Die neue österreichische Außenministerin Karin Kneissl hat einen interessanten biographischen Hintergrund: Sie wuchs teilweise im jordanischen Amman auf, wo ihr Vater als Pilot für Jordaniens König Hussein diente. Sie selbst war unter anderem Fullbright-Studentin und hat daher eine gewisse transatlantische Affinität. Allerdings sieht sie China als aufstrebende Weltmacht, wie sie in einem Vortrag ausführte (Video am Anfang des Artikels, ab Minute 12:30). Kneissl gehört keiner Partei an, wurde jedoch seit längerem von der FPÖ als Hoffnungsträgerin auserkoren. Das Ansinnen, für die FPÖ bei der Wahl zum Bundespräsidenten anzutreten, beschied sie abschlägig.
Sie ist proeuropäisch, aber EU-kritisch. Sie arbeitete als Diplomatin in Paris und Madrid, schied dann jedoch aus dem diplomatischen Dienst aus. Sie unterrichtet an der Diplomatischen Akademie Wien, der EBS (European Business School) im Rheingau sowie als Gastlektorin an der österreichischen Landesverteidigungsakademie, der Militärakademie in Wiener Neustadt und an Universitäten im Libanon, etwa auf der frankophonen Université Saint Joseph in Beirut. Sie schrieb zuletzt als freie Journalistin unter anderem für die Wiener Presse und die NZZ.
Nach dem Brexit-Referendum attackierte Kneissl in einem Beitrag für die Kronen-Zeitung EU-Präsident Jean-Claude Juncker scharf, den sie als "Zyniker der Macht", "rüpelhaft" und "arrogant" bezeichnete. "Er gebärdet sich als Brüsseler Cäsar, der es sich zum Ziel gesetzt hat, Vereinbarungen zu brechen, wenn es ihm nützlich scheint", schrieb Kneissl im Juli 2016. In der neuen österreichischen Regierung wird Kneissl zwar nicht für die EU zuständig sein. Die Agenden übernimmt der langjährige Vertraute des künftigen Bundeskanzlers Sebastian Kurz, Norbert Blümel. Dieser hat jedoch keinerlei außenpolitische Erfahrung und dürfte daher auf Kneissls Expertise zurückgreifen.
Kneissl ist bereits als scharfe Kritikerin von Bundeskanzlerin Angela Merkel aufgefallen. Sie warf Merkel mehrfach vor, mit ihren Flüchtlings-Selfies "grob fahrlässig" gehandelt zu haben. Der EU warf Kneissl Versagen in der Flüchtlingsfrage vor und bezweifelte deren Linie und die Sinnhaftigkeit einer gesamteuropäischen Lösung. Das EU-Flüchtlingsabkommen mit der Türkei unter Präsident Recep Tayyip Erdogan bezeichnete sie im Juni 2016 als "Unfug": "Damit erhält der Autokrat Erdogan freie Hand für seinen Verfolgungswahn, und Brüssel lebt in gefährlicher Liaison."
In einem Vortrag setzte sie sich 2015 - also noch vor der russischen Intervention - mit dem Syrien-Krieg und der kriegerischen Entwicklung im Nahen Osten ein. Sie vermeidet darin zwar direkte Attacken gegen die USA, Frankreich und Großbritannien. Als gelernte Diplomatin hat sie ihre Kritik jedoch so verpackt, dass diese auch zwischen den Zeilen zu erkennen sein könnte. Kneissl spricht nach eigenen Angaben folgende Sprachen: Arabisch, Englisch, Französisch, Hebräisch (Grundkenntnisse), Italienisch, Ungarisch (Grundkenntnisse), Spanisch.
Wir dokumentieren den interessanten Vortrag bei einer Benefiz-Veranstaltung für Syrien am 12. Juni 2015 im Kasino des Burgtheaters im Wortlaut:
Das neue Troja auf dem Schlachtfeld Syrien, wo der Erste Weltkrieg und die viele Kriege des Westens gegen den Osten toben
Das neue Troja auf dem Schlachtfeld Syrien, wo der Erste Weltkrieg und die viele Kriege des Westens gegen den Osten toben Benefiz Veranstaltung für Syrien am 12. Juni 2015 im Kasino des Burgtheaters Beitrag von Karin Kneissl „Meine Götter gegen Deine Götter“ und keiner weiß mehr, warum das Morden begann und wie die Massaker enden. Viel wurde über den Krieg geschrieben, doch das Epos von Homer über Troja ist wohl das klassische Kriegsdrama schlechthin. Eine Neuauflage jenes großen Kriegs der Antike erleben wir vielleicht heute in Syrien. So wie einst ziehen heute Testosteron Getriebene aus allen Herren Länder in den Krieg, um für was auch immer Rache zu nehmen. Eine Zivilisation wird vernichtet, die Götter schicken ihre Favoriten in den Ring und schauen eifernd zu, es gibt kein Erbarmen, keine Aussicht auf Lösung. Am Ende werden die Überlebenden von dannen ziehen und andernorts ihre Zelte aufschlagen, neue Reiche gründen. Auf Kassandra die Seherin, die immer wieder warnte, wollte niemand hören.
