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Niederlage für Merkel: Jamaika-Koalition gescheitert

Lesezeit: 4 min
20.11.2017 00:21
Die Sondierungen zu einer Jamaika-Koalition sind gescheitert. Nun könnte es zu Neuwahlen kommen.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel ist mit ihrem Versuch gescheitert, mit den Grünen und der FDP eine sogenannte Jamaika-Koalition zu formen: Die FDP hat die Jamaika-Sondierungen mit CDU, CSU und Grünen nach vier Wochen abgebrochen. Parteichef Christian Lindner begründete das am Sonntagabend mit fehlendem Vertrauen. Es sei den vier Gesprächspartnern nicht gelungen, eine Vertrauensbasis oder eine gemeinsame Idee für die Modernisierung des Landes zu finden, sagte Lindner. Dies wäre aber eine Voraussetzung für eine stabile Regierung gewesen.

Eine sichtlich enttäuschte und etwas ratlose Kanzlerin Merkel hat das Aussteigen der FDP aus den Jamaika-Verhandlungen bedauert. Die Union habe geglaubt, dass man gemeinsam auf einem Weg gewesen sei, bei dem man eine Einigung hätte erreichen können, sagte Merkel am frühen Montagmorgen in Berlin. Sie werde im Laufe des Tages Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier über den Stand der Dinge informieren. Die Union werde in den nächsten Wochen weiter verantwortlich handeln. Sie werde als geschäftsführende Bundeskanzlerin alles tun, dass das Land auch durch diese schwierigen Wochen gut geführt werde.

«Nach Wochen liegt heute Papier mit zahllosen Widersprüchen, offenen Fragen und Zielkonflikten vor», sagte Lindner. Wo es Übereinkünfte gebe, seien diese mit viel Geld der Bürger oder Formelkompromissen erkauft worden.

Die Unterschiede zwischen CDU, CSU und FDP wären überbrückbar gewesen. Hier sei neue politische Nähe gewachsen. Im Verlaufe des Sonntags seien aber Rückschritte gemacht worden, weil erzielte Kompromisslinien in Frage gestellt worden seien. «Wir werfen niemanden vor, dass er für seine Prinzipien einsteht. Wir tun es aber auch», sagte Lindner. «Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren.»

CSU-Chef Horst Seehofer hat den Abbruch der Jamaika-Sondierungen als «Belastung» für Deutschland bezeichnet. Eine Einigung sei «zum Greifen nahe» gewesen, sagte Seehofer in der Nacht zu Montag in Berlin. Auch bei der Migrationspolitik wäre eine Einigung möglich gewesen. Er sei den ganzen Tag davon ausgegangen, dass es eine Einigung auf Koalitionsverhandlungen geben werde, sagte Seehofer. Das hätte es ermöglicht, eine Antwort auf das Wahlergebnis zu geben, nämlich die Polarisierung zu bekämpfen und «politisch-radikale Kräfte» zurückzudrängen. Seehofer sagte mit Blick auf den Abbruch der Verhandlungen durch die FDP: «Das ist schade.»

Die Grünen haben den Abbruch der Jamaika-Sondierungen durch die FDP kritisiert. Der Grünen-Politiker Reinhard Bütikofer schrieb am Sonntagabend auf Twitter über FDP-Chef Christian Lindner: «Er wählt seine Art von populistischer Agitation statt staatspolitischer Verantwortung.»

Der Grünen-Politiker Jürgen Trittin sieht nach dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen eine «schwierige» Lage. «Das ist klar, dass wir in einer Situation sind, in der das Land zum ersten Mal mit einer geschäftsführenden Regierung lange Zeit wird leben müssen», sagte Trittin am frühen Montagmorgen. «Es sei denn, die SPD kommt aus der Politikverweigerung raus.»

Gleichzeitig stelle sich die Frage, "wie man sich angesichts der Herausforderung durch die AfD aufstellt", fügte er hinzu. "Insofern kommen jetzt keine leichten Zeiten auf einen zu."

«Für die deutsche Wirtschaft ist das Scheitern der Sondierungsgespräche eine Enttäuschung», erklärt DIHK–Präsident Eric Schweitzer. Deutsche Unternehmen müssten sich nun auf eine möglicherweise längere Phase der Unsicherheit einstellen.

Der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, Hans Peter Wollseifer, hat das Scheitern der Jamaika-Gespräche als «fatal» kritisiert. Offenbar seien parteitaktische Erwägungen stärker gewesen als die gesamtstaatliche Verantwortung. «Damit haben die sondierenden Parteien Deutschland einen Bärendienst erwiesen», teilte Wollseifer am frühen Montagmorgen in Berlin mit. Es sei die Chance vergeben worden, «Deutschland mit neuen Ideen und Denkmustern einen Modernisierungsschub zu geben». Das Scheitern leiste jenen Kräften Vorschub, «die die Funktionsfähigkeit unseres politischen Systems infrage stellen». Zudem sei die politische Ungewissheit «Gift für die Wirtschaft».

