovic, dass die EU-Sanktionen gegen Russland kroatischen Bürgern und Unternehmen geschadet hätten. Grabar-Kitarovic lud Putin zu einem Besuch nach Kroatien ein und stellte den Russen umfangreiche wirtschaftliche Kooperationen in Aussicht. In diesem Zusammenhang dürfte Zagreb auch seine Energiepolitik überdenken: Im Jahr 2016 hatte Kroatien angekündigt, Kroatien werde die Ukraine künftig mit LNG-Gas beliefern. „Wir haben uns einer Reihe von wichtigen Fragen gewidmet, um die Zusammenarbeit mit Kroatien zu vertiefen. Wir werden insbesondere im Energiesektor zusammenarbeiten. Es gibt ein interessantes Projekt zur Gaslieferung vom LNG-Terminal in Kroatien. Dies wird unsere Energieunabhängigkeit stärken“, zitierte Ukrinform den ukrainischen Premier Wolodomyr Groisman. Zuvor hatte der kroatische Premier Andrej Plenkovic Kiew besucht.
Das Verhältnis zwischen Moskau und Zagreb war nach dem NATO-Beitritt des Balkanstaates 2009 abgekühlt. Zudem ist Russland eng mit dem Nachbarn Serbien verbündet, dem es jüngst sechs Kampfjets vom Typ MiG-29 geliefert hat. Nach dem Zerfall Jugoslawiens herrschte von 1991 bis 1995 Krieg zwischen den bisherigen Teilrepubliken Serbien und Kroatien.
Die Russen gaben sich auf die der Not geschuldeten kroatischen Avancen diplomatisch: Russland wolle Stabilität auf dem westlichen Balkan, sagte Außenminister Sergej Lawrow bei einem Gespräch mit Grabar-Kitarovic: „Wir sind froh, dass Kroatien sich außenpolitisch in verschiedene Richtungen orientiert.“