In Syrien tobt wie damals in Troja ein Krieg der Stellvertreter. Denn die Supermärkte in der Wüste, die Emirate, Katar und Kuwait, wollen einen Platz in den Geschichtsbüchern erwerben. Wer in der islamischen Erinnerung handfeste Spuren hinterlassen möchte, tut dies am besten in Damaskus, der ersten arabischen Kapitale. Im Arabischen wird sie auch oft „Shaam“ genannt, ein alter beinahe mythischer Begriff all dessen, was Syrien, was die Levante, das Morgenland, ist oder sein könnte. Wer Damaskus sagt, der bringt vieles in Schwingung. Denn wo sonst noch existiert eine orientalische Stadt im tiefen Sinn dieses Wortes mit ihren Geschichterzählern, Teeverkäufern, den vielen Handwerkern und dem allerbesten Milcheis. Wo sonst noch in der arabischen Welt wird so viel zu Fuss gegangen, wie in den engen Gassen von Damaskus, wo kein Toyota Pickup und auch kein Mercedes hinein passt. Mit dieser alten Metropole, in der sich Stadt wie kaum anderswo erspüren lässt, können die Shopping malls von Dubai und die Fußballstadien von Katar nicht konkurrieren. Doch deren Banken, TV-Prediger und Zeloten mischen voller Menschenverachtung mit im Blutbad von Syrien. Sie haben das Kalifat des Islamischen Staates gemeinsam mit Geldgebern aus der Türkei, Saudi-Arabien und vielen anderen fanatisch gesonnenen Strippenziehern hochgezüchtet. Das saudische Geriatriezentrum sieht sich mit einer Masse an arbeitslosen jungen Saudis konfrontiert, die in großer Mehrzahl in den Dschihad gegen alle Ungläubigen ziehen wollen, ob in Syrien oder andernorts.
Im Juni 2014 wurde dieses Kalifat, das die Grenzen in der Region auflöst, offiziell proklamiert. Ein Jahr später ist das Kalifat auf Expansionskurs und zieht vermeintlich Fromme aus aller Welt an. Deutsche Konvertinnen diktieren syrischen Frauen, wie sie sich im Sinne des Islams zu verhüllen hätten. Muslime jeden Alters, ob aus Brüssel, Krems oder Marseille, zerstören die Heimat der Syrer, die um einiges älter als der Islam ist.
Erlauben Sie mir die Wortschöpfung der „All Inclusive Terrorists“, die ähnlich den „All Inclusive Tourists“ nicht wissen, wo auf der Landkarte sie sich überhaupt befinden. Sie ziehen seit Sommer 2011 aus vielen arabischen Staaten, aber ebenso aus Europa und Australien nach Syrien. Mache unter ihnen meinen, sie wären in Israel und würden Juden bekämpfen, wenn sie gegen die Überreste der syrischen Armee kämpfen, die mittlerweile zu einer Miliz unter vielen geworden ist. Die Barbarei aller gegen aller, mitten drin die üblichen Profiteure, erinnert auch an das Schlachtfeld Mitteleuropa während des Dreißigjährigen Krieges. Es fehlen die Kommandanten, die marodierenden Landsknechte ziehen brandschatzend durch die Lande. Bekanntlich enden Kriege erst, wenn alle Beteiligten erschöpft sind, nicht weil zuvor der irrationale Mensch zur Einsicht gelangt wäre, dass militärisch niemand mehr siegen kann. Denn erst wenn alles geraubt ist, was es zu rauben gab, sind auch die Räuber erschöpft. So war es einst in Troja, so war es zu allen Zeiten sinnlosen kriegerischen Treibens.
