Politik

Frankreichs ärmste Region will Zusammenarbeit mit China ausbauen

Die nordfranzösische Region Hauts-de-France hat das Vertrauen in die französische Regierung verloren. Um aus der Schuldenfalle herauszukommen, hofft sie auf chinesische Unterstützung.
26.04.2018 17:07
Lesezeit: 4 min

Mit chinesischen Handelskooperationen will Xavier Bertrand, Präsident der nordfranzösischen Region Hauts-de-France, selbiger zu wirtschaftlichem Aufschwung und einstigem Glanz verhelfen, berichtet Bloomberg. Anders als Staatspräsident Emmanuel Macron betrachtet Bertrand China nicht als wirtschaftliche Bedrohung für den französischen Markt. Kritisch sieht er dagegen das enge Verhältnis von Frankreich zu Deutschland.

Mit einer Arbeitslosenquote von rund 12,2 Prozent gehört Hauts-de-France zu den ärmsten Regionen Frankreichs. Im ganzen Land waren im Februar durchschnittlich rund 8,9 Prozent der Erwerbstätigen arbeitslos. EU-weit waren es 7,1 Prozent.

Die Region Hauts-de-France besteht seit Januar 2016. Im Rahmen einer Gebietsreform wurden die ehemaligen Hochburgen des Bergbaus, der Stahlindustrie und der Textilindustrie Picardie und Nord-Pas-de-Calais zusammengelegt. Rund 6 Millionen Menschen wohnen in der Region, die mit einer Gesamtfläche von 31.813 Quadratkilometern die achtgrößte Region Frankreichs ist.

Die wirtschaftlichen und sozialpolitischen Probleme bestehen in diesem Teil Frankreichs seit Jahrzehnten: Bis 1990 war die nordfranzösische Region Hauptlieferant für Steinkohle und Zentrum der Stahlproduktion. 1960 wurden in Frankreich 59,7 Millionen Tonnen Steinkohle gefördert, 1991 schloss die letzte Zeche in der Region. Gründe waren zunehmende Billigexporte aus China und Osteuropa sowie die energetische Umstellung von Kohlestrom auf Atomenergie.

Ähnliches in der Stahlindustrie: Die Region Nord-Pas-De-Calais beschäftigte in der Eisen- und Stahlindustrie im Jahre 1976 rund 56.400 Arbeiter. Ende der 90er Jahre waren in der einstigen Stahlhochburg Dunkerque, nahe der belgischen Grenze, noch ca. 5.500 Menschen beschäftigt.

Auslöser für den Stellenabbau war die Stahlkrise im Jahr 1974. Durch hohe EU-Subventionen und eine starke Konkurrenz japanischer Stahlproduzenten war es den französischen Stahlwerken nicht möglich, sich im Preiskampf mit ihren Wettbewerbern zu halten. Die Folge waren Unternehmensschließungen und Unternehmensschrumpfungen.

Frankreichs größter Stahl- und Bergbaukonzern ist seit 2007 ArcelorMittal. Er ist aus der Kooperation von Mittal Steel Company und Arcelor entstanden. Ein Teil des Arcelor-Konzerns ist der ehemalige staatliche, französische Stahlkonzern Usinor-Sacilor. Arcelormittal betreibt in Frankreich derzeit neun Unternehmensstandorte, unter anderem im nordfranzösischen Dunkerque. Weltweit beschäftigt es in über 60 Ländern rund 80.000 Mitarbeiter.

Um die Region zu retten, setzt ihr Präsident, Xavier Bertrand, nun auf chinesische Investoren. Bertrand ist seit 2016 gewählter Vertreter Hauts-de-Frances. Bereits in seinem Programm anlässlich der Regionalwahlen im Jahr 2015 hatte er als Spitzenkandidat des Mitte-Rechts-Bündnisses die wirtschaftliche Situation in der Region zum Kernpunkt seiner Arbeit gemacht und mit seiner strikten Haltung gegenüber Migranten potenzielle Wähler des Front National von der konservativen Partei überzeugt. Gewählt wurde Bertrand von knapp 57,8 Prozent aller Wähler. Auf Grund seiner radikalen Einstellung kam es innerhalb der konservativen Partei jedoch immer wieder zu Querelen, im vergangenen Dezember gab Bertrand seinen Austritt bekannt.

Anders als Staatspräsident Emmanuel Macron setzt Bertrand für den wirtschaftlichen Aufschwung im eigenen Land nicht auf ein vereintes Europa und hält auch die Sozialreformen Macrons für ungeeignet, eine Verringerung der Arbeitslosigkeit und Armut in Nordfrankreich zu erreichen.

Seit Januar erhalten Bewohner von französischen Gebieten, in denen die Arbeitslosigkeit unter Erwerbsfähigen besonders gravierend ist, bis zu 15.000 Euro für die Aufnahme eines Beschäftigungsverhältnisses. Mit dieser Mittelbereitstellung richtet sich Macron an die Bewohner von über 1.500 französischer Vororten, in denen insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit überdurchschnittlich hoch ist. Im Gegensatz zu Region Hauts-de-France liegen die Vororte jedoch zumeist in wirtschaftliche florierenden Gebieten wie etwa die Banlieues nahe Paris oder Marseille.

Auch die engen Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland hält Bertrand für gefährlich. Im vergangenen Monat gaben Macron und Bundeskanzlerin Angela Merkel bekannt, die wirtschaftlichen Beziehungen ihrer Staaten für die Reformierung der EU in Zukunft vertiefen zu wollen. Einen ersten Entwurf wollen sie im Juni vorlegen. Zudem bezweifelt Bertrand die Zuverlässigkeit des deutschen Bündnispartners.

