Finanzen

Große Koalition: Kein Programm für den Mittelstand

Der Entwurf des Koalitionsvertrages bietet aus Sicht der Wirtschaft kaum positive Signale. Auf eine steuerliche Entlastung wird komplett verzichtet.
07.02.2018 17:23
Lesezeit: 4 min

Der von Union und SPD vereinbarte und heute veröffentlichte Entwurf des Koalitionsvertrages beinhaltet insbesondere Mehrausgaben in drei Feldern – Rüstung, Bildung und Renten.

Das durch die gute Wirtschaftslage zu erwartende zusätzliche Geld im Staatshaushalt solle für die „Außen- und Sicherheitspolitik“ ausgegeben werden, sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel vor kurzem. Damit könnte Merkel den US-Forderungen nach einer deutlichen Erhöhung der Rüstungsausgaben für die NATO nachkommen. Geplant ist zudem ein Rentenpaket, das Mehrausgaben von mehreren Milliarden Euro für die Rentenversicherung umfasst. Auch dieses Vorhaben könnte realisiert werden, da Rentner eine wichtige und zahlenmäßig wachsende Wählerschicht darstellen. Schließlich wollen Union und SPD zusätzlich 11 Milliarden Euro für Bildung ausgeben.

Mit Blick auf die Wirtschaft werden im Entwurf des Koalitionsvertrages zahlreiche Ziele zur Stärkung der deutschen Unternehmen genannt – konkrete Maßnahmen sind jedoch nicht zu finden.

Am wahrscheinlichsten werden Unternehmen aus dem Bereich Digitalisierung, Mikrotechnologie und Künstliche Intelligenz zu den Gewinnern des Vertrages zählen. So heißt es im Vertrag:

Wir wollen die bestehenden Technologieprogramme für anwendungsnahe Forschung zur Förderung digitaler Spitzentechnologien wie Quantencomputing, Robotik, autonome Systeme, Augmented Reality (3D Virtualisierung), Blockchain, Visible Light Communication und Smart Home fortführen und ausbauen. Gleichzeitig werden wir gemeinsam mit unseren französischen Partnern ein öffentlich verantwortetes Zentrum für künstliche Intelligenz errichten. Die Mikroelektronik als eine Schlüsseltechnologie für die Digitalisierung der Wirtschaft, für das 5G-Breitbandnetz, für die Elektromobilität und für das automatisierte und vernetzte Fahren wollen wir bei Forschung und Investitionen auch im Europäischen Rahmen weiterhin unterstützen. Wir wollen die Industrie dabei unterstützen, die gesamte Wertschöpfungskette der Elektromobilität in Deutschland und Europa vorzuhalten. Die Ansiedlung einer Batteriezellfertigung ist für Deutschland und Europa ein wichtiges wirtschafts- und industriepolitisches Handlungsfeld. Die Überlegungen der EU-Kommission, im Bereich Batteriezellfertigung ein Programm (IPCEI) aufzulegen, wollen wir unterstützen. Um die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und Europas zu erhöhen, beteiligt sich Deutschland auch an weiteren Vorhaben von gemeinsamem europäischen Interesse.

Mittelständische Unternehmen aus dem Bereich der bionisch optimierten Werkstoffe dürften ebenfalls profitieren:

Der Leichtbau trägt maßgeblich zu einer höheren Material- und Energieeffizienz und damit zu einem besseren Umwelt- und Klimaschutz bei. Deshalb wollen wir die Förderung dieser Schlüsseltechnologie mit dem Ziel einer breiteren industriellen Anwendung konsequent fortsetzen und ausbauen sowie branchenübergreifende Kooperationen prüfen. Wir wollen den „Neuen Werkstoffen“ – wie bionisch optimierte Werkstoffe und Adaptive Werkstoffe – verstärkte Aufmerksamkeit widmen und vor allem die branchenübergreifende Forschungsförderung mit dem Schwerpunkt Mittelstand in diesem Bereich ausbauen. Der Wandel zu einer auf erneuerbaren Ressourcen beruhenden Wirtschaft soll mit Hilfe der Bioökonomie weiter vorangetrieben werden. Dazu werden wir frühzeitig einen Dialog zwischen der Industrie und den gesellschaftlichen Akteuren über die Anforderungen an eine veränderte Rohstoffbasis im Rahmen einer Plattform initiieren.

Für die Automobilbranche und die an sie angeschlossenen Branchen gibt es keinerlei konkrete Maßnahmen:

Die Mobilität – und damit die Automobilwirtschaft – steht aktuell vor enormen Herausforderungen. Klimaschutz, Luftreinhaltung, neue Mobilitäts- und Geschäftsmodelle  sowie sich stark divergent entwickelnde Weltmärkte sind hierbei bedeutende Aspekte. Das gemeinsame Ziel, das sich die Weltgemeinschaft u. a. mit dem Pariser Ab kommen gesetzt hat, ist die Realisierung einer emissionsarmen und klimaneutralen Mobilität. Hierzu müssen alle Potenziale genutzt werden. Es ist daher von besonderer Bedeutung, dass der Weg zu einer nachhaltigen Mobilität technologieoffen und ohne politische Technologiefestlegung erfolgt. Die Politik ist gefordert, die richtigen Rahmenbedingungen und Grenzwerte zu setzen und deren Einhaltung zu überwachen. Die Wirtschaft ist gefordert, die richtigen Technologien zu entwickeln und mit innovativen Produkten und Geschäftsmodellen die gemeinsam gesetzten Ziele umzusetzen. Das Gelingen dieses Wandels ist wichtig für die Sicherheit der Arbeitsplätze in der Automobilindustrie.

