Politik

Flüchtlingskrise kehrt nach Europa zurück

Europa bereitet sich auf die Rückkehr der Flüchtlingskrise vor. Einzelne Regierungen planen drastische Maßnahmen.
19.04.2018 11:10
Lesezeit: 3 min

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

Die EU-Staaten sehen sich neuen Entwicklungen in der Migrations- und Flüchtlingsfrage gegenüber. Mit der sich abzeichnenden Niederlage von islamistischen und internationalen Söldner in Syrien drängen zahlreiche Kämpfer auf eine Ausreise aus dem Kriegsgebiet. Laut russischen und US-Angaben befinden sich tausende Kämpfer vor allem in der Region Idlib, wo sie entweder auf ihre Ausreise oder neue Kampfaufträge warten.

Etliche von ihnen könnten versuchen, die anhaltende Migrationsbewegung in Richtung Europa zu nutzen, um in EU-Staaten zu gelangen. Erst am Mittwoch hatte die Bundesregierung überraschender Weise erklärt, die Grenzen wieder weiter zu öffnen und die Kontrollen zu lockern.

Den Kämpfern könnte zugute kommen, dass auch in die EU-Flüchtlingspolitik Bewegung gekommen ist.

Die griechischen Behörden dürfen neuankommende Asylbewerber nach einer Gerichtsentscheidung nicht mehr auf Mittelmeerinseln festhalten. Die Einschränkung der Bewegungsfreiheit könne nicht mit einem öffentlichem Interesse oder der Einwanderungspolitik gerechtfertigt werden, erklärte am Mittwoch der Staatsrat, der das oberste Verwaltungsgericht des Landes ist. Die Entscheidung betrifft nur Neuankömmlinge und nicht jene Migranten, die sich bereits auf den Inseln aufhalten. Auf Lesbos leben tausenden Migranten seit Jahren unter menschenunwürdigen Bedingungen.

Die Aussicht, künftig schnell aufs europäische Festland zu gelangen, könnte den Plan der EU durchkreuzen, Einwanderer von der Überfahrt von der Türkei nach Griechenland abzuhalten. Ein EU-Vertreter erklärte, man sei wegen des Urteils sehr beunruhigt. Das Verbot, zunächst nicht aufs Festland weiterreisen zu dürfen, gilt seit März 2016. Damals vereinbarte die EU mit der Türkei auch das Flüchtlingsabkommen, mit dem die gefährliche Seeroute weitgehend geschlossen wurde. Im Gegenzug bekommt die Türkei Geld. Damit sollen die Lebensbedingungen für syrische Flüchtlinge verbessert werden.

Auf den griechischen Inseln warten etwa 15.000 Asylbewerber in fünf Aufnahmelagern auf ihr Verfahren. Den Behörden zufolge reicht die Kapazität eigentlich für die Hälfte.

Die sogenannten Hotspots entsprechen nicht im Ansatz den minimalen Menschenrechtsanforderungen. Diese Kritik wird von Menschenrechtsorganisation seit Jahren geäußert, wurde aber bisher von den Verantwortlichen in der EU und den Mitgliedsstaaten eher ausgeblendet. Allerdings zeigt der politische Trend ohnehin in Richtung einer Verschärfung der Gangart gegenüber Migranten und Flüchtlingen.

Österreichs Regierung hat am Mittwoch einen Gesetzentwurf verabschiedet, nach dem Asylbewerber künftig ihre Mobiltelefone und bis zu 840 Euro Bargeld an die Behörden übergeben müssen. Das "restriktive und effiziente" Gesetz solle den Missbrauch des österreichischen Asylsystems verhindern, erklärte Innenminister Herbert Kickl (FPÖ). Das Parlament wird in den kommenden Wochen über die Maßnahmen abstimmen.

Das Geld der Flüchtlinge soll nach dem Gesetzentwurf für die Kosten des Asylverfahrens verwendet werden. Ihre Telefone sollen dahingehend überprüft werden, ob die Standortdaten mit den von den Flüchtlingen angegebenen Reiserouten übereinstimmen. Stellt sich dabei heraus, dass Asylbewerber zuvor in ein anderes EU-Land eingereist sind, sollen sie gemäß der Dublin-Verordnung dorthin zurückgeschickt werden.

Inwieweit diese Enteignung mit den internationalen Grundrechten und der österreichischen Bundesverfassung in Einklang zu bringen ist, ist unklar. Ebenso ist unklar, welche Personen genau von diesen Maßnahmen betroffen sind und ob eine Ausweitung des Personenkreises denkbar oder gar geplant ist. Es ist auch nicht klar, ob das österreichische Modell auf andere EU-Staaten übertragen werden könnte.

