Finanzen

Chinas Investitions-Zyklus erreicht kritische Endphase

Lesezeit: 13 min
26.12.2017 22:52
Chinas Investitionsboom beeindruckt global. Doch er beruht auf einer gigantischen, kreditgetriebenen Bodenpreisblase.
Chinas Investitions-Zyklus erreicht kritische Endphase

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Chinas Schuldenanstieg in den letzten Jahren weckt bei seinen Entscheidungsträgern und im Ausland Besorgnis. Die gerade veröffentlichte Artikel IV Konsultation des IWF über China legt darüber erneut Zeugnis ab. Die Verschuldung setzt sich vor allem aus Krediten an Immobilien-Entwickler, an lokale Finanzierungs-Vehikel, an vorwiegend staatliche Unternehmen hauptsächlich aus den Bereichen der Schwerindustrie und Infrastruktur, aus der explizit ausgewiesenen Staatsverschuldung sowie aus den explosiv angestiegenen Krediten an private Haushalte zusammen.

Der große Teil der Verschuldung stammt aus der Finanzierung der Investitionstätigkeit. Dies wurde bereits für den Wohnungsbau gezeigt, wo erhebliche Fehlinvestitionen getätigt wurden und Überkapazitäten entstanden sind. Die gesamte Analyse der Investitionstätigkeit führt zum gleichen Befund wie beim Wohnungsbau: Bei kommerziellen Immobilien wie Büro- und Geschäftshäusern und anderen Immobilien sowie bei Infrastrukturen sind die im chinesischen Bau- und Immobilienboom geschaffenen Überkapazitäten und Fehlinvestitionen sogar noch stärker. Sie sind eine Bedrohung für das zukünftige Wirtschaftswachstum, für die Systemstabilität und würden ein rasches wirtschaftspolitisches Umsteuern nötig machen. Ob die chinesischen Behörden dies schaffen oder überhaupt anstreben, erscheint zweifelhaft.

China hat in den vergangenen 15 Jahren gemäß offizieller volkswirtschaftlicher Gesamtrechnung immer über 40 und bis gegen 50 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts investiert – eine im internationalen und historischen Vergleich präzedenzlos hohe Quote. Das Jahr nach dem WTO-Beitritt Chinas im Dezember 2001 repräsentiert den Startpunkt des Investitionsschubes, der Chinas Wirtschaftswachstum bis heute getragen hat.

Einige Charakteristiken mögen die Natur dieser Investitionen zunächst etwas näherbringen:

  • Dominant sind die Bauinvestitionen. Sie repräsentieren heute rund 70 Prozent der gesamten Investitionen, wobei ihr Anteil von etwas über 60 Prozent im Jahr 2000 angestiegen ist.
  • Es gibt fast nur noch Neubauten – wenig Ausbauten oder Rekonstruktion/Renovation. Bis 2000 hatten diese Investitionsformen noch einen bedeutenden Anteil inne.
  • Die Gesamtinvestitionen konzentrieren sich auf drei Bereiche: Verarbeitende Industrie, Immobilien, Infrastruktur. Der Rest, also Primärsektor und andere Bereiche des dritten Sektors, stellen eine vierte bedeutende Residualgröße dar.
  • Die Ausrüstungsinvestitionen, d.h. die Käufe von Maschinen, Transportmitteln, Computern, Werkzeugen etc. werden zu zwei Dritteln von der Verarbeitenden Industrie getätigt. Weitere große Käufer sind die Versorger wie Elektrizitäts-, Gas- und Wasserwerke, die Telekommunikation und der Transportsektor. Die Ausrüstungs-Investitionen sind damit ein bedeutender Teil der Unternehmensinvestitionen der verarbeitenden Industrie und etwas weniger der Infrastruktur-Investitionen.
  • Die Investitionen haben sich immer mehr auf die Städte konzentriert, in den letzten Jahren zu 98 Prozent. Dabei ist der Anteil der vom Zentralstaat direkt getätigten Investitionen stetig zurückgegangen. Der überwiegende Teil der Investitionen erfolgt auf Bezirks- und lokaler Ebene.