Unternehmen aus dem Bereich Luft- und Raumfahrt hingegen dürfen sich offenbar auf eine Steigerung der Fördergelder freuen:

Die Luft- und Raumfahrtindustrie hat eine strategische Bedeutung für den Hightech Standort Deutschland. Wir wollen die Mittel der hierfür zentralen Forschungsprogramme auf nationaler Ebene und insbesondere des Luftfahrtforschungsprogramms verstetigen und erhöhen. Um die Beteiligung an internationalen Luftfahrzeug- oder Triebwerkprogrammen zu ermöglichen, wollen wir die Entwicklung neuer, innovativer Produkte am Standort Deutschland weiter unterstützen. Wir setzen uns dafür ein, die Europäische Weltraumorganisation (ESA) als eigenständige internationale Organisation zu erhalten und wollen sie weiter stärken. Wir wollen die Beteiligung innovativer mittelständischer Unternehmen bei Luft- und Raumfahrtprojekten erhöhen. Wir werden ein Weltraumgesetz auf den Weg bringen, um Investitions- und Rechtssicherheit für nicht-staatliche Raumfahrtaktivitäten zu schaffen.

Insbesondere für den Mittelstand, auf dem die Wirtschaftsleistung des Landes basiert, gibt es jedoch wenig Erfreuliches. Denn das eigentliche Ziel müsste sein, die Unternehmen steuerlich zu entlasten. Dies hängt damit zusammen, dass die USA unter Präsident Donald Trump damit begonnen haben, ihre Unternehmenssteuersätze deutlich zu senken. Dies führt zu Wettbewerbsvorteilen amerikanischer Unternehmen. Auch die britische Regierung liebäugelt mit Blick auf den Austritt aus der EU mit einer Senkung der Steuerlast.

Die Unternehmen des deutschen Mittelstandes werden durch vergleichsweise hohe Steuern zudem besonders belastet, weil sie nicht wie die großen multinationalen Konzerne ihren Steuersitz ins Ausland verschieben können.

Bei Vertretern der Wirtschaft stößt der Koalitionsvertrag nicht zuletzt deshalb mehrheitlich auf Skepsis und Ablehnung. Der Koalitionsvertrag sende „widersprüchliche Signale“, erklärte der Deutsche Industrie- und Handelskammertag DIHK. Positiv seien die geplanten Investitionen in eine bessere Bildung und Digitalisierung. Ein großer Schwachpunkt sei hingegen der Verzicht auf Steuerentlastungen für Unternehmen – „und das zu einem Zeitpunkt, an dem wichtige Standortkonkurrenten die Steuern senken“, kritisierte DIHK-Präsident Eric Schweitzer.

„Im Koalitionsvertrag sind wenig Weichenstellungen und zukunftsweisende Projekte zu finden, obwohl zig Milliarden Euro einfach nur umverteilt werden, ohne Strukturen zu verbessern. Das Ganze wirkt, als hätte sich die Union dazu entschlossen, aus dem Kanzleramt heraus eine SPD-Regierung zu tolerieren“, wird der Präsident der Familienunternehmen, Reinhold von Eben-Worleé von Reuters zitiert.

„Union und SPD haben sich auf einen Schönwetter-Koalitionsvertrag verständigt, der nur aufgeht, wenn der Konjunkturboom anhält und die Verteilungsspielräume weiter wachsen. Aus Sicht der Wirtschaft sind die vereinbarten Kompromisse definitiv schmerzhaft. Trotz einiger positiver Akzente in den Bereichen Bildung und Digitalisierung überwiegen ganz klar die Belastungen, während von den versprochenen Entlastungen nur ein Bruchteil übrig geblieben ist. Den Preis für steigende Ausgaben zahlen nicht Union und SPD, sondern Unternehmen, Beschäftigte und Steuerzahler“, sagt Holger Bingmann vom Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen.

„In der Gesamtschau ist die deutsche Industrie mit dem Koalitionsvertrag unzufrieden“, erklärte BDI-Präsident Dieter Kempf. Beim Geldausgeben bestehe „eine klare Schieflage in Richtung Umverteilung anstatt in Zukunftssicherung“.

„Der notwendige Neuanfang bleibt aus“, beklagte auch VDMA-Hauptgeschäftsführer Thilo Brodtmann. Ein klares Bekenntnis zur steuerlichen Förderung von Forschung und Entwicklung fehle. Zudem sei die sachgrundlose Befristung „sachgrundlos dem Koalitionsfrieden geopfert“ worden.

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