In Italien machen die Gespräche zwischen der Fünf-Sterne-Bewegung und der Lega Fortschritte. „Es war ein sehr produktiver Tag“, sagte der Chef der Fünf-Sterne, Luigi Di Maio am Sonntag. Di Maio und der Chef der Lega, Matteo Salvini sagten, sie seien bei den Plänen zu Steuerkürzungen, dem Ausbau der Sozialleistungen und der Einwanderung vorangekommen.
Wer die Regierung anführen sollte, wurde zunächst nicht bekannt. Ein Insider aus der Fünf-Sterne-Bewegung sagte, nach den Gesprächen hätten die Parteichefs Präsident Sergio Mattarella angerufen, um ihn darüber zu informieren, dass sie einen Kandidaten vorschlagen wollten. Di Maio sagte, der Ministerpräsident solle eine „politische“ Person sein, kein unabhängiger Technokrat. Weder Salvini noch Di Maio wollen den jeweils anderen als Regierungschef akzeptieren. Bei der Wahl am 4. März waren die Fünf Sterne mit 32 Prozent der Stimmen die stärkste Partei im Parlament geworden. Die Lega kam auf 17 Prozent.
Die Unterstützer der Fünf Sterne kommen aber überwiegend aus dem ärmeren Süden, während die Basis der Lega im reichen Norden ist. Daher wollen die Fünf Sterne großzügige Sozialleistungen einführen, die Lega aber die Steuern senken. Italien hinkt dem Rest der Euro-Zone beim Wachstum hinterher.
Um die Wahlversprechen für ihre Klientel erfüllen zu können, dürfte die neue Regierung nach Norden schauen: Zwar ist ein Austritt aus dem Euro nicht zu erwarten, wenngleich Beppe Grillo in der vergangenen Woche erneut eine Volksabstimmung über die gemeinsame Währung zu Diskussion stellte. Doch wahrscheinlicher als ein harter Bruch dürfte der Versuch sein, die EU unter Druck zu setzen. Auch das könnte ausreichen, um die EU in ihrer bisherigen Form ins Wanken zu bringen.
Die Wahlversprechen kosten etliche Milliarden Euro und sind aus dem italienischen Haushalt allein nicht zu finanzieren. Schon jetzt wird klar, dass die beiden ungleichen Partner auf Kollisionskurs mit der EU und den Euro-Partnern sind. „Wir müssen Vereinbarungen mit der EU neu verhandeln, damit Italien nicht länger die Luft abgeschnürt wird“, sagte Lega-Chef Matteo Salvini am Samstag nach Verhandlungen mit den Fünf Sternen.
Selbst wenn sie sich nur auf einen Teil ihrer Versprechen einigen, wird die Rechnung üppig. So wird das von den Fünf Sternen geforderte Grundeinkommen für Arme auf jährlich 17 Milliarden Euro taxiert. Würde eine Pauschalsteuer von 15 Prozent für Unternehmen und Bürger eingeführt, was die Lega fordert, könnten die Steuereinnahmen um 80 Milliarden Euro im Jahr sinken. Die Rückabwicklung der Rentenreform: 15 Milliarden. Der Verzicht auf die Mehrwertsteuererhöhung kostet laut Reuters-Berechnungen 12,5 Milliarden Euro.
„Wenn das umgesetzt wird, wäre es die größte Veränderung des italienischen Wirtschaftssystems in der jüngeren Geschichte“, sagt Wolfgang Münchau, Chef des Informationsdienstes Eurointelligence Reuters. Manche Unterhändler der beiden Parteien glauben inzwischen, dass sich ein pragmatischer Ansatz durchsetzen wird. So könnten die Wahlversprechen nur teilweise und schrittweise umgesetzt werden. Zumindest könnten so die Politiker vor ihren Anhängern argumentieren, dass sie in den Verhandlungen zu Kompromissen gezwungen gewesen seien.
Dennoch bleibt unklar, wie Italien seinen Verpflichtungen nachkommen will. Das Euro-Land wollte eigentlich das Staatsdefizit senken und die Verschuldung zurückfahren. Diese beträgt 130 Prozent im Vergleich zur Wirtschaftsleistung. In der Euro-Zone ist nur Griechenland noch stärker verschuldet. Zudem gibt es immer mehr Anzeichen, dass der Konjunkturmotor ins Stottern gerät: Die Industrieproduktion stagnierte im ersten Quartal, und die Stimmung der Unternehmer war im April so getrübt wie seit über einem Jahr nicht mehr.