Deutschland sei der wichtigste Handelspartner Chinas, sagte er im Bloomberg-Interview und stellte gleichzeitig die Frage, ob Deutschland in diesem Zusammenhang sein eigenes Spiel spiele oder tatsächlich europäische Interessen verfolge. Nach einer Auswertung des Statistischen Bundesamtes beliefen sich die Importe und Exporte zwischen beiden Ländern im vergangenen Jahr auf rund 187 Milliarden Euro. Die Umsatzzahlen mit Frankreich beliefen sich auf rund 169 Milliarden Euro. Zwischen 1975 und dem Jahr 2014 war Frankreich der wichtigste Handelspartner Deutschlands. Im Vorfeld der kommenden Parlamentswahlen gilt Bertrand derzeit als aussichtsreichster politischer Herausforderer Macrons.

Grundsätzlich hält Bertrand es jedoch für notwendig, Handelsbeziehungen mit China aufzubauen. Anders als bei seinen politischen Amtskollegen lösen bei Bertrand die Bestrebungen der chinesischen Regierung, mit Projekten wie der Bau der neuen Seidenstraße auf den europäischen Markt weiter vorzudringen, keine Ängste aus.

China investiert bereits seit dem Jahr 2009 in südeuropäische Infrastrukturen. Unter anderem übernahm die Regierung die Mehrheit am griechischen Hafen in Piräus und an der staatlichen griechischen Reederei Cosco. Die EU hat bislang noch keine einheitliche Strategie entwickelt, wie sie den chinesischen Übernahmen künftig begegnen will.

Macron bezweifelt den europäischen Nutzen der Seidenstraße. Die Warenströme würden nur in eine Richtung, die Europas, fließen. Ein Aufbau eines europäischen Marktes in China sei dagegen nicht möglich, sagte er im vergangenen September während einer Rede an der Pariser Universität Sorbonne.

Anders Bertrand: Aus seiner Sicht wird sich China in den kommenden Jahren zu einem sehr wichtigen Handelspartner weltweit entwickeln. Daher sei der Staat sein Favorit, wenn es um künftige Zusammenarbeiten gehe.

Erst vor wenigen Tagen kehrte Bertrand von einer Reise aus der ostchinesischen Provinz Hangzhou zurück. Ziel seines Aufenthaltes war ein Treffen mit dem Geschäftsführer des Internetdienstleisters Alibaba, Daniel Zang. Bereits im Januar hatte Alibaba-Chef Jack Ma bei einem Treffen mit Macron sein Interesse am Aufbau eines chinesisch-französischen Logistikzentrums angekündigt. Umgeschlagen werden sollen dort vor allem französische Lebensmittel für den chinesischen Markt. Insbesondere unter Chinas aufstrebender Mittelschicht gelten Feinkostprodukte als Zeichen eines modernen Lebensstandards. Außerdem kündigte Ma an, zudem den französischen Absatzmarkt für Importe aus China ausbauen zu wollen. Bis dahin bleibt Deutschland Frankreichs wichtigster Handelspartner.

***

Für PR, Gefälligkeitsartikel oder politische Hofberichterstattung stehen die DWN nicht zur Verfügung. Bitte unterstützen Sie die Unabhängigkeit der DWN mit einem Abonnement:

Hier können Sie sich für einen kostenlosen Gratismonat registrieren. Wenn dieser abgelaufen ist, werden Sie von uns benachrichtigt und können dann das Abo auswählen, dass am besten Ihren Bedürfnissen entspricht. Einen Überblick über die verfügbaren Abonnements bekommen Sie hier.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Wirtschaftliche Eskalation durch Trump-Zölle: Kommt jetzt die Wende für Europa?
22.04.2025

Zwei der einflussreichsten Ökonomen der Welt – Lawrence Summers und Olivier Blanchard – schlagen Alarm: Donald Trumps aggressiver...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Weltwirtschaft: IWF warnt vor Folgen von Trumps Zollpolitik
22.04.2025

Trumps neue Zolloffensive sendet Schockwellen durch die Weltwirtschaft. Der IWF sieht die globale Konjunktur in der Krise und senkt seine...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Der Preis der Führungsdiplomatie: Zwischen Beziehung und Ergebnis
22.04.2025

Harmonie und Klarheit: Warum effektive Führung mehr verlangt als nur gutes Zuhören – und wie man den Spagat meistert.

DWN
Panorama
Panorama Wie lange können wir noch mit Bargeld zahlen?
22.04.2025

Trotz digitaler Bezahlmöglichkeiten will eine klare Mehrheit der Deutschen am Bargeld festhalten. Die Bundesbank teilt diese Haltung –...

DWN
Finanzen
Finanzen Wie der Dollar seinen Thron verliert – Das Ende einer Ära hat begonnen
22.04.2025

Die Weltordnung bröckelt – auch auf den Währungsmärkten. Der Dollar, lange Zeit unangefochtener „König“ unter den...

DWN
Panorama
Panorama Einbruchschutz: So sichern Sie Ihr Zuhause wirksam
22.04.2025

Die Zahl der Wohnungseinbrüche in Deutschland steigt wieder, bleibt aber unter dem Vor-Pandemie-Niveau. Die meisten Täter geben nach...

DWN
Finanzen
Finanzen Gold erreicht erstmals 3.500 Dollar
22.04.2025

Ein turbulenter Präsident, ein unter Druck stehender Notenbankchef – und Anleger, die das Vertrauen verlieren. Während Donald Trump...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Attacke auf Fed: Wenn Trump Powell unter Druck setzt, drohen wirtschaftliche Turbulenzen
22.04.2025

Am Gründonnerstag senkte die Europäische Zentralbank (EZB) erneut die Leitzinsen – ein Schritt, der unter normalen Umständen das...