Die folgende Grafik gibt einen Überblick über die Investitionen gemäß den Unternehmensdaten und ihrer Aufteilung auf die wichtigsten Komponenten. Die Beträge sind in nominellen Yuan, weil die Aufteilung der Fixkapitalinvestitionen in der Statistik so ausgewiesen ist. Die Preisindizes für Investitionen sind aber nicht stark gestiegen, sodass die daraus entstehende Verzerrung nicht irreführend sein dürfte.

Diese Aufteilung ist an eine Methodologie gebunden, die einerseits von der Datenlage her nicht unproblematisch ist. Zudem ist die Definition von Infrastruktur-Investitionen global gesehen nicht einheitlich. China verwendet eine andere Definition als etwa die Weltbank. Die Grafik basiert auf der Methodologie Chinas. Diese umfasst wie diejenige der Weltbank Investitionen in das Straßennetz und in das Transportwesen, in Gas-, Wasser- und Elektrizitätswerke, in Telekommunikation, in Gewässer-Korrekturen und die Umwelt. Darüber hinaus zählt China auch Investitionen in die soziale Infrastruktur, d.h. in Schulen und das Erziehungswesen, in das Gesundheitswesen, in Kultur- und Sportstätten zur Infrastruktur.

Wie auch immer gemessen wird: Die Fixkapital-Investitionen (ohne Lagerinvestitionen) sind in den letzten 15 Jahren regelrecht explodiert, in nominellen und in realen Größen. Und die Infrastruktur-Investitionen (gelbe Balken) stellen jene Investitions-Komponente dar, die in letzten 25 Jahren am stärksten zum Wirtschaftswachstum beigetragen hat. Vor allem haben sie in den letzten vier Jahren nochmals kräftig zugelegt. In diesem Zeitraum liegen Bruttoinlandsprodukt und Fixkapital-Investitionen viel höher denn je zuvor.

China hat seit dem Machtantritt Dengs großen Wert auf den Aufbau einer modernen Infrastruktur gelegt. Das ist vom Prinzip her weitsichtig – ohnehin für ein Entwicklungs- oder ein Schwellenland. Für China ist dies umso zentraler, als das Land flächen- und bevölkerungsmäßig so riesig, und räumlich, von der Geographie her, zwischen Ostküste, Zentralchina und dem Westen des Landes so gespalten ist. Es kontrastiert auch positiv mit der nachlässigen Politik in den USA und in Teilen Westeuropas, die bestehende Infrastruktur wie Geleise, Straßen, Autobahnen, Brücken, Schulen, Versorger und deren Netze über Jahrzehnte hinweg verrotten zu lassen und selbst nicht in eine moderne Infrastruktur wie etwa in Glasfaser-Netze, Breitband-Internet oder Hochgeschwindigkeitszüge und -strecken zu investieren. Neben anderen Faktoren konnte China nur dank dieser klugen Politik so rasch zu einer Weltmacht im Export aufsteigen und kontinuierlich ein derart hohes Wachstumstempo erzielen.

Allerdings bestehen in den letzten Jahren zu Recht Bedenken, dass die Infrastruktur-Investitionen langfristig viel zu stark gewachsen und darüber hinaus fehlinvestiert sind. Vor allem seit dem massiven, im Jahr 2009 als Reaktion auf die globale Finanzkrise von der Regierung aufgelegten Programm sind die Infrastrukturausgaben richtiggehend explodiert. Seit 2014 sind die Infrastruktur-Investitionen nochmals kräftig hochgefahren worden, was sich im Anstieg der roten Kurve widerspiegelt.

Die hier präsentierte Darstellung unterscheidet sich grundlegend von anderen in der Fachliteratur. Dort wird die Quote der Infrastruktur üblicherweise als über die Zeit stark ansteigend ausgewiesen. Was in absoluten Zahlen sehr wohl zutrifft, dürfte aber in Bezug auf die Quote falsch sein. Die Quoten lagen früher, d.h. bis ungefähr 2002, noch höher als seit 2009. (Die Methodologie der Berechnung basiert auf einem anderen Ansatz als derjenige anderer Autoren). Die Differenz ist sehr wichtig. Denn wenn erst seit 2009 zu viel in die Infrastruktur investiert worden ist, ist das verkraftbar. Wenn dies aber schon seit den frühen 1990er Jahren der Fall ist, hat dies erhebliche Implikationen in Bezug auf den Angebotsüberhang.