Doch jene im Hintergrund, die mit ihren Fingern und Geldtaschen im großen Poker auf dem geschundenen Rücken der Menschen in Syrien mitwühlen, sind leider noch lange nicht erschöpft. Sie bedienen ihre Fernsteuerung, um da und dort mit zu feuern. Dazu gehört auch die türkische Fernbedienung oder anders gesagt die neo-osmanische Regionalpolitik. Osmanen versus Araber versus Iraner. Denn auch das große nicht arabische Imperium des Irans, das als Schutzmacht der Minderheit der Schiiten auftritt, wirkt im Kriegsgeschehen mit. Die alte innerislamische Kluft, die mit dem Tod des Propheten Mohammed begann, reißt heute in den alten arabischen Reichen der Omajaden und Abbassiden, also von Damaskus bis Bagdad tiefe Schützengräben.
Schiiten versus Sunniten. Kämpfer versus Zivilisten. Menschen mit Zivilcourage in der Minderheit gegen die Übermacht der Barbaren egal welchen Bekenntnis. Manche sprechen gar von einem neuen Mongolensturm, der mit Feuer und Schrecken die Menschen vertreibt und expandiert, hierbei territorial eine Brücke zwischen Orient und Okzident schlägt. Die Goldene Horde von einst mag sich manchem in den relativ staatlich funktionierenden Strukturen des Kalifats wieder finden.
Dies alles ist nicht vom Himmel gefallen, es ist auch nicht das Böse, wie manche naiv meinen, sondern das Ergebnis einer Chronologie. Denn der Irakkrieg der USA von 2003, dem viele europäische Regierungen zujubelten, holt uns nun mit voller Wucht ein. Was damals folgte, war die Zerstörung des Iraks. Die Armee wurde zerschlagen, ihre Veteranen sind heute die Kämpfer des Kalifats. In dem Vakuum sollte sich neue Anarchie verbreiten Damals zogen fünf Millionen Flüchtlinge aus dem Irak nach Syrien, das Land wurde bald in die Kämpfe hineingezogen. 2003 ging es wie so oft in der nahöstlichen Tragödie um physischen Zugang zu Erdölquellen. Denn das Interesse an diesem Rohstoff bestimmt die Geschicke im Nahen Osten seit 1918.
Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges war das Osmanische Reich zerbrochen. Die Siegermächte Großbritannien und Frankreich teilten die Region neu unter sich auf. Die Grenzen wurden bei einer Ölkonferenz 1920 in in San Remo, dem Kurort der Belle Epoque an der italienischen Riviera gezogen. Zu diesem Zwecke waren in erster Linie die Vertreter großer Erdölfirmen angereist, die neben der Übernahme der deutschen Konzessionen die Trasse jener Pipeline besprachen, die Erdöl aus dem nördlichen Mesopotamien ans Mittelmeer transportieren sollte. Mossul-Haifa lautete die Leitung, die zur Referenz der nachfolgenden Grenzziehungen wurde. So entstanden also die neuen Staaten Irak und Syrien als Ergebnis eines Pipeline Abkommens. Und wenn die Anekdote stimmt, so wurden die Linien hierfür auf dem Tischtuch im Hotel Londra gezeichnet.
Tabus waren gebrochen und Regierungen wechselten mit viel Gewalt, um dann noch gewalttätiger vermeintliche innere Feinde niederzuschlagen. Der Irak sollte ebenso wie Syrien durch eine Serie von Militärputschen gehen, bis Mitte der 1970er Jahre unter der repressiven Regierung von Saddam Hussein eine relative Ruhephase begann, die mit dessen Sturz 2003 wieder von einem blutigen Konflikt abgelöst wurde. In Syrien war es ähnlich, auch hier leitete erst die Machtergreifung des Luftwaffenoffiziers Hafez al-Assad 1970 eine Phase der Stabilität um den Preis brutaler Unterdrückung der Bevölkerung ein. Syrien wurde vom Spielball der Mächte zum eigenständigen Spieler, der im Konflikt mit Israel und vor allem im Nachbarland Libanon voller Machtfülle auftrat. In der Okkupation des Libanons genoss die Assad Diktatur alle Unterstützung des Westens, da man stets gerne auf regionale Gendarmen setzt.
Und mit Assad gelangten vor bald 50 Jahren auch die bislang im Abseits stehenden Alawiten in die vordersten Reihen, ob in der Armee oder staatlichen Unternehmen. In den Augen der großen Mehrheit der Muslime, die sich als Sunniten bezeichnen, sind die Alawiten jedoch Ungläubige. Ihr Kult hat mehr mit den spätantiken Religionen des Hellenismus zu tun, ist bunt und voller Geheimnisse, die nur Eingeweihten vorbehalten sind. Religion hat für die Alawiten letztlich nicht den Stellenwert im Alltag, vielmehr leben sie einen Säkularismus, mit dem viele fromme Muslime nichts anfangen können. Die Alawiten fürchten schon lange eine Hexenjagd, wenn Assad nicht mehr an der Macht ist.