Die scheidende Regierung unter den Sozialdemokraten hatte versprochen, die Defizitquote von 2,4 Prozent im vergangenen Jahr auf 1,6 Prozent senken. Ziel war ein ausgeglichener Haushalt im Jahr 2020. Davon wollen Lega und Fünf Sterne nichts wissen. „Das Ziel des ausgeglichenen Haushalts hat unsere Wirtschaft zerstört“, sagt Lega-Senator Alberto Bagnai. Seine Partei will haushaltspolitisch die 180-Grad-Wende: Statt eines ausgeglichenen Haushalts soll der Fehlbetrag bis 2020 auf 3,0 Prozent im Vergleich zur Wirtschaftsleistung steigen. Dies dürfte für weitere Diskussionen mit den Fünf Sternen sorgen. Deren Chef Di Maio kündigte kurz vor der Wahl im März an, das Defizit bei 1,5 Prozent zu stabilisieren.
Reuters zufolge dürften die beiden Parteien für ihre Haushaltspläne wenig Gegenwind aus Brüssel bekommen. Die EU-Kommission sei sehr schwach und stehe ein Jahr vor ihrem Abtritt, sagt Wolfgango Piccoli von der Beratungsfirma Teneo Intelligence. Ihr bleibe nur übrig, Italiens Finanzpolitik stärker unter die Lupe zu nehmen. „Und die Märkte interessiert das nicht.“
Die Druckmittel, die Italien in der Hand hat, sind stark: Die Regierung wird, so der Corriere della Sera in einer Analyse, darauf drängen, dass die Umverteilung von Flüchtlingen und Migranten in der EU durchgesetzt wird. Bisher haben sich die anderen EU-Staaten zurückgehalten und Italien mit dem Problem im Wesentlichen allein gelassen. Der Corriere erwartet, dass Rom das offizielle Ende von Dublin fordern könnte, womit Flüchtlinge und Migranten in andere Länder weiter geschickt werden könnten. Ein Deal, ähnlich jenem, den die EU mit der Türkei geschlossen hat, könnte eine Lösung sein: Die EU erhöht ihre Zahlungen an Italien signifikant, um nicht wieder eine Debatte über die Verteilung vom Zaun zu brechen.
Der Corriere und Politico ewarten außerdem, dass die neue italienische Regierung auf einen Kurswechsel in der Russland-Politik setzen werde. Die Lega hat, wie die österreichische FPÖ, eine Kooperationsvereinbarung mit der Partei von Russlands Präsident Wladimir Putin. Ob die transatlantisch orientierten Staaten wie Deutschland und Schweden einen solchen Kurs mitgehen können ist fraglich. Der Corriere geht davon aus, dass die neue Regierung die NATO-Mitgliedschaft Italiens nicht in Frage stellen wird.
Daher könnte der wirtschaftliche Druck zu einer Änderung der EU-Haltung führen: Denn ein höheres Defizit in Italien, die nicht ausgestandene Banken-Krise, höhere Kosten für Flüchtlinge und die fehlenden Milliarden wegen des Austritts von Großbritannien bieten Brüssel nur eingeschränkt Spielräume. Eine wirtschaftliche Öffnung für die italienische Wirtschaft in Richtung Russland könnte das Budget der EU zumindest in Teilen entlasten. Dies dürfte allerdings zu ernsten Konflikten mit Polen und den baltischen Staaten führen, die sehr transatlantisch ausgerichtet sind und Russland als Feind der EU betrachten.
Diese Konflikte sind teuer und so ernst, dass es nicht ausgeschlossen erscheint, dass „Italien die EU in der Form, in der wir sie kennen, in die Luft sprengen kann“, wie das US-Magazin Politico orakelt.
***
Für PR, Gefälligkeitsartikel oder politische Hofberichterstattung stehen die DWN nicht zur Verfügung. Bitte unterstützen Sie die Unabhängigkeit der DWN mit einem Abonnement:
Hier können Sie sich für einen kostenlosen Gratismonat registrieren. Wenn dieser abgelaufen ist, werden Sie von uns benachrichtigt und können dann das Abo auswählen, dass am besten Ihren Bedürfnissen entspricht. Einen Überblick über die verfügbaren Abonnements bekommen Sie hier.