Doch nicht nur oder nicht einmal primär die Infrastruktur-Investitionen haben seit den frühen 2000er Jahren extrem stark zugelegt, sondern besonders die Unternehmensinvestitionen (blaue Kurve) und die Investitionen in Immobilien (schwarze Kurve). Der Anteil der Unternehmensinvestitionen am BIP hat sich seit Beginn der 2000er Jahre bis zum Höhepunkt 2014 fast verdreifacht. Bei dem, was in der Statistik als Unternehmensinvestitionen der verarbeitenden Industrie genannt wird, verbergen sich zu einem Teil wiederum staatliche Unternehmen aus der Bauzulieferindustrie wie Stahl, Zement, Aluminium, Kupfer, Nickel, alles sehr kapitalintensive Branchen. Hinzu kommen noch Bergbau-Unternehmen, welche Kohle für die Elektrizitätsherstellung fördern.

Wichtig bei den Infrastruktur-Investitionen ist die Tatsache, dass sie in den 2000er Jahren vor allem von den kommunalen Investitionen getragen wurden. Deren direkt ausgewiesener Anteil an den gesamten Infrastruktur-Investitionen ist zwischen 2000 und 2013 von 20 auf 40 Prozent angestiegen und hat seither noch weiter zugelegt. Ihr Anteil hat vor allem durch die lokalen Investitions-Vehikel stark zugenommen. Auch in den anderen Komponenten sind noch Ausgabenposten der Lokalbehörden enthalten, so etwa die soziale Infrastruktur.

Die kommunalen Infrastruktur-Investitionen, der Immobiliensektor sowie die sehr kapitalintensiven, meist staatlichen Unternehmen aus den Bauzulieferindustrien gehören zusammen. Die genannten Schwerindustrien sind zu einem hohen Prozentsatz von 40-60 Prozent vom Bausektor abhängig. Der Bausektor bezieht also einerseits konzentriert Vorprodukte der Schwerindustrie. Dieser Komplex ist der Treiber des binnenwirtschaftlichen Wirtschaftswachstums seit Beginn der 2000er Jahre.

Darüber hinaus sind andrerseits auch weitere Teile der sonstigen verarbeitenden Industrie mit dem Infrastruktur- und Immobiliensektor verknüpft. Der Bausektor ist im Wesentlichen eine ‚Montage-Industrie’, welche Vorprodukte aus einem sehr breiten Spektrum von Zulieferindustrien zusammensetzt. Metall- und Metallverarbeitende Industrie, Holz-, Kunststoff-, chemische Industrie (Farben), Transport- und Großhandel – kein anderer Sektor hat auch nur ähnlich breit diversifizierte Koppelungseffekte auf vorgelagerte Branchen wie der Bau- und Immobiliensektor. In einer Vielzahl von Studien quer über den Globus wurde gezeigt, dass die Rückwärts-Multiplikatoren des Bausektors mit Abstand die höchsten aller Branchen sind.

Eine solche hohe Quote der Infrastruktur-Investitionen am BIP ist außergewöhnlich – beides im internationalen und im historischen Vergleich zu anderen Industrie- oder Schwellenländern. In Schwellenländern können für einige Zeit Quoten von 8-10 Prozent auftreten, in fortgeschrittenen Industrieländern sind Quoten von 4-5 Prozent schon sehr hoch. In Deutschland liegen sie seit Jahr und Tag etwas über 2 Prozent. Aber Quoten von rund 11-12 Prozent und teilweise darüber für Infrastruktur-Ausgaben während mehrerer Jahrzehnte und nach einem bereits langen Investitionsschub sind ungewöhnlich und jenseits aller Erfahrung. Während dieser Zeit extrem hoher Quoten leisten solche Investitionen einen enormen Beitrag zum Wirtschaftswachstum.

Die Infrastruktur-Investitionen können aber zu einem bedeutenden Wachstums-Hemmnis für die Zukunft werden. Dies hängt mit zusammen mit dem Ausmaß und mit der Qualität der Aktiven, mit der explosiven Zunahme der Schulden sowie ihrer opaken Natur und mit Veränderungen im Finanzsystem, die eine hohe Instabilität hervorrufen. Warum dies so ist, erschließt sich aus der Trägerschaft dieser Investitionen.