„Christen haut ab nach Beirut, Alawiten an die Wand“ – so die Parole der islamistischen Fanatiker, die aus Asien oder Europa anreisen. Viele dieser Dschidahisten reisen von einer Front zu nächsten, sie kämpfen für den, der am besten zahlt. Im Namen Gottes massakrieren sie jene, die sich ihren Lebensstil nicht diktieren lassen wollen. Daneben besteht eine zusammen gewürfelte Freie Syrische Armee, die in den letzten vier Kriegsjahren auf einen Militärschlag von außen setzten, da sie dann den „Rest erledigen“ wollten. Doch letztlich sind auch die Großmächte kriegsmüde. Niemand will die Finanziers des Terrors in die Pflicht nehmen, wenn ein Politiker es doch wagt, wird er wieder zurückgepfiffen. Die reichen Golfstaaten will offenbar keine westliche Regierung vergrämen, braucht man doch dringend ihre Geldbeutel. Dies gilt auch für bedeutende europäische Banken, die so manchen dubiosen Aktionär an Bord holen, nur um das Eigenkapital zu erhöhen. Die Geopolitik scheint sie nicht zu interessieren. Dabei wird auch der Finanzwelt noch das nahöstliche Kriegstreiben, das sie indirekt mitbefeuern, heftig um die Ohren fliegen.
Bei allem Wirrwarr ist doch klar, dass alle Streitparteien Täter sind. Opfer ist die Zivilbevölkerung. Wenn Kinder einen Film sehen oder man ihnen einen Geschichte vorliest, tönt meist die Frage: „Wer sind die Guten und wer die Bösen?“ Nun schafft es tiefes Unbehagen, wenn Regierungschefs mächtiger Länder behaupten, sie wüssten dies. Allzu leichtfertig beliefert so manche europäische Regierung eine Seite mit Waffen, indem sie behauptet – die dort das sind die Guten....
Was vielmehr auf vielen anderen Schlachtfeldern bereits der Fall ist, droht auch in Syrien: lang anhaltende massive Gewalt, die Generationen von Menschen erfasst und Kulturen zerstört. Das ist in Afghanistan und im Irak der Fall. Diese Exzesse des 21. Jahrhunderts erinnern schlicht an den Trojanischen Krieg der Antike. Damals wie heute wird bis zur Erschöpfung gemordet, wobei es um Rivalitäten, Frauenbeute, Goldraub oder heute Ölschmuggel und eben auch sehr viel Religion geht. In Troja wandten sich letztlich selbst die Götter angewidert ab und ließen ihre Marionetten fallen.
Was wird die Menschen in Syrien nach diesem großen Morden erwarten?
Die Welt wird weitergehen, es ist dieses Auf und Ab, das von jeher den Lauf der Geschichte bestimmt. Und in die Menschen zwischen Beirut, Damaskus und Bagdad darf man große Zuversicht setzen. Sie verstehen es, Widrigkeiten des Lebens in Würde und mit einem Hauch von Eleganz zu meistern. Wer in Jahrhunderten denkt, lässt sich nicht so rasch unterkriegen. Die Dichter und Musiker Syriens leisten ihren Teil, die Kultur weiter zu tragen. Adonis, einer der großen Poeten des Landes, hat oft genug, seinen Kopf riskiert, um die Stimme als Künstler, als Kind der alten Kultur Syriens erhoben, er weiß aber auch um den Verrat an seinem Land, wenn er schreibt:
Etwas dehnte sich im Tunnel der Geschichte,
etwas Geschmücktes und Vermintes,
es trug sein von Öl vergiftetes Kind,
ein vergifteter Händler besang es.
Es war der Osten, der wie ein Kind fragte
und nach Hilfe rief,
und der Westen war sein unfehlbarer alter Weiser.
Diese Landkarte wurde geändert,
denn die Welt ist ein Brand.
Der Osten und der Westen sind ein einziges
Grab, aus seiner eigenen Asche gemacht …
Auf dass aus dieser Asche wieder etwas erwachsen möge: Ein großes Dankeschön und Bravo allen Künstlern, die dagegen anspielen und ansingen, heute Abend auf dieser Bühne.
Denn das was bleibt, ist die Sehnsucht nach Schönem …