Politik

Türkische Wirtschaft steuert auf Schulden-Krise zu

In den kommenden Monaten könnte die Zahl der Unternehmensbankrotte in der Türkei deutlich steigen.
25.04.2018 17:18
Lesezeit: 3 min

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

In der türkischen Wirtschaft könnte es in den kommenden Monaten zu einer Welle an Unternehmens-Bankrotten kommen. Ursächlich für die negativen Einschätzungen vieler Beobachter ist der starke Verfall der Landeswährung Lira, welche in den vergangenen Jahren gegenüber dem US-Dollar und dem Euro massiv an Wert eingebüßt hatte.

Zum Euro entwertete sich die Lira in den vergangenen 5 Jahren um mehr als die Hälfte von etwa 2,30 Lira auf aktuell etwa 5 Lira. Das gleiche Bild zeigt sich im Vergleich zum Dollar. Dieser wertete gegenüber der Lira im gleichen Zeitraum von etwa 1,70 Lira für den Dollar auf aktuell rund 4,10 Lira auf.

Da türkische Unternehmen in den vergangenen Jahren vermehrt Kredite in diesen beiden Währungen aufgenommen hatten, verschärfen sich die Rückzahlungsbedingungen mit dem anhaltenden Wertverlust der Lira, weil Zins- und Tilgungskosten in den Fremdwährungen steigen.

Die Gesamtschulden türkischer Unternehmen – sowohl jene in ausländischer Währung als auch jene in Lira – haben inzwischen einen Umfang von rund 70 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes erreicht, berichtet die Financial Times. Noch im Jahr 2005 – vor der Regierungszeit von Präsident Recep Erdogan – lag diese Quote bei etwa 20 Prozent.

„Mehr als die Hälfte der Gesamtschulden sind in ausländischen Währungen notiert. Je schwächer die Lira also wird, desto mehrt zehrt die Abwertung die Gewinne der Firmen auf und stört ihre Bilanzen“, wird ein Analyst am Institute of International Finance in Washington von der FT zitiert.

Noch werden die Währungsverluste im Kreditgeschäft von einer wirtschaftlichen Expansion überdeckt. Angaben der Regierung zufolge wuchs die türkische Wirtschaft im vergangenen Jahr um 7,4 Prozent und damit stärker als in jedem anderen Land der G20.

Die anhaltende Schwäche der Lira jedoch ist ein eindeutiges Indiz dafür, dass Investoren die Aussichten für die Wirtschaft negativ einschätzen. Zudem hat die politische Unsicherheit im Zuge der türkischen Invasion in Syrien dazu geführt, dass sich ein Teil der potentiellen Investoren zurückhält und die weitere Entwicklung beobachtet. Bemerkenswerterweise schreibt die FT, dass der Hauptgrund – der zur überraschenden Ausrufung von Neuwahlen im Juni geführt hatte – Bedenken Erdogans vor einer wirtschaftlichen Eintrübung seien.

Der Hauptgrund für die Lira-Schwäche wird in den negativen Handelsbilanzen gesehen, welche die Türkei seit Jahren erwirtschaftet und deren Defizit sich 2017 auf 5,6 Prozent der Wirtschaftsleistung belief. Einem traditionell starken Binnenkonsum stehen seit Jahren keine ausreichend hohen Exporte gegenüber.

„Um die Lücke zu schließen, braucht die Türkei Finanzierungen aus dem Ausland. Nervosität wegen des politischen Klimas im Land haben langfristige Investoren abgeschreckt. Stattdessen ist die Türkei von kurzfristigen ‚Hot Money‘-Schuldenströmen abhängig, die sehr schnell austrocknen können, wenn sich die Stimmung an den internationalen Finanzmärkten dreht. Die Devisenreserven der Zentralbanken liegen unter 90 Milliarden Dollar und decken damit nur etwa Hälfte der Schulden ab, die bald ausgezahlt oder durch neue Schulden verlängert werden müssen“, schreibt die FT.

Ein Weg, die Lira bei ausländischen Händlern wieder beliebter zu machen, wäre eine Anhebung der Leitzinsen. Diese hatte Erdogan der Zentralbank in den vergangenen Jahren jedoch faktisch untersagt, um das schuldenfinanzierte Wirtschaftswachstum und damit seine Herrschaft nicht zu gefährden.