Die Träger und Mechanismen der (Infrastruktur-) Investitionstätigkeit

Die Träger der Infrastruktur-Investitionen sind in China der Zentralstaat, die regionalen und lokalen Behörden sowie die verschiedenen Finanzvehikel und Zweckgesellschaften der Lokalbehörden. Private Investitionen in die Infrastruktur spielen in China eine untergeordnete Rolle. Vor allem seit 2009 ist der Anteil der lokalen Zweckgesellschaften stark angewachsen. Der Zentralstaat hat als direkter Investor stark an Bedeutung verloren. Der Zentralstaat vergibt aber Mittel vor allem an Bezirke sowie an Städte und Präfekturen, damit diese Infrastruktur-Investitionen tätigen können. Er hat somit eine lenkende Hand im Ganzen. Der Zentralstaat hat seit den 1990er Jahren vor allem den Aufbau eines Transport- und Kommunikationsnetzes zwischen Osten und Westen finanziert. Damit wurde ermöglicht, neue Städte zu errichten, welche über günstige Verkehrsanbindung und eine ausreichende Infrastruktur verfügen. Eines der größten Projekte der letzten Jahre betrifft die Entwicklung des Westens des Landes als Teil der Seidenstraße.

Die Finanzreform von 1994 hat die grundlegende Finanzarchitektur Chinas verändert und eine neue Ausgangslage für die Infrastruktur-Investitionen geschaffen. Damals wurde den lokalen Behörden ein bedeutender Teil der Steuereinnahmen entzogen und dem Zentralstaat übertragen. Den Lokalbehörden wurde einerseits der Budgetausgleich vorgeschrieben, andererseits der Zugang zum Kapitalmarkt etwa durch Ausgabe von Anleihen oder Schuldverschreibungen versperrt. Sie konnten nur auf die reduzierten Steuereinnahmen sowie auf Transfers von der Zentralregierung zurückgreifen. Mit schnell ansteigenden Bedürfnissen konfrontiert, setzten die lokalen Körperschaften zwei wesentliche Innovationen ein, wie sie die Infrastruktur trotzdem finanzieren können:

Lokalbehörden begannen, Land zu verpachten und damit zusätzliche Einnahmen zu generieren. Dies wurde ihnen erleichtert durch eine gesetzliche Novelle von 1998, welche die Verpachtung für Industrieland, für den Wohnungsbau oder für andere Geschäftsbauten regelt. Die Pacht ist jeweils zeitlich begrenzt, für maximal 40 Jahre (Kommerzielle Nutzung, Hotels und Erholung), für 50 Jahre (Industriebauten) und für 70 Jahre (für Wohnungszwecke). Der Pachtzins wird als Einmalzahlung zu Beginn des Kontrakts kapitalisiert. Es ist also eine Art von Finanz-Leasing. Alles städtische Land gehört in China dem Staat beziehungsweise den Lokalbehörden. Das Landwirtschaftsland dagegen gehört den Kollektiven/Produzenten und darf nicht überbaut, sondern nur gegen Entschädigung enteignet oder von den Lokalbehörden gekauft werden.

Im Laufe der Jahre ist diese Operation (Enteignung und Verpachtung des neuen Baulandes) zu einer regelmäßigen Einnahmequelle der Lokal- und Regionalbehörden geworden. Über die Zeit hinweg ist der Anteil dieser Einnahmen an den gesamten Einnahmen der Lokalbehörden immer bedeutend gewesen – in der Größenordnung von 30-40 Prozent der Gesamteinnahmen im Landesdurchschnitt. Allerdings gibt es bedeutende Unterschiede zwischen den Regionen und zwischen Städten. Die Erträge aus Verpachtungen können teilweise nur 10 bis 15 Prozent erreichen, teilweise aber auch über 40 Prozent betragen.

