Politik

Nato zu Türkei: „Alle Länder haben Recht zur Selbstverteidigung“

Lesezeit: 4 min
22.01.2018 13:00
Die Nato spricht der Türkei in Syrien das Recht zur Selbstverteidigung zu, mahnt aber ein Vorgehen mit Augenmaß an.
Nato zu Türkei: „Alle Länder haben Recht zur Selbstverteidigung“

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Die Nato hält sich im Hinblick auf die türkische Militär-Offensive in Syrien bedeckt. Ein Sprecher der Nato sagte den Deutschen Wirtschafts Nachrichten: “Die Türkei liegt in einer volatilen Region und hat erheblich unter dem Terrorismus gelitten. Alle Länder haben das Recht zur Selbstverteidigung, aber es ist wichtig, dass dies in einer verhältnismäßigen und angemessenen Weise geschieht. Die NATO hat keine Präsenz in Syrien vor Ort. Als Mitglieder der globalen Koalition konzentrieren wir uns auf den Sieg über ISIS - unserem gemeinsamen Feind. Die Türkei hat den NATO-Bündnispartnern Informationen über diese Operation zur Verfügung gestellt. Generalsekretär Stoltenberg steht in regelmäßigem Kontakt mit den türkischen Regierungsvertretern - unter anderem durch ein Telefongespräch mit Präsident Erdogan am vergangenen Dienstag”.

Am dritten Tag ihrer Offensive in der syrischen Region Afrin hat die türkische Artillerie erneut kurdische Stellungen unter Beschuss genommen. Dabei seien in der Nacht zu Montag auch zwei Stellungen der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) zerstört worden, von denen Raketen auf die türkische Grenzstadt Reyhanli abgeschossen worden seien, meldete die amtliche Nachrichtenagentur Anadolu unter Berufung auf die Armee.

Bei dem Raketenbeschuss waren ein Mensch getötet und 46 weitere verletzt worden. Laut Anadolu besetzten die türkischen Truppen elf Stellungen, die zuvor von YPG-Kämpfern geräumt worden waren. Türkische Panzer waren am Sonntag in Begleitung von Infanterie nach Afrin vorgerückt. Zuvor waren bereits protürkische Rebellenkämpfer der Freien Syrischen Armee (FSA) in die Region eingedrungen.

Syrische Offensive in Idlib

Am Wochenende hatte die syrische Armee (SAA) zeitgleich zur türkischen Operation damit begonnen, in der Provinz Idlib eine Offensive gegen die Gruppe Hayat Tahrir al-Scham (HTS) – die Nachfolgeorganisation der al-Nusra-Front – durchzuführen. „Die syrischen Regierungstruppen und Milizen haben begonnen, eine Gruppe der Terrororganisation al-Nusra-Front, die mehr als 1.500 Kämpfer hat, im östlichen Teil der Provinz Idlib zu eliminieren”, zitiert die Tass das russische Verteidigungsministerium. Am 10. Januar wurde von Syrien und Russland gemeldet, dass die al-Nusra-Front vom Flugplatz von Abu al-Duhur vertrieben wurde. Nach Informationen der syrischen, staatlichen Nachrichtenagentur hat die syrische Armee (SAA) am Sonntag in Ost-Ghouta ein Waffenlager von HTS gefunden und konfisziert. „Die Behörden beschlagnahmten eine große Ladung Munition und Waffen, von denen einige in den USA hergestellt wurden – zusätzlich zu einer Menge Drogen und einer Reihe von medizinischen Geräten, die alle aus der südlichen Region kamen und an die al-Nusra-Terroristen in Ost-Ghouta nahe Damaskus gehen sollten”, so SANA.

Türkische Operation noch in Startphase

Am Sonntag hatte die Türkei mit ihrer Bodenoffensive auf Afrin begonnen. Zuvor wurden Stellungen der von den USA unterstützten Kurden-Milizen bombardiert, berichtet CNN. Nach Angaben von DebkaFile haben die türkischen Bodentruppen bisher nur Erkundungsschritte durchgeführt. Eine großangelegte Bodenoffensive sei bisher nicht erfolgt – ein Zusammenprall zwischen Kurden-Milizen und türkischen Soldaten ebenfalls nicht. Der türkische Präsident Erdogan will offenbar noch austesten, ob die USA ihren kurdischen Verbündeten helfen, so DebkaFile. Währenddessen habe Russland seine Position deutlich gemacht, indem kein Eingriff gegen die türkischen Luftschläge erfolgte.

