Politik

Martin Schulz wird Außenminister, Andrea Nahles SPD-Chefin

Die SPD will sich in der Großen Koalition neu erfinden. Nun müssen die Mitglieder entscheiden.
07.02.2018 22:03
Lesezeit: 4 min

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Union und SPD haben sich auf einen Koalitionsvertrag geeinigt und damit eine entscheidende Hürde auf dem Weg zu einer Neuauflage der großen Koalition genommen. Nach mehr als 24-stündigen Verhandlungen verständigten sich die Parteispitzen am Mittwoch auf ein Abkommen, das der SPD mit dem Finanz-, Außen- und Arbeitsministerium drei Kernressorts zubilligt. Martin Schulz will in der Regierung das Amt des Außenministers von Sigmar Gabriel übernehmen und zugleich den SPD-Parteivorsitz an Fraktionschefin Andrea Nahles abgeben. Inhaltlich konnten sich die Sozialdemokraten mit ihrer Forderung nach deutlichen Einschränkungen bei befristeten Arbeitsverhältnissen durchsetzen. Dagegen mussten sie in der bis zuletzt umstrittenen Gesundheitspolitik Abstriche machen. Nächste wichtige Etappe auf dem Weg zu einer neuen Regierung ist nun ein Mitgliederentscheid der SPD.

CDU und SPD erhalten nach der Vereinbarung je sechs Ministerien und die CSU drei. Unter anderem wird die CDU erstmals seit Jahrzehnten wieder das Wirtschaftsministerium führen. Die CSU erhält ein um Heimat aufgewertetes Innenministerium. Bundeskanzlerin Angela Merkel, SPD-Chef Schulz und der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer würdigten das 177-seitige Papier als fairen Kompromiss.

Spekuliert wurde, dass Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz Finanzminister wird. Die SPD-Parteispitze will offiziell erst nach dem Mitgliedervotum entscheiden, wen sie ins Kabinett schickt. Fragen nach Scholz wich Schulz aus. Das Amt als Vizekanzler strebt Schulz nach eigener Aussage nicht an. CSU-Chef Horst Seehofer soll Innenminister werden. Die CSU besetzt zudem die Minister für Verkehr und Entwicklung. Die CDU stellt neben Kanzlerin Merkel unter anderem die Minister für Verteidigung, Bildung und Landwirtschaft.

Die Koalitionsvereinbarung mit der Union führt bei der SPD zu einem personellen Umbruch. Parteichef Martin Schulz gab nach weniger als einem Jahr im Amt am Mittwochabend nach einer Bundesvorstandssitzung in Berlin bekannt, er werde den Posten an die Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles abgeben. Der Wechsel solle nach dem Mitgliederentscheid vollzogen werden, der vom 20. Februar bis 02. März angesetzt ist. Schulz will nach eigenen Worten Außenminister werden. Nahles kündigte an, ihr gehe es in ihrer künftigen Doppelfunktion darum, möglichst viel von den im Koalitionsvertrag durchgesetzten Inhalten umzusetzen. Zugleich wolle sie sich der Erneuerung der Partei widmen, damit diese erkennbar bleibe.

"Ich habe mich entschieden, in die Bundesregierung einzutreten und zwar als Außenminister", sagte Schulz. Nach der Wahl hatte er die Übernahme eines Kabinettspostens unter Kanzlerin Angela Merkel kategorisch ausgeschlossen (Video am Anfang des Artikels). Schulz hatte nach der Wahl außerdem angekündigt, dass die SPD in die Opposition gehen werde, weil die Große Koalition abgewählt worden sei.

Nach dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen hätten sich die Rahmenbedingungen aber geändert, begründete Schulz seine Kehrtwende. Der 62-Jährige kündigte zugleich an, er wolle nicht Vizekanzler werden. Der frühere Präsident des Europäischen Parlaments begründete dies damit, dass die Erneuerung der EU ein "voluminöses Unterfangen" für einen Außenminister sei. Er halte es mit Frank-Walter Steinmeier, der als Außenminister ebenfalls nicht Vizekanzler war.

Juso-Chef Kevin Kühnert hat verärgert über die Ankündigung von SPD-Chef Martin Schulz reagiert, den Parteivorsitz an Fraktionschefin Andrea Nahles abzugeben. Die Personaldebatte jetzt in der Öffentlichkeit zu führen belaste den Mitgliederentscheid über den Einstieg in die große Koalition, sagte Kühnert den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (Donnerstagausgabe). "Alle inhaltlichen Fragen treten jetzt in den Hintergrund. Das ist ärgerlich." Er hoffe, dass sich das Mitgliedervotum nicht zu einer Abstimmung über eine mögliche neue Parteispitze entwickle. "Personaldebatten lenken nur ab."