Diese Einnahmen werden von den Lokalbehörden verwendet, um zusätzliche Infrastruktur-Ausgaben zu finanzieren. Dabei wird üblicherweise das Bauland verpachtet – zumeist, aber nicht nur an Immobilien-Entwickler. Auch etwa Industrie- oder andere Unternehmen können als Pächter auftreten. Mit der Verpachtung geht dann der Infrastrukturbau zunächst für das spezifische Immobilien-Projekt Hand in Hand. Mit anderen Worten sind bei dieser Form der Verpachtung lokaler Infrastrukturbau und Immobilien-Entwicklung aufs Engste miteinander verzahnt. Die Erträge aus Landverpachtungen finanzieren bis zu 60-70 Prozent der Infrastruktur-Ausgaben der Lokalbehörden.

Die Lokalbehörden setzten von ihnen beherrschte Zweckgesellschaften auf, sogenannte Lokale Finanzierungs-Vehikel (LFV). Typischerweise überträgt die Lokalbehörde dabei Bauland sowie allenfalls öffentliche Versorger in eine solche dedizierte LFV. Diese dienen als Eigenkapital-Einschuss in die Zweckgesellschaft. Mit dem Land und den Versorgungsunternehmen als Sicherheit verschaffen sich die LFV Zugang zum Bankkredit oder zum Kapitalmarkt, um damit Infrastruktur-Investitionen zu finanzieren. Das Modell war ebenfalls Ende der 1990er Jahre kreiert worden – und zwar in der Stadt Wuhu. Das Wuhu-Modell ist zum Prototyp für solche Finanzvehikel der Lokalbehörden geworden.

Vor allem die China Development Bank (CDB) belehnt Land und öffentliche Infrastruktur und ist der wichtigste Infrastruktur-Finanzierer geworden. Das Argument dabei ist, dass der Wert des Landes steigen werde, wenn es durch Infrastrukturen erschlossen sei. Dann könne es verpachtet und somit hohe Einnahmen generiert werden. Auch bei dieser Form der Land-Verpfändung gibt es also einen direkten Link zwischen Infrastruktur- und Wohn- bzw. Geschäftsbau. Ein damit verwandtes Modell ist das Tianjin-Modell, das ebenfalls weit verbreitet zur Anwendung kommt.

An dieser Struktur der Finanzierung von kommunalen Infrastruktur-Ausgaben gibt es eine ganze Reihe von Besonderheiten. Sie sind für das Verständnis der rapide angestiegenen Infrastruktur-Ausgaben und der Verschuldung in China bedeutungsvoll. Und sie lassen wichtige Schlüsse für die zukünftige Entwicklung zu.

Zunächst einmal ist die buchhalterische Darstellung in Betracht zu ziehen. In den ordentlichen Finanzrechnungen der Lokal- und Regionalbehörden werden diese Einnahmen aus Landverpachtungen wie auch die Infrastruktur-Ausgaben nicht oder nur teilweise erfasst. Sie sind in spezifischen Konten abgebildet. Auch die von den Lokalbehörden beherrschten lokalen Finanzvehikel werden nicht konsolidiert. Sie erscheinen in der Wirtschafts-Statistik als staatseigene Unternehmen.

Einer der Gründe ist die Rechtslage bzw. die spezifische Haftungssituation. Bei den Lokalbehörden sind es ganz klar direkte staatliche Schulden, für die auch der Zentralstaat haftet. Doch die Lokalbehörden dürfen keine Defizite einfahren. So sind sie veranlasst, die Infrastrukturausgaben außerhalb des ordentlichen Budgets zu halten – genauso wie die dafür verwendeten Einnahmen.

Für die Zweckgesellschaften ist zudem die Haftungssituation nicht restlos klar. So enthalten gemäß der wissenschaftlichen Literatur viele der älteren von den Zweckgesellschaften begebenen Obligationen unzweideutige Verpflichtungen und Garantien der Städte oder Körperschaften, für diese Obligationen zu haften. Neuere Obligationen enthalten teilweise nur noch bedingte Garantien oder schließen sogar solche explizit aus.

Bei den Schulden dieser Zweckgesellschaften ist auch der Text der Notiz des Zentralstaates von 2009 zu beachten. Das große Infrastrukturprogramm wurde Ende 2008 beschlossen. Dabei wurden die Zweckgesellschaften erstmals explizit geregelt und informell die Städte und Körperschaften informiert. Die formelle Abhandlung erfolgte im Frühjahr 2009 in einem als ‚Notiz’ bezeichneten Dokument, das auch die Haftung der Lokalbehörden und damit indirekt des Zentralstaats klärt.