Die türkische Zentralbank hatte angesichts des anhaltenden Verfalls der Lira am Mittwoch allerdings einen wichtigen Zinssatz angehoben. Wie die Zentralbank auf ihrer Website mitteilte, wurde der Satz für Hauptrefinanzierungsgeschäfte um 75 Basispunkte von 12,75 auf 13,50 Prozent angehoben. Die türkische Lira stieg nach der Entscheidung leicht um 0,7 Prozent auf 4,09 zum Dollar. Die anderen Zinssätze wurden unverändert gelassen.

Noch erwirtschaften die allermeisten Unternehmen des Landes Gewinne und können ihre Verbindlichkeiten begleichen. Die strukturellen Probleme sind jedoch weiterhin ungelöst. Der Ökonom James Rickards stuft die Türkei deshalb als einen möglichen Kandidaten zur Auslösung der nächsten Weltfinanzkrise ein.

„Die Wirtschaft leiden an fundamentalen Problemen, die sich in den vergangenen 50 Jahren nicht geändert haben. Jede Regierung treibt das Wachstum voran, doch die Spar-Raten der Bevölkerung sind nicht hoch genug, um das Wachstum zu untermauern. Deshalb braucht die Wirtschaft ausländisches Kapital. Die Wahrheit ist, dass die türkische Volkswirtschaft von einer Krise in die nächste taumelt – typischerweise eine Währungskrise. Wir hatten diese in den 1960ern, in den späten 1970ern, im Jahr 1994 und im Jahr 2001“, sagt der ehemalige Zentralbankchef Bülent Gültekin.

***

Für PR, Gefälligkeitsartikel oder politische Hofberichterstattung stehen die DWN nicht zur Verfügung. Bitte unterstützen Sie die Unabhängigkeit der DWN mit einem Abonnement:

Hier können Sie sich für einen kostenlosen Gratismonat registrieren. Wenn dieser abgelaufen ist, werden Sie von uns benachrichtigt und können dann das Abo auswählen, dass am besten Ihren Bedürfnissen entspricht. Einen Überblick über die verfügbaren Abonnements bekommen Sie hier.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Gold als globale Reservewährung auf dem Vormarsch

Strategische Relevanz nimmt zu und Zentralbanken priorisieren Gold. Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten neue Höchststände...

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Babyboomer verlassen die Bühne: Jetzt kommt das große Chaos am Arbeitsmarkt
29.06.2025

Die Babyboomer verabschieden sich in Scharen – und mit ihnen verschwinden Loyalität, Erfahrung und Arbeitsdisziplin. Zurück bleibt ein...

DWN
Panorama
Panorama Ersatzpflege: Was sich für pflegende Angehörige ab dem 1. Juli ändert
29.06.2025

Pflegende Angehörige stemmen den Großteil der häuslichen Pflege in Deutschland – oft bis zur Erschöpfung. Doch was passiert, wenn sie...

DWN
Immobilien
Immobilien Heizkosten: Vergleich der Kosten für verschiedene Heizungslösungen - Tipps
29.06.2025

Heizöl, Pellets, Gasheizung oder Wärmepumpe: Wer 2025 neu heizt, muss weiterhin hohe Kosten einpreisen. Doch welche Heizungslösung ist...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Elon Musks X wird zur Bank: Der Angriff auf das Finanzsystem
29.06.2025

Elon Musks Plattform X will mehr sein als ein soziales Netzwerk. Mit eigenen Finanzdiensten und digitaler Geldbörse kündigt sich eine...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Pandora und Amazon decken globales Fälschernetzwerk auf
29.06.2025

Pandora und Amazon decken ein globales Netzwerk von Produktpiraten auf. Die Drahtzieher in China sitzen nun im Gefängnis – doch die...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Verteidigungsbranche boomt: Diese fünf Aktien setzen Analysten jetzt auf die Watchlist
29.06.2025

Der globale Rüstungsboom bietet Anlegern neue Chancen. Fünf Aktien stehen bei Analysten hoch im Kurs – von Hightech-Zulieferern bis zu...

DWN
Panorama
Panorama Unwetterwarnungen: Was sie können und was nicht
29.06.2025

Unwetterwarnungen sollen Leben retten – und das möglichst rechtzeitig. Doch nicht immer klappt das. Warum ist es trotz modernster...

DWN
Politik
Politik Bundeswehr: Rüstung auf dem Papier – Defizite auf dem Feld
29.06.2025

Die Bundeswehr bleibt trotz 100-Milliarden-Sondervermögen kaum einsatzfähig. Es fehlt an Ausrüstung, Personal und Struktur. Ist das...