Dennoch hält der Chef der SPD-Nachwuchsorganisation es weiter für möglich, dass eine Mehrheit beim Mitgliederentscheid gegen die große Koalition stimmt. Niemand könne sich sicher sein. "Den Zuspruch, den wir bekommen, ist ungebrochen", sagte der entschiedene Gegner einer neuen großen Koalition. Die rund 25.000 neuen Mitglieder seien noch einmal ein deutlicher Fingerzeig. "Mein Eindruck ist, die Allermeisten davon haben wegen unserer Argumente den Weg in die SPD gewählt."

Die Jusos hatten nach der Sondierung von Union und SPD dazu aufgerufen, in die SPD einzutreten, um beim Mitgliederentscheid gegen eine Neuauflage von Schwarz-Rot zu stimmen und diese so zu verhindern.

Schulz will nicht Vize-Kanzler werden

Der 62-Jährige sagte, er sei zu dem Ergebnis gekommen, dass es für die SPD besser sei, "wenn jemand als Vorsitzender nicht Teil der Regierung ist". Die Erwartungshaltung, die er in sich selbst nach dem schlechten Wahlergebnis zur Erneuerung der Partei setze, könne er nicht im notwendigen Umfang gerecht werden. Mit Nahles werde es zugleich einen Generationswechsel geben. Zudem würde die SPD zum ersten Mal in ihrer Geschichte von einer Frau geführt. Zur Wahl von Nahles soll nach dem Mitgliedervotum ein Sonderparteitag einberufen werden.

Schulz war erst im März 2017 mit 100 Prozent Ja-Stimmen zum Nachfolger von Sigmar Gabriel gewählt worden, der dem Kabinett nicht mehr angehören soll. Trotz der Wahlniederlage wurde der gelernte Buchhändler und langjährige Bürgermeister der nordrhein-westfälischen Stadt Würselen im Dezember mit knapp 82 Prozent im Amt bestätigt.

Die 47-jährige Nahles nimmt in der Doppelfunktion künftig eine mächtige Funktion ein. Dadurch verfügt die SPD über ein zweites Machtzentrum neben der Regierungsarbeit.

Schulz hatte am Mittag zusammen mit Merkel und CSU-Chef Seehofer den in einem mehr als 24-stündigen Marathon ausgehandelten Koalitionsvertrag vorgestellt. Er betonte, das Vertragswerk weise in großem Maße eine sozialdemokratische Handschrift auf und sei stark von der SPD beeinflusst. Wie schon in der großen Koalition von 2005 bis 2009 können die Sozialdemokraten die prestigeträchtigen Ressorts für Finanzen, Außenpolitik und Arbeit besetzen. Zudem sicherte sich die SPD die Ministerien für Justiz, Familie und Umwelt. Zu Spekulationen, dass Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz Finanzminister werden soll, äußerte sich Schulz ausweichend. Auch Fragen zur Besetzung weiterer Ressorts ließ der scheidende Parteichef offen. Er und Nahles würden jetzt erstmal gemeinsam um Zustimmung zu dem "wirklich guten Vertrag" kämpfen. Er rechne mit einer "lebhaften Diskussion". Der Parteivorstand beschloss laut Schulz mit breiter Mehrheit, den Mitgliedern den Vertrag zur Annahme zu empfehlen.

Das Ergebnis der Befragung der 463.000 SPD-Mitglieder soll nach Angaben aus Parteikreisen am 04. März um 09.00 Uhr mitgeteilt werden. Die SPD-Spitze plant mehrere Regionalkonferenzen, um für den Koalitionsvertrag die Werbetrommel zu rühren will. Aber auch die "Groko"-Gegner wollen auf Tour gehen, um Widerstand zu mobilisieren. So plant Juso-Chef Kevin Kühnert, der sich bei Twitter "fassungslos" über den Koalitionsvertrag zeigte, bislang elf Auftritte.

Das Bundesverfassungsgericht wies unterdessen alle fünf Eilanträge gegen den Basisentscheid ab, wie ein Sprecher mitteilte. Die Beschwerdeführer hatten argumentiert, dass das freie Mandat der Abgeordneten durch den Mitgliederentscheid eingeschränkt würde. Bundestagsabgeordnete sind in Deutschland nur ihrem Gewissen und keinen Beschlüssen ihrer Partei unterworfen.

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