Die Haftung wird in der Notiz auf das von den Lokalbehörden eingeschossene Eigenkapital der Zweckgesellschaften beschränkt, gültig für alle ab dem Zeitpunkt der Notiz neu eingegangen Verpflichtungen. Es ist keine darüber hinausgehende Haftung der Lokalbehörden vorgesehen. Dieser Umstand ist vielen Investoren in verbriefte Wertschriften dieser LFV nicht bekannt oder bewusst – und er bereitet in der Praxis große Probleme.

Was ist überhaupt das Eigenkapital der Zweckgesellschaften? Wie eine Zweckgesellschaft abwickeln, wie die Erträge verteilen? All dies sind völlig ungeklärte Tatbestände. Die staatlichen Banken vertreiben Produkte, die in Schuldverschreibungen oder Obligationen dieser LFV investieren, wie wenn explizite Staatsgarantien bestünden, und kassieren mit satten Margen kräftig ab. Kommt die Praxis hinzu, dass Lokalbehörden trotzdem weiterhin explizite Garantien geschrieben haben. Außerdem gibt es eine informelle Praxis, die Zahlungsfähigkeit von LFV mit neuen Eigenkapital-Einschüssen, Krediten oder Garantien aufrechtzuerhalten.

Diese Intransparenz der Staatsrechnung hat dazu geführt, dass die Einnahmen und Ausgaben auf lokaler Ebene weit auseinanderklaffen. Präzise Zahlen Fehlanzeige – es gibt keine publizierten Daten. Klar ist aber, dass die Lokalbehörden entgegen den Vorschriften schon in den ordentlichen Rechnungen seit rund einem Jahrzehnt auf aggregierter Basis Defizite einfahren. Würden die Sonderrechnungen und Zweckgesellschaften hinzu konsolidiert, wären die Defizite in ganz anderen Größenordnungen.

Gründe für die Ausgabenexplosion

Die Städte, Bezirke und Präfekturen haben Land für einen langen Zeitraum von maximal 40 bis 70 Jahren verpachtet. Sie erhalten es als Einmalzahlung im Voraus. Sie verbuchen dies als Einnahme im betreffenden Jahr. Doch das ist finanzielles Engineering. Es ist nicht ein Aktivverkauf, sondern eine Pacht. Buchhalterisch ist es in der Sprache von IFRS ein Finanzleasing. Vorsichtig wäre es gewesen, die Einnahme über einen längeren Zeitraum hinweg verteilt zu verbuchen. Vor allem erst recht, die Einnahme über einen längeren Zeitraum hinweg auszugeben. Das Gegenargument war, dass durch die Verpachtung und damit verbundenen Infrastrukturbau sofort wirtschaftliche Aktivität ausgelöst wird, sodass Steuereinnahmen generiert werden – vor allem Unternehmens- und Gewinnsteuern. Das, so das Argument, führt zu einem kumulativen Prozess des Wirtschaftswachstums. Das war anfänglich oder sogar längere Zeit korrekt, wie verschiedene Studien gezeigt haben. Es gilt im Einzelfall durchaus immer noch. Doch im System mag die Wirkung heute völlig anders sein.

Wenn der erhoffte Multiplikator-Effekt nicht rasch durchschlägt, zuerst zwar gebaut, aber nicht verkauft oder vermietet wird, die wirtschaftliche Belebung des neu erschlossenen Landes nur schleppend oder gar nicht einsetzt, dann ist das vom Grundgedanken her schon falsch. Genau dies ist spätestens mit dem großen Infrastruktur-Programm von 2009 auf breiter Basis eingetreten. Da wurde immer mehr investiert und gebaut, ohne dass nachher eine rasche wirtschaftliche Belebung eingesetzt hätte, welche das Ganze finanziert. Deshalb existieren diese leerstehenden Städte, Viertel, Wohn- und Gebäudekomplexe, die sich über das ganze Land verteilen. Die Wirkung zusätzlicher Verschuldung und Infrastruktur-Investition ist mit immer weniger Wirtschaftswachstum verbunden, die Wachstumsintensität schwindet.