Die SPD wird nach Einschätzung ihres stellvertretenden Parteivorsitzenden Ralf Stegner trotz des Scheiterns der Jamaika-Gespräche nicht für eine große Koalition zur Verfügung stehen.

«Die Ausgangslage für die SPD hat sich nicht verändert. Wir haben kein Mandat für eine erneute große Koalition», sagte Stegner am frühen Montagmorgen der Deutschen Presse-Agentur. Er könne sich nicht vorstellen, dass seine Partei ihre Entscheidung überdenken könnte, in der Oppositionsrolle zu bleiben.

Stegner betonte, er sehe für Kanzlerin Angela Merkel (CDU) keine Zukunft mehr. «Sie ist definitiv gescheitert.» Aber auch ohne Merkel werde die SPD keine große Koalition eingehen.

Allen Parteien stünden nun spannende Tage und Wochen bevor. Das Platzen der Jamaika-Gespräche liege in der Verantwortung aller vier beteiligten Parteien CDU, CSU, FDP und Grüne: «Merkel, Özdemir, Seehofer und Lindner haben es nicht hinbekommen, obwohl sie uns wochenlang erzählt haben, was sie alles besser machen wollen.»

Die SPD-Spitze hatte am Abend der Bundestagswahl am 24. September unmittelbar nach dem historischen Absturz auf 20,5 Prozent entschieden, eine rechnerisch mögliche erneute große Koalition mit der Union abzulehnen und in die Opposition zu gehen.

Die AFP hat die nun möglichen Szenarien zusammengestellt:

Die FDP ist aus den Jamaika-Verhandlungen ausgestiegen. Nun gelten Neuwahlen als die wahrscheinlichste Variante. Doch auch der Weg dorthin ist schwierig: Das Grundgesetz baut hohe Hürden auf.

Könnte es nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen doch noch zu einer Neuauflage der großen Koalition kommen?

Das ist unwahrscheinlich. Die SPD hat sich schon am Wahlabend auf die Oppositionsrolle festgelegt und ist davon bislang nicht abgerückt. Vielmehr hat Parteichef Martin Schulz erst am Wochenende noch einmal beteuert, die SPD sei jederzeit zu Neuwahlen bereit.

Wäre eine Minderheitsregierung eine Option?

Wohl kaum. Dieses in anderen Ländern übliche Modell ist in Deutschland im Bund noch unerprobt. Und in den politisch unruhigen Zeiten wäre es misslich für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), wenn sie sich bei jedem Gesetz Unterstützung von einer Oppositionsfraktion holen müsste.

Die Kanzlerin hat diese Option am Abend der Bundestagswahl ausgeschlagen: "Ich habe die Absicht, dass wir zu einer stabilen Regierung in Deutschland kommen." Die SPD schloss ihrerseits bereits aus, eine Minderheitsregierung von Merkel zu tolerieren.

Unter welchen Umständen könnte es zu Neuwahlen kommen?

Bevor es zu einem weiteren Urnengang kommt, muss der neue Bundestag aufgelöst werden. Ein Weg dorthin ist grundsätzlich die Vertrauensfrage. Die früheren Bundeskanzler Willy Brandt (SPD), Helmut Kohl (CDU) und Gerhard Schröder (SPD) hatten so Neuwahlen herbeigeführt.

Doch Amtsinhaberin Merkel ist dieser Weg versperrt. Denn sie ist seit der Konstituierung des neuen Bundestags nur noch geschäftsführend im Amt. Und für diesen Fall besteht die Möglichkeit der Vertrauensfrage nicht.

Deshalb bleibt nur noch die Möglichkeit der Parlamentsauflösung nach einer Kanzlerwahl. Artikel 63 des Grundgesetzes sieht dafür folgendes Szenario vor: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier unterbreitet dem Parlament einen Vorschlag, er kann damit auch bei übermäßig langen Koalitionsvorhandlungen eine Kanzlerwahl in Gang setzen.

Verfehlt die Kanzlerin die erforderliche Mehrheit aller Abgeordneten, kann die Wahl innerhalb von 14 Tagen wiederholt werden. Bringt Merkel auch im zweiten Durchgang nicht die Mehrheit der Abgeordneten hinter sich, reicht es im dritten Durchgang, wenn sie die relative Mehrheit der Stimmen auf sich vereinigt. Das dürfte ihr problemlos gelingen, schließlich ist nicht einmal ein Gegenkandidat zu erwarten.

In diesem Fall hat Steinmeier zwei Möglichkeiten. Er kann Merkel zur Kanzlerin ernennen oder den Bundestag auflösen. Für diese Entscheidung hat er sieben Tage Zeit. Entscheidet er sich für die Parlamentsauflösung, muss innerhalb von 60 Tagen neu gewählt werden.

Nach derzeitigem Stand ist aber keineswegs zu erwarten, dass Neuwahlen die politischen Verhältnisse im Lande klären: Nach den aktuellen Meinungsumfragen würde ein neuer Urnengang die Kräfteverhältnisse im Parlament nicht wesentlich verändern. Es würde rechnerisch wohl wieder nur für Jamaika oder die große Koalition reichen.


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