Stratfor führt in einer Analyse aus: „Die Türkei hat eine Offensive gegen kurdische militante Kämpfer im Nordwesten Syriens gestartet und fordert sowohl Russland als auch die USA auf, aus dem Weg zu gehen. Während sich in den letzten Tagen türkische Truppen an der Grenze bei Afrin in Syrien versammelten, zogen sich die russischen Streitkräfte zurück. Moskau will keine weitere große Kollision mit der Türkei riskieren. Doch Moskau hat immer noch Truppen, die in das syrische Militär eingebettet sind. Diese russischen Einheiten werden eine wichtige Einschränkung in Bezug auf die syrischen Drohungen, türkische Kampfflugzeuge abzuschießen, darstellen. Doch sie schaffen auch die Gefahr, dass russische Streitkräfte in das Kreuzfeuer geraten und eine weitere Krise zwischen Russland und der Türkei einleiten, die beide Seiten nicht wollen.”

Das russische Verteidigungsministerium teilte am vergangenen Wochenende mit, dass die Lieferung von modernsten Waffen, einschließlich der tragbaren Luftabwehrsysteme (MANPADS) des Pentagons an pro-amerikanische Einheiten (Kurden-Milizen, Anm. d. Red) der Auslöser für die militärische Operation der Türkei in Nordsyrien gewesen sein soll. Es habe sich dabei um gezielte „Provokationen” gehandelt, die zu weiteren Spannungen in Syrien gesorgt hätten. Im Detail habe der Vorstoß des Pentagons, einen Grenzschutz aus Kurden-Milizen aufbauen zu wollen, Ankaras Reaktion ausgelöst. „Solche unverantwortlichen Schritte der USA in Syrien führen dazu, dass der Friedensprozess zunichte gemacht wird und die inner-syrischen Gespräche in Genf blockiert werden, an denen die Kurden voll teilnehmen sollen”, zitiert die Tass das russische Verteidigungsministerium. Das Ministerium meldete zudem, dass Mitglieder der russischen Militärpolizei angesichts der türkischen Operation aus Afrin nach Tel Ajar verlegt wurden, so die Nachrichtenagentur.

Freie Syrische Armee (FSA)

RFS Media, die Nachrichtenagentur der Freien Syrischen Armee (FSA), die ebenfalls an der türkischen Operation auf Afrin teilnimmt, meldet, dass am Sonntag das erste Dorf im Norden von Afrin eingenommen wurde.

“Der FSA gelang es, das Dorf Shinkal nordwestlich von Afrin zu erobern, nachdem sie das Dorf von der nördlichen Achse von Meidan Ekbis und der nordwestlichen Achse von Raju angegriffen hatte. Der arabischsprachige Sender der TRT berichtete, dass die türkische Armee vor dem Vormarsch auf die nördliche Achse der Stadt Afrin 153 Ziele getroffen habe, was zu einer Reihe von YPG-Opfern geführt und zudem eine Reihe von Waffenlagern zerstört habe.”

Yasser Abdul Rahim, Söldner-Major der FSA, sagte dem englischsprachigen Dienst von Reuters am Sonntag, dass über 25.000 Kämpfer der FSA an der türkischen Operation teilnehmen würden. Das erste Ziel der FSA sei es, 16 arabische Dörfer und Tal Rifat einzunehmen, die von den Kurden-Milizen besetzt gehalten werden. “Wir haben kein Interesse daran, die Stadt zu betreten, sondern nur die militärischen Ziele in der Stadt und den umliegenden Dörfern. Wir wollen die Stadt einkreisen und sicherstellen, dass die Milizen vertrieben werden. Wir werden nicht in der Stadt kämpfen, da wir keine Probleme mit den Zivilisten haben”, meint Rahim.

Das Büro des türkischen Premiers hat eine Notiz mit der Überschrift “Was die Türkei mit der Afrin-Operation beabsichtigt” veröffentlicht, berichtet die Hürriyet. Das Büro zählt folgende Gründe für die Operation auf:

• Um sicherzustellen, dass die von der Türkei unterstützte Freie Syrische Armee (FSA) die Kontrolle über ein 10.000 Quadratkilometer großes Gebiet übernimmt.

• Um die PKK (...) daran zu hindern, das östliche Mittelmeer zu erreichen.

• Um die Wahrscheinlichkeit zu beseitigen, den geografischen Kontakt der Türkei mit der arabischen Welt zu verlieren.

• Um die Sicherheit unserer Grenzen mit Syrien zu gewährleisten.

• Um zu verhindern, dass die syrische Partei der Demokratischen Union (PYD) und die PKK durch die Amanos-Berge in die Türkei eindringen.

Das Amanos-Gebirge befindet sich östlich des türkischen Golfs von Iskenderun. Es verläuft von Nord nach Süd parallel zum Kurdh-Gebirge in Afrin. Die PKK verfügt von dort aus die Möglichkeit, über das Bergland in die Türkei einzudringen, um in der türkischen Provinz Angriffe auszuführen.


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