Hinzu kommt der Effekt der explosiv ansteigenden Landpreise, des eigentlich wichtigsten Mechanismus für die ununterbrochene Fiskalexpansion. Die folgende Grafik gliedert die aggregierten Ausgaben aller Immobilien-Entwickler in China für Landkäufe (eigentlich Pachten) (blaue Balken). Diese Ausgaben in 100 Millionen Yuan sind das Gegenstück der Einnahmen aus den Verpachtungen der Lokalbehörden und Zweckgesellschaften von Bauland. Bis 2003 waren nur Mengenerhöhungen (grüne Kurve) für den Anstieg der Ausgaben wichtig, die Preise blieben bis dahin unverändert. Ab 2003 stagnierten die Käufe, ausgedrückt in Quadratmeter Land, auf hohem Niveau. Seit 2014 sind sie deutlich zurückgegangen. Seit 2003 sind nur noch die steil angestiegenen Preise (rote Kurve) für die höheren Ausgaben der Immobilien-Entwickler für Bauland verantwortlich. Mit anderen Worten dominieren die Landpreise die Einnahmen der Lokalbehörden.

Die Landpreise sind einerseits für die direkten Einnahmen der Lokalbehörden aus der Verpachtung wichtig. Andererseits sind sie das wichtigste Kriterium für die Kreditvergabe der Banken an die lokalen Finanzierungsvehikel. Die Banken erhöhen die Kreditvergabe an die lokalen Zweckgesellschaften, wenn die Landpreise steigen, etwa weil das Bauland erschlossen ist. Steigende Landpreise haben also die Einnahmen der Lokalbehörden wie auch die Kreditexpansion des Bankensystems an die Zweckgesellschaften stimuliert bzw. hervorgerufen. Der zweite Mechanismus ist besonders mächtig, weil dasselbe verpfändete Land immer höher belehnt werden kann. Bei den Verpachtungen kann das Spiel erst weitergehen, wenn die Pacht abgelaufen ist und erneuert werden kann.

Bei beiden lokalen Finanzierungsformen belehnen die Banken das Land teilweise anschließend gleich weiter, indem sie es als Sicherheit für die Kredite an die Immobilien-Entwickler bzw. an andere Bauherren heranziehen, wenn diese Pächter geworden sind.

Der explosive Anstieg der Landpreise übersteigt denjenigen der Immobilienpreise bei weitem. Er dominiert diesen, weil die Baukosten nur moderat angestiegen sind. Die Wanderarbeiter als billige Arbeitskraft, die chronische Überkapazität in den Bauzulieferindustrien sowie rasche Produktivitätsfortschritte im Bausektor halten die Baukosten zurück.

Die Landpreise sind in China zu einem wichtigen Transmissionsmechanismus der Geldpolitik geworden. Sie üben eine sekundäre Beschleunigungswirkung auf die Finanzpolitik vor allem der Lokalbehörden aus. Sie sind deshalb der wichtigste Hebel der Wirtschaft-Politik überhaupt. Interessant ist die Uniformität der Preisentwicklung zwischen den Regionen bis 2013. 2015/2016 ist die Geldpolitik wieder sehr expansiv geworden, was sich in einem fast senkrechten Anstieg der realen Landpreise im Osten sowie in der Mitte des Landes ausdrückt. Im Westen haben sich die Landpreise wenig bewegt. Die Verdoppelung der Landpreise seit 2014 gibt den Tier1- und Tier2-Städten Spielraum für massive zusätzliche Ausgabenprogramme. Das Risiko ist erheblich, dass es eine weitere Eskalation der Landpreise gibt.

Wichtig ist, dass dadurch auch in den reichen Städten und Provinzen des Ostens über Jahrzehnte hinweg optisch extrem hohe Einnahmen generiert wurden, die aber sofort wieder reinvestiert wurden. Weil die Landpreise vor allem in den Ostküstenzentren explodierten, ist dort der Effekt am verheerendsten. Im Landes-Mittel stammen rund 30-35 Prozent der Budgeteinnahmen der Lokalbehörden aus Landverpachtungen – in den großen Ostküstenstädten aber deutlich mehr. So hat es China geschafft, praktisch das ganze Bauland größerer Städte innerhalb von knapp 20 Jahren zu verpachten oder zu verpfänden – mit der Wirkung des größten Baubooms aller Zeiten.