Die österreichischen Pläne sehen vor, dass Flüchtlinge erst nach zehn Jahren die österreichische Staatsbürgerschaft beantragen können. Bisher war dies nach sechs Jahren möglich. Die Abschiebung von Flüchtlingen, die für eine Straftat verurteilt wurden, soll beschleunigt werden.

Die Menschenrechtsgruppe SOS Mitmensch verurteilte den Gesetzentwurf. Die Menschen würden dadurch zusätzlich geschwächt und ihre Privatsphäre verletzt, erklärte die Organisation. Die Integration sei so gefährdet.

Knapp 540.000 Asylbewerber haben im vergangenen Jahr in der EU Schutz erhalten, 60 Prozent davon allein in Deutschland. Von den 325.400 Asylbewerbern in Deutschland wurden nach Angaben der EU-Statistikbehörde Eurostat rund 154.000 als Flüchtlinge anerkannt, rund 120.000 Personen erhielten einen vorläufigen Schutz. Rund 50.000 Menschen erhielten einen positiven Asylentscheid aus humanitären Gründen, teilte Eurostat am Donnerstag mit. Mit deutlichen Abstand folgen Frankreich (40.600), Italien (35.100), Österreich (34.000) und Schweden (31.200). Die wenigsten Asylbewerber wurden in der Slowakei (60), Estland (95) und Tschechien (145) aufgenommen. Polen und Ungarn, die die Flüchtlingspolitik der EU sehr kritisch sehen, erkannten 560 respektive 1300 Personen an.

Die größte Gruppe der Flüchtlinge in der EU kam mit rund 176.000 erneut aus Syrien. Aus Afghanistan brachten sich rund 100.000 Menschen in die EU in Sicherheit, aus dem Irak rund 64.000. Insgesamt nahm die Zahl der erfolgreichen Asylbewerber gegenüber 2016 um ein Viertel ab.

***

Für PR, Gefälligkeitsartikel oder politische Hofberichterstattung stehen die DWN nicht zur Verfügung. Bitte unterstützen Sie die Unabhängigkeit der DWN mit einem Abonnement:

Hier können Sie sich für einen kostenlosen Gratismonat registrieren. Wenn dieser abgelaufen ist, werden Sie von uns benachrichtigt und können dann das Abo auswählen, dass am besten Ihren Bedürfnissen entspricht. Einen Überblick über die verfügbaren Abonnements bekommen Sie hier.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Russland bleibt widerstandsfähig: Warum die russische Wirtschaft trotz Krieg nicht zusammenbricht
04.09.2025

Trotz Sanktionen, Kriegsausgaben und Bankenproblemen bleibt die russische Wirtschaft widerstandsfähig. Warum ein Zusammenbruch ausbleibt...

DWN
Finanzen
Finanzen Experten raten: Verkauf der Novo Nordisk-Aktie kann sinnvoll sein
04.09.2025

Die Novo Nordisk-Aktie gilt als Favorit vieler Anleger. Doch Experten zeigen, warum selbst ein Verkauf mit Verlust zum steuerlichen Vorteil...

DWN
Politik
Politik Vertrauen in den Staat auf Tiefstwert: Mehrheit der Bürger hält den Staat für überfordert
04.09.2025

Wie blicken die Bundesbürger auf den Staatsapparat? Neuste Zahlen geben Aufschluss: Drei von vier Bundesbürgern halten den Staat für...

DWN
Technologie
Technologie Elektromobilität: Europas Batterieproduktion droht uneinholbarer Rückstand
04.09.2025

Noch vor zehn Jahren war Europas Autoindustrie technologisch in der Weltspitze. Doch der von China angeführte Umstieg auf die...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Frankreich-Schulden: Frankreichs Verschuldung ist außer Kontrolle - Muss der IWF eingreifen?
04.09.2025

Die Frankreich-Schulden treiben das Land in eine politische und finanzielle Krise. Investoren zweifeln an der Stabilität, und die Eurozone...

DWN
Finanzen
Finanzen Kindersparen statt Konsum: So sichern Sie die Zukunft Ihres Erstklässlers
04.09.2025

Der erste Schultag ist nicht nur emotional ein Meilenstein – er sollte auch ein finanzieller Wendepunkt sein. Experten erklären, warum...

DWN
Panorama
Panorama Pharmaindustrie: Marktstart für Alzheimer-Mittel Lecanemab in Deutschland
04.09.2025

Ab ersten September ist erstmals ein Alzheimer-Medikament erhältlich, das den Krankheitsverlauf verlangsamen kann. Lecanemab soll bei...

DWN
Politik
Politik Justiz überfordert: Unerledigte Verfahren oder Einstellungen bei Staatsanwaltschaften auf Rekordhoch!
04.09.2025

Die Staatsanwaltschaften kommen kaum noch hinterher. Die Aktenberge wachsen und wachsen: Zum Jahresende 2024 gab es einen traurigen...