Resumé: Die Gründe für Chinas Investitionsboom

Was also wirklich in China stattgefunden hat, ist eine gigantische, durch Intransparenz in der Kontenführung verschleierte Fiskalexpansion. Diese super-expansive Finanzpolitik hat auf breiter Basis mit dem Infrastruktur-Programm von 2009 eingesetzt, ihre konstitutiven Elemente waren aber schon seit 1998 aufgegleist worden. Die Lokalbehörden haben, angestachelt und abgesichert durch die zentrale Führung, zunächst aus einer konjunkturellen Panik im Jahr 2008, ein riesiges Infrastrukturprogramm aufgelegt. Begleitend und nachfolgend hat dies hohe Investitionen im Immobiliensektor und in vorgelagerten Branchen der Baubranche ausgelöst. Die Budgetdefizite der Lokalbehörden und ihrer lokalen Finanzvehikel sowie die schließlich entstandenen Verluste der hauptsächlich staatseigenen Unternehmen aus der Bauzulieferindustrie und aus dem Infrastrukturbereich erscheinen nirgends in der Staatsrechnung, wären aber korrekterweise einzubeziehen. Würde dies gemacht, hätte China im Durchschnitt seit 2009 wohl jährliche Budgetdefizite von 10 Prozent und mehr des nominellen Bruttoinlandsprodukt verzeichnet. Effektiv ausgewiesen werden in diesem Zeitraum nur 2-3 Prozent pro Jahr.

Die Form der Fiskalexpansion ist einzigartig, denn sie beruht auf einer kreditgetriebenen Blase am chinesischen Boden- und Immobilienmarkt von historischen Proportionen. Was effektiv gemacht wird, ist eine Extraktion der Grundrente, d.h. des Ertrages des Produktionsfaktors Boden. Die Grundrente kommender Jahrzehnte wird durch ein Finanzleasing abdiskontiert, kapitalisiert und von den Lokalbehörden unmittelbar ausgegeben bzw. investiert. Ergänzt wird dies durch eine Belehnung der Grundrente durch das staatliche Bankensystem sowie durch eine abenteuerliche Form von Schattenbank-System. Die Kreditpolitik der Banken belehnt den Boden der Immobilienentwickler und der lokalen Finanzvehikel. Diese können sich zusätzlich Mittel am Geld- und Obligationenmarkt beschaffen durch ein opakes, schlecht reguliertes und überwachtes Schattenbanksystem. Dabei gibt es ein bedeutendes Risiko in der Fristentransformation (Asset-Liability Mismatch). Die Schattenbankprodukte weisen sehr kurze Laufzeiten bis zu einem Jahr auf und werden immer wieder gerollt. Damit werden Infrastrukturen finanziert, welche für Jahrzehnte gebaut sind und deren Erträge erst langfristig, wenn überhaupt je, anfallen. Mit explosiv ansteigenden Bodenpreisen kann die Investitionstätigkeit immer weiter ausgedehnt werden.

Das absolute Niveau der Landpreise ist dabei maßgeblich für die Pachterlöse der Lokalbehörden sowie für die Belehnungspraxis der Banken gegenüber den Lokalen Finanzierungsvehikeln. Mit dem fast senkrechten Anstieg der Landpreise im Osten und in der Mitte des Landes seit 2014 ist eine weitere Fiskalexpansion in den nächsten 1-2 Jahren fast garantiert. Die chinesische Zentralbank muss sogar aufpassen, dass die Landpreise angesichts der strategischen Landverknappung nicht durch die Decke gehen. Die sehr hohen Landkäufe durch die Immobilien-Entwickler in den Jahren 2016 und vor allem auch 2017 machen eine massive weitere Investitionstätigkeit auch im Immobiliensektor absehbar. Auch die Gewinnexplosion im Zweiten Sektor im Jahr 2017 deutet auf eine weiterhin rege Investitionstätigkeit der Unternehmen dieses Sektors hin.

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